Obwohl Studien bestätigen, dass Frauen für die IKT-Branche hochkompetent sind, ist ihr Anteil noch verschwindend klein. Es gilt, Diversität in der Arbeitswelt voranzutreiben – nicht zuletzt als Maßnahme gegen den Fachkräftemangel.
»Vor einigen Jahren hatten wir noch 10.000 offene Arbeitsplätze, mittlerweile sind wir schon bei über 30.000«, kennt Julia Katovsky, die bei ETC strategische Projekte im IT-Bereich für Aus- und Weiterbildungen managt, den aktuellen Fachkräftemangel. Der größte Bedarf herrscht österreichweit im Bereich Software Engineering und Web Development. IT-Unternehmen können ihren Bedarf an Fachkräften insgesamt nur zu 75 % decken. Der Frauenanteil liegt in der IT bei 18 bis 20 %, die meisten Frauen sind in Geschäftsfeldern wie Sales und Marketing tätig. Im technischen Bereich beträgt er nur 11 bis 13 %.
Hoher Level
Wie Studien zeigen, können Frauen genauso gute »Systemadminstratoren«, »Frontend- und Backend-Entwickler« und Data Scientists wie Männer sein. »Vor allem Alleinerzieherinnen beweisen beste Managementqualitäten und sind wahre Organisationstalente«, meint Margarete Kriz-Zwitkovits, Vorstandsvorsitzende von Frau in der Wirtschaft Wien. Eine der Hauptursachen des IT-Fachkräftemangels und des geringen Frauenanteils liegt laut Fachverband UBIT in der IT-Bildung in Österreich. Nur 19 % der IKT-Bachelor-Studierenden sind Frauen – eine Erhöhung des Frauenanteils bei IKT-Studienabschlüssen um zehn Prozent würde ein Plus von gut 1.500 Absolventinnen bedeuten.
Als Gründe für die geringe Präsenz nennt die aktuelle Studie »MINTality«, verfasst von der FH Oberösterreich im Auftrag der MINTality-Stiftung, vor allem das fehlende Interesse von Frauen an MINT-Fächern, aber auch Versagensängste und Selbstzweifel. Frauen würden sich oft zu wenig zutrauen. »Wenn in der Job Description zehn Anforderungen verlangt werden und Frauen erfüllen nur acht, sind sie weniger motiviert, sich zu bewerben«, nennt Katovsky ein Beispiel. Männer dagegen bewerben sich auch, wenn sie nur drei oder fünf Anforderungen erfüllen.
»Werden männliche und weibliche Sichtweisen zusammengefügt und unterschiedliche Aspekte verbunden, ergibt das einen Vorteil für jedes Unternehmen«, ist Margarete Kriz-Zwittkovits, Vorsitzende von Frau in der Wirtschaft Wien, überzeugt. (Foto: Florian Wieser)
Dazu kommt, dass sich Frauen in Bewerbungsgesprächen oft nicht so gut verkaufen. In diesem Zusammenhang fordert Katovsky, dass Unternehmen ihre Jobausschreibungen überdenken. Die Erwartungshaltung und die Anforderungen, die in manchen Jobausschreibungen angeführt sind, und die Gehälter, die ein Unternehmen bereit ist, dafür zu zahlen, passen oftmals nicht zusammen. Firmen müssen realistischer vorgehen und die Anforderungen an den echten Bedarf anpassen. Kriz-Zwitkovits fordert ein proaktives Herangehen an Teams. Mädchen sollten nie allein in klassischen männerlastigen Bereichen arbeiten, es brauche zumindest zwei, damit sie sich gegenseitig stärken.
Bildungsreform gefragt
Während der Grund- und Sekundarschulbildung gibt es laut McKinsey noch keine Hinweise darauf, dass Burschen besser in Mathematik oder Informatik sind als ihre Klassenkameradinnen. Trotz dieser Parität zeigt sich ein erster Absturz von etwa 18 Prozentpunkten bei Frauen, die sich für eine universitäre MINT-Disziplin einschreiben. Der Rückgang ist mit 31 Prozentpunkten noch signifikanter bei Frauen, die ihre akademische Ausbildung in einer IKT-Disziplin absolvieren. Als Grund für diese große Differenz sieht Katovsky durchaus auch die wenig ansprechenden Namen der Studien.
Julia Katovsky, ETC, Mentorin im Rahmen von SHE goes DIGITAL:
»Eine meiner Mentees ist 40 Jahre alt, verheiratet und Mutter von zwei Kindern. Bislang war sie im Sozialbereich tätig, die Covid-Krise hat sie zu einem Wechsel in den IT-Bereich veranlasst. Ich habe sie hinsichtlich Weiterbildung beraten. Sie hat dann beim IT-Bootcamp teilgenommen, das vor allem Inhalte wie Cloud Computing und KI näherbringt. In diesem Rahmen gibt es auch Unternehmertage, interessierte Teilnehmerinnen können sich vorstellen. Nun ist sie bei Communardo, einem Microsoft-Partner als Cloud Sales Managerin beschäftigt.«
(Foto: ETC)
Laut FH Oberösterreich präferieren Frauen IT-Studien, die interdisziplinär und gut strukturiert sind. Bei einem europäischen Vergleich des Frauenanteils in Bachelor-Studiengängen erkennt man, dass überdurchschnittlich viele Frauen im Bereich der Naturwissenschaften studieren, zum Beispiel Biologie (66 %), Chemie (52 %), Physik (30 %), aber auch in Mathematik sind mit 36 % in Österreich relativ viele Frauen zu finden.
Ein Blick auf Informatik- und Technikstudiengänge zeigt ein anderes Bild: Dort befinden sich nur knapp 19 % respektive 21 % Frauen in einer tertiären Ausbildung. Es bedarf laut MINTality-Studie auch hier vermehrt Anstrengungen, um Ingenieurswissenschaften und Informatik attraktiver zu gestalten. Bei Frauen sollte die Bedeutung der MINT-Berufe und MINT-Kompetenzen für den Klimaschutz und das Gemeinwohl aller deutlicher kommuniziert werden.
Diversität treibt voran
Inwieweit stimmen Sie den folgenden Aussagen zu? (Aus der Umfrage Initiative #SheTransformsIT):
92 % sagen: Gemischte Teams tragen zu einem besseren Betriebsklima bei.
75 % sagen: Der Frauenanteil fördert Produktivität und Kreativität in Teams bzw. im Unternehmen.
74 % sagen: Ohne Frauen verspielt die IKT-Branche ihre Zukunft.
59 % sagen: Ohne Frauen wird die IKT-Branche das Fachkräfteproblem nicht lösen können.
Divers bedeutet innovativ
»Es ist erwiesen, dass mehr Diversität zu besseren Unternehmensergebnissen führt«, argumentiert Caroline Wanek, Head of HR und Application Services bei Capgemini Österreich. In männerdominierten Bereichen ist die weibliche Perspektive besonders wichtig und notwendig. Heutzutage sind Kommunikationsstärke, Empathie und Teamfähigkeit sehr gefragt – und genau hier punkten Frauen, wie zahlreiche Studien belegen. Arbeitswelten, in denen Frauen und Männer gemeinsam tätig sind, gestalten sich ausgeglichener und stabiler im Umgang.
»Mit Women@Capgemini vernetzen wir Mitarbeiterinnen rund um den Globus und unterstützen deren Austausch«, engagiert sich Caroline Wanek, Capgemini, für die Förderung von Frauen in Technikberufen. (Foto: Capgemini)
»Bei dem eklatanten Mangel an Fachkräften, wie wir ihn aktuell haben, ist die Geschlechterfrage ein Luxus, den wir uns nicht erlauben können«, stellt auch Iris-Sabine Bergmann, Nagarro, fest. »Es gelingt uns immer besser, die Balance auf natürliche Weise herzustellen, indem wir als Arbeitgeber vielseitige Jobprofile und attraktive Rahmenbedingungen anbieten.« Das Technologieunternehmen hat global das »Glass Lens Program« gestartet, eine Initiative, bei der Frauen weltweit im kleinen Kreis mit Führungskräften diskutieren. »Es ist eine Art Initialzündung für die kritischen, diskursfreudigen, aber auch zurückhaltenden, um ihre globalen Netzwerke nicht nur von Frau zu Frau zu stärken«, informiert Bergmann.
Katrin Heiderer, Softwareentwicklerin und Technical Agile Coach bei Nagarro:
»Zuerst habe ich Medientechnik studiert, Mitte 20 bin ich in die Welt des Programmierens gewechselt.« Katrin Heiderer berichtet vom jüngsten Töchtertag: »Ich war sehr erstaunt, wie kreativ und initiativ junge Mädchen sind.« Die nächste Generation werde sicher nicht mehr mit der Frage konfrontiert: Was? Du willst Informatik studieren? »Solche Reaktionen habe ich vor 15 Jahren noch erhalten. Es hat mich aber nicht abgehalten, in diesen Bereich zu gehen. Ich erlebe bei Nagarro eine sehr große weltweite Developer-Community. Entwickler*innen brauchen Vielfalt und verschiedene Blickwinkel, sowohl vom Alter wie vom Geschlecht«, betont sie die Bedeutung von Diversität.
(Foto: Nagarro)
Dass sich die Teamkultur zum Positiven ändert, bestätigt auch das BRZ. »In gemischten Teams steigt die Innovationskraft, zusätzliche Perspektiven fließen etwa in die Usability der BRZ-Applikationen ein«, so Myriam Mokhareghi, Abteilungsleiterin Human Resources und Gleichbehandlungsbeauftragte. Ein Blick auf die Wirtschaft zeige aber, dass das ungenutzte Potenzial der Diversität gerade in der IT nach wie vor enorm ist. Für Mokhareghi bedarf es mehr Information über die Vielfalt von Berufen, denn IT-Jobs erfordern mehr als nur herausragende Algorithmen-Kenntnisse.
Mehr Frauen in die IT
Bei zahlreichen Mitmachstationen konnten Mädchen beim »Girls! Tech up« des Österreichischen Verbands für Elektrotechnik im Oktober vieles selbst ausprobieren. (Foto: OVE_Lunghammer)
Branchenweit werden bereits von vielen Initiativen und Unternehmen Maßnahmen gesetzt, um den Frauenanteil zu erhöhen – hier ein kurzer Einblick:
- Das Projekt »SHE goes DIGITAL« bietet auch heuer wieder kostenlose Workshops, Job-Shadowing, Mentoring-Programme, Bootcamps und Coding Sessions, um Mädchen und Frauen für IT-Berufe zu begeistern. 2022 nutzten 130 Teilnehmerinnen die Chance, in 22 Unternehmen direkt in digitale Jobs hineinzuschnuppern. Heuer beteiligen sich doppelt so viele Betriebe an der Aktion.
Bis 15. Dezember 2023 kostenlos anmelden: www.skills-campus.at/shegoesdigital
- Mit zwei Lehrgängen spricht das »thenewITgirls Boostcamp« digitalaffine und technologieinteressierte Frauen an, die an einem Quereinstieg in die IT interessiert sind. Info: www.thenewitgirls.com
- Die FH Technikum Wien vergab heuer bereits zum zweiten Mal den »WeCanTech Award«. Der Preis wurde ins Leben gerufen, um hervorragende Studentinnen als Role Models vor den Vorhang zu holen.
- Der »amaZone Award« in Wien wird vom Verein sprungbrett in Kooperation mit den Sozialpartnern durchgeführt und zeichnet Betriebe aus, die sich für Mädchen in technischen Berufen während der Ausbildung engagieren.
- Auch das BRZ setzt viele Initiativen, wie etwa eine BRZ FemCareer Night oder die Teilnahme an »SHE goes DIGITAL«. Im Projekt »Kompass« lernen Frauen mit Migrationshintergrund die Karriereoptionen im BRZ kennen, ein Cross-Mentoring-Programm soll zu Führungskarrieren ermutigen. Die WOMENinICT-Botschafterinnen des Verband Österreichische Software Innovationen (VÖSI) stehen als Mentorinnen zur Verfügung. Info: voesi.or.at