Noch größer, noch prominentere Gäste, und vor allem: noch mehr Hightech. die Digital X soll zum Aushängeschild für Deutschlands Innovations- und IT-branche werden. Dafür zieht die Deutsche Telekom alle Register. Lohnt sich der Aufwand?
»Dass es mal so groß wird, so fulminant, damit habe ich nicht gerechnet«, staunte Schirmherr Hagen Rickmann, als er die Digital X am 20. September vor versammelter Presse eröffnete. Bescheiden muss er beliebe nicht sein – die Veranstaltung ist zu einem Megaevent avanciert, das nicht nur mit renommierten Redner*innen wie ABBA-Legende Björn Ulvaeus oder Schauspieler George Clooney wirbt, sondern auch mit hochaktuellen Themen wie KI, Nachhaltigkeit, Connected Business und Sicherheit. Darüber hinaus bietet es eine Plattform für über 300 B2B-Partner und Start-ups aus 48 Ländern, für Networking und Wissensaustausch. Es gab sogar Anleitungen im Internet, wie man auf der Digital X Partnerschaften knüpft. 50.000 Tickets hat die Telekom heuer vergeben, der Event war ausverkauft.
»Es geht darum, dass wir uns informieren, dass wir uns schlau machen, aber auch vor allen Dingen eins: Dass wir Enthusiasmus erzeugen und unsere Unternehmen inspirieren und ihnen zeigen: Digitalisierung lohnt sich definitiv. Für Ihr Unternehmen, für Ihre Kunden, aber besonders für den Wirtschaftsstandort Deutschland«, rief Hagen Rickmann von der Bühne. Die Digital X soll ähnlich wie die frühere Cebit oder der Fachkongress Dreamforce werden, aber eben auch etwas Eigenes – nämlich »ein Vorbild für ganz Europa«. Deutschland, ein Digitalisierungsvorbild?
Moderiert wurde der erste Tag des Events von Barbara Schöneberger, hier mit Stargast George Clooney und Hagen Rickmann, vormalig Leiter des Geschäftskundenbereichs der Telekom Deutschland. Rickmann hat den Konzern überraschend Mitte Oktober verlassen. (Foto: Deutsche Telekom)
Wackelkandidat Europa?
Fragt man den Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Telekom, Timotheus Höttges, braucht es nicht nur mehr Aufmerksamkeit fürs Thema Digitalisierung, sondern auch mehr Kampfgeist. In den Medien »überschlagen wir uns mit Defätismus«, kritisiert er in seiner Keynote auf dem Event. Wer aber wirklich erfolgreich sein wolle, der brauche eine schonungslose Diagnose – und vor allem einen Schlachtplan. »Scheuklappen auf und gegen den Trend schwimmen«, empfiehlt er. Von Vier-Tage-Woche oder Work-Life-Balance hält Höttges hingegen wenig. Der Telekom-Vorstand ist dafür bekannt, dass er gerne provoziert. Die radikale Transparenz, die er fordert, setzt aber auch beim eigenen Konzern an.
Während nämlich in Europa bereits seit Jahren der Umsatz im Telekommunikationsmarkt sinkt, finanziert hauptsächlich die US-Tochter T-Mobile das deutsche Internet-Infrastrukturprojekt. In den Staaten laufen die Geschäfte deutlich besser – auch dieses Jahr rechnet die Deutsche Telekom mit einem US-EBITDA von 24 Milliarden Euro, für Europa und Deutschland wird mit vier respektive zehn Milliarden Euro knapp die Hälfte an Ergebnis erwartet. Grund sind laut Höttges gestiegene Energiekosten, Krieg und Krisen – aber auch, dass der EU ein Plan für die Digitalisierung fehle.
Ganz im Gegensatz zu den USA, wo bereits die zweite Welle des 5G-Ausbaus läuft. »Die Gesellschaft fordert mehr Investitionen in Infrastruktur. Dadurch ist der Investitionsdruck deutlich gestiegen. Weniger Umsatz, mehr Investitionen «, klagt Höttges. 210 Euro würden in den USA pro Kopf in digitale Infrastruktur investiert. In Europa seien es nur 104 Euro. Selbst investierte die Deutsche Telekom 2022 konzernweit rund 21 Milliarden Euro in den Aufbau und Betrieb von Netzen, davon rund 4,4 Milliarden Euro allein in Deutschland.
Tim Höttges, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Telekom, sieht Deutschlands und Europas Wettbewerbsfähigkeit unter Druck. Er fordert eine schonungslose Diagnose von der Wirtschaft, aber auch der Politik. (Foto: Deutsche Telekom)
Ist das zu wenig? Zu der ewigen Debatte um den Netzausbau passt auch die Frage, wer dafür eigentlich bezahlen soll: Die Netzbetreiber – oder doch die Internetkonzerne, die die Netze für ihre Dienste nutzen? Aktuell zahlen diese »genau null Cent « (Höttges), obwohl die Nutzung von Netflix, Youtube oder Google einen Großteil des Datenverkehrs verursacht. Neben der Deutschen Telekom setzen sich auch Vodafone und Orange dafür ein, dass Hyperscaler sich an europäischen Infrastrukturinvestitionen beteiligen sollten. In der EU wird das Thema unter dem Begriff »Fair Share« seit Jahren diskutiert – Länder wie Dänemark, Finnland, Irland und Schweden sind dagegen, Frankreich und Spanien dafür.
Auch Österreich hat sich zuletzt gegen eine Einführung von Abgaben ausgesprochen. Florian Tursky, Staatssekretär für Digitalisierung, fürchtet, dass die Anbieter die Kosten an die Konsument*innen weiterreichen, die dann doppelt belastet würden. »Zudem sehe ich die Netzneutralität durch eine solche zusätzliche Abgabe in Gefahr«, so Tursky im März. Vorbilder für eine solche Internetsteuer finden sich allerdings auch – zum Beispiel in Südkorea, wo alle Anbieter größenunabhängig eine Netzgebühr zahlen. Gleichzeitig ist Südkorea laut einer aktuellen Statistik der OECD weltweiter Vorreiter beim Glasfaserausbau. Deutschland und Österreich rangieren auf Platz drei und vier – von unten.
Auf Ideenschau
Schuld an der schlechten Ausbauquote in Deutschland und Österreich ist jedenfalls nicht nur Fair Share – sonst stünden Spanien, Island und Schweden beim Glasfaserausbau nicht so weit vorne. Und sieht man sich auf der Digital X um, so hat man nicht das Gefühl, Europa sei abgehängt – im Gegenteil. Aus einer Fahrerkabine in Köln heraus wurde ein österreichischer Porsche über eine Rennstrecke gejagt – mit Übertragungslatenzen von gerade einmal fünf Millisekunden. Besucher*innen konnten mit einem Rudel Roboterhunden »spielen«, durch Tanzen auf kinetischen Fliesen ihr Handy aufladen oder sich ins »Home-office« für Minen-Baggerfahrer setzen.
Das Studio AATB untersucht, wie Mensch und Maschine miteinander interagieren und kreiert Szenarios für Kunstprojekte, in denen Roboterhunde im Rudel durch verlassene Landstriche ziehen. (Foto: Bloos)
Für zwei Tage verwandelten sich die kölschen Cafés in Popup-Stores, in denen Unternehmen ihre Use-Cases und Innovationen live vorstellten. Den Spazierenden im Stadtpark beziehungsweise Start-up-Garten standen mehr als 70 junge Entrepreneur*innen Frage und Antwort. Prominent waren dieses Jahr vor allem Lösungen zum Thema Nachhaltigkeit, KI und Sicherheit: Zum Beispiel enerthing, ein Startup, das Photovoltaik-Filme für autarke IoT-Sensoren entwickelt oder Code Intelligence, das eine KI entwickelt hat, die Sicherheitslücken in bereits bestehendem Code entdecken kann, indem sie selbstständig Tests schreibt.
Boost für Startups
All die auf der Digital X vertretenen Startups sind Teil des TechBoost-Programms der Telekom, eine Plattform, die junge Unternehmer*innen mit Business-Knowhow unterstützt und mit etablierten Playern zusammenbringt. Geschäftskunden der Telekom können auf die Lösungen aus dem TechBoost Startup-Portfolio für ihre Projekte zurückgreifen.
Mehr dazu unter: https://techboost.telekom.com
Einen Spirit für Digitalisierung schaffen
Ins Leben gerufen wurde die Digital X ursprünglich im Jahr 2018, um eine Leere zu füllen, die besonders im mittelständischen Bereich herrschte. Man wollte sich zu Digitalisierung informieren - ohne aber lange nach zeitaufwändig recherchieren zu müssen. Durch den Event sollten Anbieter und Anwender einfacher zueinander finden. Zum Beispiel zum Scaleup SoSafe. Das Unternehmen bietet individualisierte IT-Sicherheitskurse für Mitarbeiter*innen an und testet deren ‘Abwehrkräfte’, beispielweise durch Phishingversuche per Mail. Damit trifft SoSafe einen wunden Punkt – ist doch der Mensch Sicherheitsproblem Nummer eins. Dieses Jahr war das Unternehmen als einer der Hauptsponsoren der Digital X mit eigenem Stand vertreten.
Volker Trometer, Channel Parter Manager bei SoSafe, zeigt sich im Rückblick positiv überrascht: »Die Digital X bildet einen angenehmen Kontrast zu normalen Messen. Durch die unterschiedlichen Locations in der ganzen Stadt ist jeder Stand individuell, weniger ‚aufdringlich‘, es herrscht einfach ein ganz anderes Flair.« Das allgemeine Feedback sei gut gewesen, und die Brand-Awareness habe auch durch die Partnerschaft mit der Telekom ebenfalls stark zugenommen. Wie viel das Event aber in Zahlen bringt, ließe sich noch nicht sagen.
Man hofft natürlich, dass sich aus dem Dialog mit Besucher*innen auch Geschäftsbeziehungen ergeben, erklärt Martin Atassi, Senior Manger & Lead Austria bei axxessio. Axxessio bietet Beratungen zur digitalen Transformation an und war ebenfalls zum zweiten Mal mit einem Stand dabei. Das offene Konzept habe aber auch Nachteile logistischer Natur: »Das weitläufige Gelände macht es schwieriger, Laufkundschaft zu gewinnen, die einfach so vorbeischlendert. Man muss sich wirklich etwas einfallen lassen, um Menschen anzuziehen.« Axxessio hatte extra dafür einen Showcase entwickelt: Besucher*innen konnten einer sprachbasierten KI ihr Traumhaus beschreiben – diese baute das Gebäude mithilfe verschiedener Ingenieurssoftwares digital nach.
Trotzdem ist Atassi zufrieden: »Es wurde sehr gut angenommen - unsere Erwartungen wurden erfüllt.« Und: Die Stimmung auf dem Event sei toll gewesen – und die Begeisterung zum Thema Digitalisierung spürbar. »Deswegen braucht es für mich die Digital X – nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch und gesellschaftlich.« Einen Spirit für die Digitalisierung schaffen - so sieht er es - sei schwer, aber etwas, dass Europa und Deutschland dringend brauchen.
Demokratische KI
Ähnlich spricht sich die Star-Wissenschaftlerin Amy Webb auf der Digital X aus: Innovation »made in Germany« gibt es - es bräuchte allerdings bessere Rahmenbedingungen, zum Beispiel weniger Bürokratie - und eine richtige Vision zur Digitalisierung. Dann, so Webb, hätten Deutschland und Europa eine Chance, besonders bei KI eine Führungsrolle zu übernehmen: Bei der Schaffung einer KI, die nicht nur genial ist, sondern ethisch analysiert und agiert; als auch bei der Frage, wer eigentlich über all diese Daten bestimmen soll (und darf) und welchen moralischen Regeln sich Unternehmen hier beugen müssen. Nachhaltige Designs und verantwortungsbewusst entwickelte Technik, die den Menschen nützt - auch dafür gab es einige Beispiele auf der Digital X. Hier könnte sich Europa eine Vorreiterrolle erarbeiten.
Futuristin Amy Webb und Claudia Nemat, Vorstandsmitglied der Deutschen Telekom, sprachen auf der Inspiration Stage über den Digitalisierungsstandort Deutschland. Sie sind sich einig: Statt »German Angst« braucht es mehr »German Selbstvertrauen«. (Foto: Deutsche Telekom)
Womöglich ist es genau das, was den Event erfolgreich macht: Dass sie es schafft, in einem Land, das nicht gerade für Digitalisierung bekannt ist, das Gefühl von Silicon Valley zu erzeugen. Und: Diese Stimmung in die Unternehmen, aber auch über die Grenzen der Wirtschaft hinweg zu tragen.