Klingt ungewöhnlich? Fluss- und Spaghetti-Diagramme sind trotz ihres Namens ernstzunehmende Werkzeuge von Lean Baumanagement. Mit Flussdiagrammen können Abläufe einfach dargestellt werden. Spaghetti-Diagramme wiederum helfen, Materialflüsse und Personenbewegungen zu analysieren und zu optimieren. Teil 13 der Serie »Lean Baumanagement – Werkzeuge und Methoden«
Hintergrund
Lean Baumanagement umfasst mehrere Bereiche, in denen unterschiedliche Werkzeuge und Methoden angewendet werden, um die Vorteile aus der Lean-Philosophie für den Baubereich nutzen zu können. Die Erläuterungen in den weiterführenden Ausgaben teilen sich grob in die sechs Bereiche Lean Production, Lean Construction, Lean Design, Lean Administration, Lean-Logistik sowie Supply Chain Management und Lean-Kultur. Aufbauend auf die Übersichtstabelle für Lean Baumanagement der Ausgabe 04/22 werden die einzelnen Bereiche kurz beschrieben und Werkzeuge und Methoden erläutert, die die Verschwendung identifizieren, reduzieren oder sogar eliminieren können.
Mehr aus der Serie: Lean Baumanagement
Flussdiagramme
Mit Flussdiagrammen lassen sich gegenständliche Abläufe einfach darstellen und kommunizieren.1 Flussdiagramme zählen zu den grafischen Methoden der Prozessanalyse, genauer gesagt zu den prozessorientierten Analysen (POA).2 Im Sinne der kontinuierlichen Verbesserung können Prozesse auf ihre Verbesserungspotenziale untersucht und angepasst werden. Dafür kann ein Flussdiagramm eines aktuellen Ist-Zustandes die Basis sein. Auf diese Weise können Flussdiagramme vor allem in weniger komplexen Abläufen dazu beitragen, die vorhandene Verschwendung zu eliminieren und ein gemeinsames Verständnis für kontextbezogene Prozesse zu liefern. Da weiters die Möglichkeit der Darstellung von Zuständigkeiten und Verantwortungen gegeben ist, kann diese Art der Prozessvisualisierung dazu verwendet werden, die Aufbau- und die Ablauforganisation in einem Bereich zu hinterfragen und die dazugehörige Ressourcenplanung an der Wertschöpfung des Prozesses auszurichten.
Logistischer Wareneingangsprozess mit Qualitätskontrolle in Form eines Flussdiagramms.3
Flussdiagramme bieten eine einfache Möglichkeit, Abläufe innerhalb einer Unternehmung sowie firmenübergreifend darzustellen. Flussdiagramme helfen dabei, ein anfängliches Verständnis für die Prozesse zu bekommen und eine gemeinsame Gesprächsbasis zu entwickeln. Die Methode hat allerdings bei der Darstellung von zeitlichen Abfolgen, der Qualitätsdarstellung einzelner Prozessschritte oder komplexeren dynamischen Prozessen ihre Grenzen.
Spaghetti-Diagramm
Ein Spaghetti-Diagramm ist ein Werkzeug aus dem Lean-Werkzeugkasten, mit dem die vorhandene Verschwendung eines Arbeitsplatzes oder eines Arbeitsbereichs systematisch identifiziert und eliminiert werden kann. Das Ziel dieser Analyse ist es, die Materialflüsse und Personenbewegungen innerhalb eines Layouts zu analysieren und zu optimieren.4 Alle Bewegungen und Handlungen einer Person oder der Fluss eines Materials werden innerhalb eines definierten Bereichs dokumentiert und mittels einer Linie in das Layout des Arbeitsbereichs eingetragen. Für verschiedene Materialien oder Prozesse können unterschiedliche Farben genutzt werden. Das Resultat gleicht meist einer Schüssel Spaghetti, daher der Name des Werkzeugs. Um die Verschwendung in Form von Bewegungen der Arbeiter*innen oder unnötiger Materialtransporte systematisch analysieren zu können, werden folgende Schritte angewendet:
- Selektion des Arbeitsbereichs
- Beschreibung und Visualisierung des Arbeitsbereichs (Ist-Layout)
- Beschreibung der Aktivitäten, welche während eines Arbeitszyklus ausgeführt werden (Ist-Zustand)
- Analyse der durch eine*n Mitarbeiter*in durchgeführten Arbeit innerhalb eines ausgewählten Arbeitsbereichs mittels Spaghetti-Diagramm
- Einführung von Verbesserungen
- Analyse und Verifikation der Veränderungen und der erreichten Effekte.5
Die Auswahl des Arbeitsbereichs richtet sich meist nach dem erwarteten Potenzial für Verbesserungen. Indizien dafür können Beschwerden der Arbeiter*innen über lange Arbeitswege oder große Wartezeiten aufgrund langer Materialtransportwege sein.
Die Zeichnung eines Spaghetti-Diagramms kann beispielsweise nach dem Prinzip des PDCA-Zyklus geschehen. Diesem Kreislauf zufolge wird das Problem zuerst beschrieben und analysiert. Anschließend werden Gegenmaßnahmen in Form von Layout-Umstrukturierungen und Veränderungen der Bewegungen der Arbeiter*innen in deren Bereich abgeleitet. Diese Maßnahmen werden dann experimentell umgesetzt und in der Check-Phase genau dokumentiert. Sofern das Experiment zu einer Verbesserung geführt hat, wird daraus ein neuer Standard. Kam es zu keiner Verbesserung, muss wieder zurück in die Plan-Phase gegangen werden, um andere Gegenmaßnahmen zu definieren. Das Ist-Layout des Arbeitsbereichs sollte maßstabsgetreu visualisiert werden, um die Entfernungen der Bewegungen und Transporte möglichst genau beobachten zu können.
Spaghetti-Diagramm für die Bewegungen und Materialflüsse auf einer Baustelle.6
Baustellen verfügen meist über ein Materiallager für Aushubmaterial, Baustoffe, Schalungsmaterial, Bewehrung und Einbauteile wie Rohre etc. Mittels Spaghetti-Diagrammen kann auch hier der Fluss der Materialien sowie die Bewegung der Arbeiter*innen analysiert werden, um gängige Tätigkeiten sowie Arbeitszyklen am Lagerplatz der Baustelle zu überwachen und die benötigte Zeit zur Erledigung der Arbeiten festzuhalten. Die Abbildung oben zeigt das Layout eines Lagerplatzes einer Baustelle, in dem unterschiedliche Felder für die Ablage von Materialien und Baustoffen ersichtlich sind, schematisch.
In dieses Layout wurde, gemäß dem Spaghetti-Diagramm, jeweils eine Linie gezeichnet, wenn eine Person von der Baustelle zu einem Lagerfeld geht, um etwas zu holen oder dorthin zu transportieren. Es ist ersichtlich, dass die Bewegungen aufwändig sind und lange dauern sowie über mehrere Ecken gehen. Ein weiterer Nachteil an diesem Layout ist, dass sich die Linien der Bewegungen oft kreuzen, was zu einem Sicherheitsproblem werden kann, wenn sich etwa Arbeiter*innen und Stapler oder LKWs auf engem Raum begegnen.
Ausgehend von dieser Darstellung wurde dann versucht, das Layout des Lagerplatzes so umzugestalten, dass die Entfernungen sowie die Materialtransporte minimiert werden. Speziell für Transporte oder Bewegungen, welche sehr häufig durchgeführt werden müssen, ergibt sich dadurch großes Potenzial. Die folgende Abbildung zeigt das veränderte Layout des Baustellenlagerplatzes, mit Hilfe dessen die Bewegungen der Arbeiter*innen und die Materiallieferungen an den Einbauort minimiert wurden.
Verbessertes Layout eines Baustellenlagerplatzes durch ein Spaghetti-Diagramm.7
Es ist zu sehen, dass die Position der Parkplätze sowie die der Bürogebäude nicht verändert wurden. Anhand der Kriterien Häufigkeit der Wege sowie Relevanz für den Baufortschritt wurde definiert, wo welches Feld lokalisiert werden soll, damit möglichst geringe Entfernungen zurückgelegt werden können. Weiters ist im Spaghetti-Diagramm erkennbar, dass sich keine der Linien überschneiden, was zu einer erhöhten Sicherheit auf der Baustelle führt.
1 Vgl. Scheele, B.; Groeben, N.: Dialog-Konsens-Methoden zur Rekonstruktion Subjektiver Theorien: die Heidelberger Struktur- Lege-Technik (SLT), konsuale Ziel-Mittel-Argumentation und kommunikative Flußdiagramm-Beschreibung von Handlungen. S. 125.
2 Weber, M.; Meyer, U. B.; Creux, S. E.: Grafische Methoden der Prozessanalyse – Design und Optimierung von Produktionssystemen. Leseprobe. S. 4.
3 Vgl. Günther, W. A.: Methode zur einfachen Aufnahme und intuitiven Visualisierung innerbetrieblicher logistischer Prozesse. Forschungsbericht. S. 54.
4 Vgl. Gabrielse, P. J.: Application of Lean Strategies to Construciton Storage Area. Master Thesis. S. 24.
5 Vgl. Hys, K.; Domagala, A.: Application of spaghetti chart for production process streamlining. Case study. In: Archives of Materials Science and Engineering, 89/2018. S. 66.
6 Vgl. Gabrielse, P. J.: Application of Lean Strategies to Construciton Storage Area. Master Thesis. S. 36.
7 Vgl. ebd.. S. 38.
Buchtipp: Lean Baumanagement, Band 4
»Standardisierung der Planungsprozesse von integralen Planungsteams«
Im Hinblick auf die Synergien mit Building Information Modeling und der Anwendung in integralen Planungsteams können die Ansätze von Lean Design einen wesentlichen Mehrwert für die Bauplanung bieten. Aus diesem Grund beschäftigt sich Band 4 der Lean Baumanagement Buchserie mit der Standardisierung der Planung. Dazu werden verschiedene Methoden für die Anwendung von Lean Design vorgestellt und in der praktischen Anwendung anhand verschiedener Projekte gezeigt. Die Schnittstellen für die Durchbruchsfreigabe werden mittels SIPOC strukturiert. Darüber hinaus werden die einzelnen Prozessanalysen und Standardisierungen für die Gewerke Architektur, Tragwerksplanung und technische Gebäudeausrüstung mittels Flussdiagrammen erläutert. Diese Aspekte fließen in die Erstellung einer standardisierten Gesamtprozessanalyse ein und werden zusätzlich anhand der Location-Based Management System-Methodik dargestellt. Der empirische Teil der Forschungsarbeit wurde mittels Experteninterviews im Bereich Lean Design und Bauplanung durchgeführt.
Herausgeber: Gottfried Mauerhofer
Autorin: Nina Schreiner
Erscheinungsjahr: 2023
www.leanbau.at