Mittwoch, Juli 17, 2024
Wenn Emphathie an der Unternehmensgrenze aufhört
Michael Frank leitet den Bereich „Global Practice Transformation Consulting“ bei dem Technologiedienstleister Nagarro.

Michael Frank leitet den Bereich „Global Practice Transformation Consulting“ bei dem Technologiedienstleister Nagarro. Er spricht über die Erfolgsfaktoren von Veränderungen in Unternehmen und aus welchem Grund er auch hinterfragt, wohin die gewonnene Arbeitszeit fließen wird.

Wie können Unternehmen die Herausforderungen in einer zunehmend komplexen und dynamischen Welt meistern? Wie hilft vor allem Technologie dabei?

Michael Frank: Wird sind überzeugt, dass Technologie für die Menschen gemacht werden soll – und sich Nutzer*innen im Arbeitsalltag nicht umgekehrt an die Technologie anpassen müssen. Bei Nagarro setzen wir auf die Geisteshaltung einer „Fluidic Enterprise“, die mit einigen Merkmalen verknüpft ist. Dazu gehört die Fähigkeit, sich rasch auf Veränderungen im Geschäftsumfeld einzustellen. Die weiteren Säulen sind die Optimierung von Prozessen und Verringerung von Verschwendung, eine Qualität in den Beziehungen zu den Mitarbeiter*innen im eigenen Unternehmen und auch den Kunden, sowie Kreativität und Nachhaltigkeit. Dabei wird bewusst auch Technologie, beispielsweise KI, eingesetzt, um entsprechende Metriken und Muster für effizientere Abläufe zu erkennen. Aber die KI soll in erster Linie dafür eingesetzt werden, dem Menschen zu dienen.

Sie raten auch Unternehmen zu diesem Ansatz?

Unternehmen müssen in der Lage sein, rascher sowohl auf externe Marktveränderungen zu reagieren als auch auf Spannungen im eigenen System. Es wäre vermessen, hier eine bestimmte Organisationsform pauschal als Erfolgsmodell zu sehen. Kein Unternehmen gleicht dem anderen, die jeweils ideale Struktur und auch Geschwindigkeiten sind vom Kontext und dem Umfeld abhängig. Übergeordnet aber stellen wir fest: Um lange am Markt überleben zu können, musst du dich anpassen können.

Sehen Sie den Faktor Effizienz vor allem wichtig, um Kosten einzusparen?

Es geht auch um die Reduktion des Verbrauchs von Ressourcen und Vermeidung von Abfall und Verschwendung. Bei der Effizienz von Prozessen haben wir wiederum den Betriebsaufwand im Blick. Je schneller und einfacher Unternehmensprozesse gestaltet sind, desto nutzerfreundlicher sind sie und erfordern weniger Aufwand für die Menschen. Auch hier wieder gibt es aber nicht die eine Lösung, sondern wir fördern und fordern die Etablierung einer Geisteshaltung für Nachhaltigkeit, für Veränderungsfähigkeit, für das Heben des kreativen Potenzials der Mitarbeiter*innen. Wie das von Fall zu Fall dann aussieht, erarbeiten wir gemeinsam mit unseren Kunden. Auch die Beratung hat sich in den letzten Jahren verändert.

In welcher Weise?

Es wird mehr Aufmerksamkeit auf die Auswirkungen von Veränderungen gelegt, die auf die Menschen zukommen. Wenn Mitarbeiter*innen Lösungen und Prozesse mitgestalten können, sind Projekte erfolgreicher und Veränderungen werden angenommen. Hier stehen wir als Technologieberater dezidiert nicht für Projekte zur Verfügung, die vornehmlich auf den Abbau von Arbeitsplätzen zielen. Wenn ich mit einem Chatbot eine Hilfestellung für das Helpdesk schaffe, um Standardfragen der Kund*innen effizient zu beantworten, spielt das Ressourcen bei den Servicedesk-Mitarbeitenden frei. Uns ist dann wichtig, wie diese frei gewordenen Ressourcen sinnvoll in anderen Stellen im Unternehmen einsetzbar sind, mitunter auch über Weiterbildungsprogramme. Empathie für den Menschen im Mittelpunkt endet nicht an der eigenen Unternehmensgrenze. Wir  kommen in einen Konflikt mit unserer Wertehaltung, wenn die angepeilte Konsolidierung und Prozessoptimierung ausschließlich nur auf einen Mitarbeiterabbau abzielt.

Wo sollte man bei Veränderungen in Unternehmen zuerst ansetzen?

Man sagt: Es gibt die einfache Lösung – und es gibt die richtige Lösung. Im Englischen heißt es, das ich „Responsibility“ delegieren kann, aber niemals „Accountability“. Letztverantwortlich ist immer die Unternehmensführung. Und es geht nicht nur um die Nachricht, sondern auch darum, wer sie überbringt. Das Top-Management muss die Richtung vorgeben und daher den Grund und die Idee seinen Mitarbeiter*innen direkt kommunizieren. Die Folgen für den Arbeitsplatz Einzelner kann dann im Team-Lead oder mit dem Personalmanagement besprochen werden.

Was wird oft auch falsch gemacht?

Unternehmen brauchen Mut und Ehrlichkeit, ihre Stärken und Schwächen zu erkennen und ebenso, einen ehrlichen Blick von außen zuzulassen. Berater müssen dazu integer auftreten. Was kann der Unternehmenskunde, was kann er nicht? Dieser ist meist großartig in seinem Kerngeschäft, hat aber möglicherweise wenig Ahnung von Softwareentwicklung. Anstatt eine eigene Abteilung aufzubauen kann man das Thema an Partner auslagern. Softwareentwicklung wird in seiner Komplexität gerne unterschätzt. Wird es aber nicht richtig umgesetzt, geht das auf die Schnelligkeit einer Organisation. Die Unternehmen sollten immer das Domänenwissen ihrer Mitarbeitenden im eigenen Haus halten. Die Expertise für Software- oder Cloud-Themen aber können auch Dritte bereitstellen.

Auch ist wichtig zu erkennen, dass sich nie Organisationen ändern, sondern stets Menschen. Jede Führungskraft weiß von „Change Management“, trotzdem vernachlässigen es viele. Bei Veränderungen im Unternehmen muss eigentlich jedes Individuum gezielt abgeholt werden. Menschen haben eigene Bedürfnisse, Geschwindigkeiten, Ängste oder Widerstände. Erst wenn sich eine kritische Masse an Individuen verändert, ist auch die Transformation einer Organisation möglich.

Wie ich eine Cloudumgebung baue, oder die Wahl zwischen ChatGPT oder GitHub Copilot – in Technologieprojekten macht die Technologie meist nur den kleineren Teil des Erfolgs aus. Die größere Komponente ist die Kultur, das Zwischenmenschliche.

Können Sie dazu ein Beispiel geben?

Wir haben in der Vorbereitung einer konzernweiten Cloud-Strategie für einen Kunden in der Gaming-Industrie aus dem IT-Bereich und den Tochtergesellschaften erfahren, dass sich die Teams mehr eigene Verantwortung für die eingesetzten Systeme wünschen. Auch der Group CIO war einer Aufgabenverteilung sehr offen eingestellt. Das hätte aber auch neue Kostenverantwortungen bedeutet und damit ein Hinterfragen der bisherigen Prozesse in der Wertschöpfungskette. Rund um die Dezentralisierung spricht man dann auf einmal mit dem CFO über Budgetierungen und ist mitten in einer Organisationsentwicklung mit neuen Strukturen und Arbeitsweisen. Technologie hat diese Veränderung angestoßen. Sie ist aber zu einem kleinen Faktor geworden.

Was macht den idealen Berater aus?

Wir sind in der besonderen Rolle, Unternehmen nicht nur bei Projekten zu beraten, sondern diese auch umsetzen zu können. Dieser integrierte Ansatz erleichtert von Anfang an eine vertrauensvolle Partnerschaft. Nagarro selbst lebt die Idee der „Fluidic Enterprise“. Mit der völligen Abkehr von Hierarchien setzen wir auf eine netzwerkartige Organisation, die sich mit den unterschiedlichen Leistungen am Unternehmenskunden ausrichtet. Es gibt einen zentralen Ansprechpartner für den Kunden, entlang des gesamten Lebenszyklus der Geschäftsbeziehung – von Beratungsdienstleistungen über Softwareentwicklung, Qualitätssicherung und vielleicht auch Innovationsthemen. Dahinter stehen dann Expert*innen zu unterschiedlichsten Themen bereit, auf die wir weltweit zugreifen können.

Diese Flexibilität ermöglicht eine Offenheit auch bei der Technologiewahl in den Projekten. Natürlich gibt es übergeordnet Blueprints mit festgelegten Zielen. Doch die Lösungen im Detail entstehen gemeinsam mit den Menschen vor Ort bei den Kunden. Die Fachabteilungen selbst stehen vor den Problemen und Herausforderungen, sie haben die Informationen dazu. Es wäre vermessen, dieses Know-how nicht zu nutzen.


Mehr zum Thema Beratung in Transformationsprojekten: "Das Ende des Leuchtturms"

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