Internetforen und Soziale Medien sind heute Tummelplatz oft organisierter, meistens rechter Hetzmobs. Der Satiriker Jan Böhmermann will das ändern.
Mobbing, Hetze gegen politische Gegner, Minderheiten, Flüchtlinge, Juden, Andersdenkende, Verschwörungstheorien und Gewaltfantasien: Es war schon einmal gemütlicher im Internet. Wer Kommentarforen in Online-Medien liest oder auch nur Soziale Medien wie Facebook oder Twitter nutzt, kommt nicht an ihnen vorbei: Menschen, deren Hauptbeschäftigung es zu sein scheint, ihren Hass auf die Welt möglichst laut auszukotzen, die eigene radikale Meinung zu vertreten und gezielt zu höhnen, zu belästigen und zu beleidigen.
Seit 2014, als der Journalist Timo Steppat in seinem SZ-Text »Ich bin der Troll« einen solchen bekennenden Unruhestifter im Netz porträtierte, hat sich viel geändert – und nicht zum Guten. Natürlich sind auch heute noch wie damals einsame Querulanten als Trolle unterwegs, immer öfter organisiert sich ganz gezielte Hetze aber generalstabsmäßig im Netz. Mit militärischer Diktion und strammer Organisationsstruktur machen Netzwerke wie »Reconquista Germanica« mit allen Mitteln systematisch Stimmung gegen Flüchtlinge, organisieren neurechte »Bewegungen« wie die soeben in Österreich angeklagten Identitären Online-Protest und versuchen Twitter-Netzwerke ihre Nachrichten gezielt und auch mithilfe von Bots an die große Öffentlichkeit zu pushen. Der Hass im Netz wird heutzutage mit System geschürt – mit Falschmeldungen, organisierten Kampagnen und gezielter, konzertierter Belästigung und Hetze gegen einzelne unliebsame Gegner.
Das Internet zurückerobern
Jan Böhmermann hat davon genug. Der TV-Satiriker des ZDF, der vor allem durch seinen drohenden Beleidigungsprozess gegen den dünnhäutigen türkischen Reservesultan Erdogan einer großen Öffentlichkeit bekannt ist, hat in seiner Sendung zur Wiedereroberung des Internets von rechten Hass-Trollen aufgerufen. Unter dem Namen »Reconquista Internet« hat sich innerhalb kürzester Zeit eine Bürgerbewegung mit 60.000 Mitgliedern formiert, um dem Hass im Netz gemeinsam entgegenzutreten. Ziel sind gemeinsame, koordinierte Aktionen, um verletzenden, beleidigenden und volksverhetzenden Äußerungen radikaler Netzaktivisten »mit Vernunft und Anstand« zu begegnen. Man will die überdurchschnittlich aktive Minderheit koordinierter Trolle bloßstellen, die negativen Einfluss auf den öffentlichen Diskurs hat.
Die ersten Schritte dahin sind jedenfalls provokant: Böhmermanns Bewegung veröffentlichte auf ihrem Chatserver IP-Adressen, Pseudonyme und Twitternamen tausender rechter Aktivisten, aber auch von jenen, die etwa einer gewissen Anzahl dieser ausgemachten Trolle auf Twitter folgen. Im witzig-martialischen Aufruf zum Start der Bewegung deutete Böhmermann, vermummt mit Schihaube und Stahlhelm, an, dass Teile dieser Informationen über die teils strafrechtlich belangbaren Trolle bereits an Polizei und Verfassungsschutz übergeben worden seien.
Die Trolle trollen – ist das die Lösung? Ein »Ehrenkodex« mit zehn Regeln soll sicherstellen, dass »Reconquista Internet« nicht selbst mit fragwürdigen Methoden agiert, dennoch gab es auch Kritik – vor allem die algorithmische Ermittlung von »Verdächtigen« sei fehleranfällig und würde unter Umständen die Falschen an den Pranger stellen. Dass sich dennoch innerhalb weniger Wochen 60.000 Internetnutzer für das Projekt begeistern konnten, zeigt aber eines: Der Wille, den willkürlich vergifteten öffentlichen Raum Internet wieder freundlicher zu gestalten, ist da. Vielleicht wird ja mehr daraus als ein weiteres Stück Mediensatire.