Sonntag, Dezember 22, 2024
Gen AI: Sie ist gekommen, um zu bleiben
Tim Strohschneider und Jürgen Leitner, adesso: »Generative KI ist jetzt über den Hype hinaus im unternehmerischen Alltag angekommen.« (Foto: Milena Krobath)

Generative KI löst mit wesentlich besseren Ergebnissen die früher aufwendige Arbeit an spezieller Software etwa für die Klassifizierung von Inhalten ab. Unternehmen können bereits auf fixfertige Services zugreifen.

 
Unternehmen setzen zunehmend auf generative künstliche Intelligenz – auch Gen AI genannt. Die Technologie wird über Branchen und Unternehmensabteilungen hinweg angewendet und verändert Abläufe und Geschäftsmodelle – so die große Erwartung. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Capgemini Research Institute. International führt fast ein Viertel der Unternehmen die Technologie derzeit ein. Und Unternehmen, die früh auf die Technologie gesetzt haben, verzeichnen bereits Erfolge – von Produktivitätssteigerungen in den klassischen Geschäftsprozessen über ein intelligentes Kundenerlebnis bis hin zu Umsatzzuwächsen. So konnten Unternehmen die Kundenbindung und -zufriedenheit in Bereichen, in denen generative KI bereits eingesetzt oder pilotiert wurde, im vergangenen Jahr international um durchschnittlich 6,7 Prozent steigern. Ein Großteil der Unternehmen gibt an, dass sich mithilfe generativer KI Umsatz und Innovationskraft steigern lassen (74 %). Aufgrund der disruptiven KI-Entwicklungen wird generative KI nicht mehr nur unterstützen, sondern zunehmend auch komplexe Aufgaben teilweise autonom übernehmen.

Rund 400 Menschen arbeiten auch beim Technologiedienstleister adesso im Bereich KI. »Das Thema KI wird stark nachgefragt«, bestätigt Jürgen Leitner, Head of Development bei adesso Austria. Typischerweise stehe am Anfang ein Digitalisierungsprojekt oder Automatisierungsvorhaben mit einem bestimmten Ergebnis, das man erreichen möchte. KI könne dabei ein Lösungsbaustein sein. »Es ist zentral, mit dem Einsatz von Technologie ein wertstiftende Ergebnis zu erreichen. Wenn Projekte nur aus dem Druck heraus umgesetzt werden, weil sich ein Vorstand ›irgendetwas mit KI‹ wünscht, ist das meist wenig nachhaltig«, warnt adesso-Kollege Tim Strohschneider, Leiter der Unit generative KI im Konzern. Die Experten sehen gleichzeitig den Bedarf aus den Fachabteilungen nach zum Beispiel einem Chatbot – der vielleicht bereits in Eigenregie gebaut wird. Hier sollten Unternehmen auch schnelle Unterstützung bieten, im besten Fall mit einem Plan über einzelne Anwendungen hinausgehend (Interview unten).

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Grafik: Capgemini Research Institute, »Generative AI executive survey«, Befragung von rund 800 Konzernen in 14 Ländern weltweit, darunter in Europa.

 

Gespräch mit Tim Strohschneider, Leiter der Unit generative KI bei adesso SE, und Jürgen Leitner, Head of Development bei adesso Austria.

Wie ist adesso im KI-Bereich aufgestellt? Was bieten Sie Unternehmenskunden?

Tim Strohschneider: Es gibt derzeit vier Themenbereiche bei adesso mit eigenen „Solution Units“: SAP, Customer Experience, Cloud und KI. Wir begleiten mit den Units Projekte in den Unternehmen und richten diese Services an den Bedürfnissen am Markt aus. Rund 400 Menschen arbeiten bei adesso in den Bereichen generative KI und klassische KI. Sie setzen ihr Know-how in Kundenprojekten, von der strategischen Beratung über Schulungen bis hin zur Entwicklung, dem Aufbau, der Umsetzung und einem langfristigen Betrieb von KI, ein. Mit einem KI-Framework bieten wir Unternehmen auch eine Basis für wirtschaftliche und ethische – auf den Menschen zentrierte – Anwendungen.

Jürgen Leitner: Das Thema KI wird stark nachgefragt. Wir können lokal und direkt unsere Bestandskunden etwa aus der Industrie beraten und bauen selbstständig dazu Know-how in Österreich auf. Zusätzlich können wir auf die Expert*innen in der Gruppe zugreifen. Ein*e Berater*in bringt eine Sicht von außen ein, mit entsprechender Erfahrung auch mit Kundenprojekten in anderen Bereichen. Wir stellen auch sicher, dass ein Projekt nicht in eine falsche Richtung abbiegt – indem neben der greifbaren Umsetzung auch immer der strategische Aspekt abgewogen wird.

Womit starten Unternehmen typischerweise mit generativer KI?

Tim Strohschneider: Typischerweise steht am Anfang ein Digitalisierungsprojekt oder Automatisierungsvorhaben mit einem bestimmten Ergebnis, das man erreichen möchte. KI kann hier ein Lösungsbaustein sein. Es ist zentral, mit dem Einsatz von Technologie ein wertstiftendes Ergebnis zu erreichen. Wenn Projekte nur aus dem Druck heraus umgesetzt werden, weil sich ein Vorstand „irgendetwas mit KI“ wünscht, ist das meist wenig nachhaltig.

Jürgen Leitner: Gleichzeitig ist der Wunsch aus den Fachabteilungen nach zum Beispiel einem Chatbot schnell da, der vielleicht bereits in Eigenregie gebaut wird. Hier sollten Unternehmenauch schnelle Unterstützung bieten, im besten Fall aber mit einem Plan über einzelne Anwendungen hinausgehend. Hier haben wir auch die Erfahrung, rasch erste Demonstratoren zu bauen und parallel das große Bild nicht aus den Augen zu verlieren.

Welche Einsatzbereiche sehen Sie für Sprachmodelle?

Tim Strohschneider: Generative KI und die „Foundation Models“ dazu haben im Vergleich zur klassischen KI einen großen Vorteil. Sie machen unstrukturierte Information nutzbar. Es ist der Hauptanwendungsfall: Aus Dokumenten wie zum Beispiel PDFs oder Anschreiben Wissen zu generieren, das dann auch praktisch genutzt werden kann. 80 % aller unserer Unternehmenskunden machen im ersten Schritt eine sogenannte „Retrieval Augmented Generation“. Dabei wird die Sprachverarbeitungsfähigkeit eines Grundlagenmodells mit meinem unternehmensspezifischen Wissen verknüpft – ich will ja nicht Zugriff auf das Weltwissen bekommen, sondern mich weiter in meinem unternehmerischen Kontext bewegen. Das ist relativ leicht und schnell aufgebaut und wir beschäftigen uns zunächst auch weniger mit Prozessen und Abläufen – das erledigt das Sprachmodell, das übers Prompting flexibel nutzbar ist.

Ein Sprachmodell, einmal umgesetzt, kann für unterschiedlichste Aufgaben herangezogen werden. In der Immobilienbranche könnten so Energieausweise für Gebäude – der Zustand der energetischen Sanierung eines Gebäudes – ausgelesen werden. Das kann ich händisch machen oder eben eine KI vollautomatisiert erledigen lassen. Komplexere Anwendungsfälle sind dann etwa im Energieerzeugungssektor. Jedes Kohle-, Gas- und Atomkraftwerk ist in der Art und Weise, wie es funktioniert, einzigartig. Wenn etwas kaputt wird, ist es oft schwer, eine schnelle Lösung zu finden. Handbücher dazu haben mehrere 10.000 Seiten und meist gibt es einen sehr eingeschränkten Kreis an Fachkräften, die hier einen Überblick haben. Wenn diese nun gerade nicht verfügbar sind, wird es extrem teuer – jede Minute Stillstand eines Kraftwerks kostet viel Geld. Wir haben mit einem großen Energieerzeuger genau das gelöst, indem alle Handbücher und Anleitungen des Kraftwerksparks durch ein Sprachmodell nutzbar gemacht wurden. Techniker*innen können sich so das kraftwerkspezifische Wissen schnell erschließen. Der wirtschaftliche Nutzen ist sofort gegeben.

Es gibt weitere Beispiele in der gesamten Bandbreite bei Marketing und Vertrieb mit KI-erzeugten Grafiken, personalisierten Werbekampagnen oder Kundenkommunikation. Mit Sprachmodellen kann ich alle Informationen, die ich über einen Kunden habe, natürlich datenschutzgerecht verarbeiten und individuelle Anschreiben ermöglichen.

Jürgen Leitner: Es gibt oftmals diese querliegenden Themen, die in vielen Organisationen zum Einsatz kommen: Wissen aus den Unternehmen per Chat extrahier- und zusammenfassbar zu machen. Auch eine intelligente Dokumentenverarbeitung ist ein breiter Anwendungsfall. Generative KI löst mit heute wesentlich besseren Ergebnissen die früher relativ aufwendige Arbeit an spezieller Software für die OCR-Erkennung und an Modellen für die Klassifizierung von Inhalten ab. Spannend sind dann natürlich Projekte, die über diese Anwendungen hinaus in die Kernprozesse von Unternehmen gehen.

Auch Software-Engineering verändert sich. Mit generativer KI verändern sich alle Stufen der Softwareentwicklung. Sie wird vom Anfang einer Planung über die Entwicklung mit der Erstellung von Code bis zum Testen eingesetzt. Beispielsweise, um User-Stories für einzelne Entwicklungsschritte zu kreieren – dem Scrum-Master wird automatisch empfohlen, worauf er achten sollte. Unsere Erfahrungen zeigen, dass man beispielsweise den GitHub Copilot schon sehr gut nutzen kann. Wir prüfen die Ergebnisse und checken den erstellten Softwarecode – das ginge für uns aus Qualitätsgründen auch gar nicht anders.

Bei adesso in Österreich wollen wir in jedem Bereich – Backend, Backoffice oder Recruiting – die Möglichkeiten des Einsatzes von generativer KI prüfen. Jeder im Unternehmen kann selbst verifizieren, ob man sich das Leben einfacher macht und es dadurch eine Unterstützung im Job gibt. Wir begleiten das mit einem Basistraining, das die Grundzüge der Möglichkeiten und damit ein Gefühl für das Thema vermittelt. Das würde ich generell Unternehmen empfehlen. Denn Menschen eignen sich ihr Wissen ohnehin irgendwie an. Gerade Prompten muss aber geübt werden, um zu besseren Ergebnissen zu kommen.

Tim Strohschneider: Ich bin überzeugt, dass jedes Unternehmen Vorteile aus einer KI-Anwendung ziehen kann – aber man muss sich gründlich damit auseinandersetzen. Der Einstieg ist relativ einfach, denn die Modelle sind bereits aufgebaut und bieten fertige Services. Vieles kann mit einem großen Sprachmodell wie etwa Gemini, OpenAI oder Claude umgesetzt werden. Welches der zig verschiedenen weiteren Sprachmodelle dann noch kosteneffizienter und effektiver ist, darüber würde ich mir erst in einer zweiten Runde Gedanken machen. Fangen Sie mit Ihrem Anwendungsfall an, mit Ihrem Bedarf. Wir schaffen es, erste Use Cases innerhalb von zwei Tagen bei den Kunden mit spezifischen Unternehmensdaten aufzustellen.

Jürgen Leitner: Wichtig ist, den Menschen zu vermitteln, dass KI-Anwendungen keine künstlichen Personen oder etwas Magisches sind, sondern reine Mathematik. Generative KI arbeitet mit den Wahrscheinlichkeiten von Textbausteinen in einem Satz. Wenn man sich dessen bewusst ist, geht oft die Scheu verloren.

Tim Strohschneider: Man muss die Technik dahinter nicht komplett verstehen, um sie anzuwenden. Aber jeder sollte sich bewusst sein, dass gerade generative KI keine absolut wahren, festgeschriebenen Ergebnisse produzieren kann – auch wenn sie sprachlich hervorragend formuliert sind. Es gilt stets zu prüfen, zu hinterfragen. Das ist auch nichts Neues. Wenn ich glaube, dass die ersten fünf Ergebnisse in einer Google-Suche mit Sicherheit die relevantesten für ein Thema sein müssen – liege ich genauso falsch.

Jürgen Leitner: Generative KI ist jetzt über den Hype hinaus im unternehmerischen Alltag angekommen. Sie ist „enterprise ready“. Wer sich noch nicht damit beschäftigt, sollte es möglichst bald tun. Denn KI ist gekommen, um zu bleiben.

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