Sonntag, Dezember 22, 2024
Zukunft der IT, Zukunft der Gesellschaft
Fotos: Milena Krobath/Report

Automatisierung, Blockchain und künstliche Intelligenz: In der digitalen Transformation werden Geschäftsprozesse verbessert und neu geformt. Welche Veränderungen ergeben sich aus dem technischen Fortschritt? Welche Rolle wird in Zukunft noch der Faktor Mensch spielen?

Der Report veranstaltete am 1. März bei Microsoft in Wien ein Publikumsgespräch zu den Chancen und Herausforderungen assistierender Systeme, automatisierter Prozesse und neuer Technologie für den Wirtschaftsstandort Österreich und unsere Gesellschaft. Die Partner der Veranstaltung waren Fujitsu, Anecon, Navax und Microsoft.

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Report: Wie ändert Digitalisierung unseren Arbeitsalltag? Aus welcher Perspektive betrachten Sie die Herausforderungen dazu?

Renate Weichselbraun, Anecon: Digitalisierung in der Arbeitswelt ist die Vernetzung von Menschen mit komplexen, intelligenten Systemen. Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stellen bei unseren Kunden die Softwarequalität sicher. Der Bedarf dafür ist in den letzten zwanzig Jahren massiv gestiegen. Damals ging es um ein paar Geschäftsanwendungen, heute dagegen ist Software aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken.

Große Herausforderungen sehe ich in der Integration und den Schnittstellen auf technologischer wie organisatorischer Ebene. Es muss auch immer rascher geliefert werden. Hier ist einfach eine agile Vorgehensweise in der Entwicklung gefordert. Das Arbeiten in verteilten Teams ist jedenfalls aus rein technologischer Sicht kein Problem mehr. Die Herausforderung liegt vielmehr im Berücksichtigen der kulturellen Unterschiede.


Foto: Renate Weichselbraun leitet den Bereich Testing Services bei ANECON Software Design und Beratung (momentan findet der Zusammenschluss mit Nagarro GmbH statt).

Digitalisierung ist jedenfalls mehr, als nur Geschäftsprozesse papierlos zu gestalten. Es erfordert schon Mut, Prozesse völlig neu zu denken. Es sollten jedenfalls neue Denkansätze zugelassen werden, um auch auf wirklich neue Lösungen zu kommen.

Report: Welche neuen Geschäftsmodelle können wir noch erwarten?

Renate Weichselbraun: Welche Geschäftsmodelle entstehen, hängt von den Branchen ab – die Technologien sind da. So verändern Virtual- und Assisted-Reality Arbeitsumgebungen. Auch der Einsatz von Google Glass setzt sich im Geschäftsbereich immer mehr durch. Digitale Themen rücken in den Vordergrund. Vor zwei Jahren hätten wir auch nicht geglaubt, dass Themen wie Blockchain eine so große Rolle spielen werden.

Report: Welchen Einsatz von Blockchain-Lösungen erwarten Sie,  Herr Petersmann? Ist die Technologie bereits reif für die Praxis und für konkrete Geschäftsmodelle?

Wilhelm Petersmann, Fujitsu: Definitiv ja. Die Technologie bildet im Wesentlichen eine allgemein zugängliche Buchführung ab, die fälschungssicher ist, dezentral und verteilt verwaltet wird. Sie kommt ohne einen vermittelnden Intermediären aus und ermöglicht den Abschluss von Verträgen über Unternehmensgrenzen hinweg. Blockchain betrifft weit über den Zahlungsverkehr in der Bankenwelt hinaus unterschiedlichste Industrien.

Die große Reederei Mærsk hat bereits heute Blockchain-Prototypen im Bereich des Dokumentenmanagements im Einsatz. Auch im Tourismus ist dies ein Thema, wenn die klassischen Reisebüros durch Blockchain-Technologie möglicherweise obsolet werden. Konsumenten könnten dann direkt mit Anbietern ihre Reisen verlässlich ausverhandeln. Ein weiteres Beispiel: Die AXA-Versicherung bietet in einem Pilotprojekt Kunden der Air France eine Versicherung bei Flugverspätungen an, die ohne weiteres Zutun eines AXA-Betreuers abgeschlossen wird. Mit Hilfe von künstlicher Intelligenz werden Daten zwischen Antragsteller, Versicherung und Fluggesellschaft ausgetauscht, es werden Tarife und Prämien ausgerechnet sowie allfällige Gutschriften überwiesen. Es ist ein typisches Blockchain-Projekt: die Prozesse im Hintergrund laufen hier völlig ohne menschliches Zutun ab.

Report: Bei Blockchain geht es auch im Rechnerleistung. Wie wird sich diese generell weiterentwickeln? Was sind die Herausforderungen hier?

Wilhelm Petersmann: Die Herausforderung bei neuen IoT-Lösungen, bei künstlicher Intelligenz und Big-Data-Analytics ist genau diese Verarbeitung riesiger Datenmengen. Wenn in Industrie-4.0-Umgebungen Daten mitunter in Millisekunden-Intervallen abgegriffen werden, können sich die Mengen, die verarbeitet werden müssen, langfristig auf Petabyte-Beträge summieren. Doch so dicke Leitungen für die Übertragung und Verarbeitung gibt es in der Regel nicht. Die Lösung ist, Daten bereits an den Rändern von Systemen zu verarbeiten – Stichwort ‚Edge Computing‘.


Foto: Wilhelm Petersmann ist Vice President und Managing Director Austria & Switzerland bei Fujitsu.

Fujitsu bietet mit der Technologie Intelliedge gewissermaßen Konzentratoren an, die lediglich Abnormalitäten in zur Verarbeitung weiterleiten. Das kann beispielsweise eine Maschinensteuerung in der Fertigung sein, die mittels Predictive Maintenance überprüft und gewartet wird. Der Konzentrator mit Edge-Funktionalität trifft intelligent eine Auswahl und übermittelt nur noch einen kleinen Teil der Daten.

Wir helfen Unternehmen mit unserem Ansatz der „Digital Co-Creation“ entsprechende Services in dieser digitalen Transformation zu formen und Systeme umzustellen.

Report: Könnte auch Quantencomputing künftig helfen?

Wilhelm Petersmann: Dieses Thema ist sicherlich der große Trend, der derzeit viele beschäftigt. Fujitsu hat auf dem Mobile World Congress im Februar eine besondere Implementierung des Quantencomputers vorgestellt, der aber auf herkömmlicher Halbleitertechnologie basiert. Dennoch arbeitet die Lösung mit flexiblen Zuständen, die sehr viel mehr Schaltzustände als nur 0 oder 1 bieten. Somit können wesentlich mehr Aufgaben gleichzeitig gelöst werden, als es herkömmliche Rechner schaffen würden. Das System ist bereits produktiv und hat den Vorteil, nicht stark gekühlt werden zu müssen, wie es bei Quantencomputern nötig wäre. Es kann bei normaler Rechenzentrumstemperatur arbeiten. Folgender Benchmark: Das Ausrechnen einer optimalen Reiseroute über 30 Städte hinweg würde mit herkömmlicher Computing-Power gut 80 Millionen Jahre benötigen. Tests mit unserer Architektur haben das in den Sekundenbereich verkürzt.

Report: Welche Erwartungen haben Sie, Herr Krizek, wie automatisierte Prozesse unsere Wirtschaft und auch unsere Gesellschaft verändern werden? Gibt es vielleicht heute schon Beispiele, in welche Richtung es hier gehen kann?

Oliver Krizek, Navax: Wir kommen ja eigentlich aus einem eher konservativen Bereich der IT, indem wir seit nun 24 Jahren die Abläufe in Unternehmen auf Software abbilden und umsetzen. So hat Navax auch für die Automatisierung von Prozessen in der Finanzbranche eine eigene Software entwickelt. Hier tun sich kleinere Unternehmen, die FinTechs, oft leichter, als große Unternehmen – bei schlankeren Prozessen beim Kreditantrag, der Bonitätsprüfung und Vertragsabwicklung. Im Bankenbereich könnten heute bereits gut 80 % der Kreditvergaben vollautomatisiert laufen. Dieser Trend hat sicherlich auch negative Effekte, da künftig Konsumenten wohl gläserner werden. Bei einem PKW-Leasingvertrag wird man vielleicht zur Bonitätsfrage einen Einblick auf die Kontobewegungen der letzten Jahre gewähren müssen. Auf der anderen Seite wollen es die Menschen auch bequem haben und schnell gewünschte Dinge erhalten. Da nimmt man dann schon ein gewisses Durchleuchten in Kauf.



Foto: Oliver Krizek ist CEO und Eigentümer der NAVAX Unternehmensgruppe.

Report: Haben wir die richtigen Leute, um IT-Entwicklungen auch in Österreich mitzubestimmen und mitzugestalten?

Oliver Krizek: Die gesamte Branche hat mit einem IT-Fachkräfte-Mangel zu kämpfen. Wir haben tatsächlich Probleme, entsprechende Fachkräfte in Österreich zu bekommen. Gut ein Viertel unserer Mitarbeiter stammen nicht aus Österreich, sondern aus angrenzenden EU-Ländern und vereinzelt auch aus Indien.

Ein Grund für die Personalknappheit sind sicherlich auch die großen internationalen IT-Konzerne, die ganz andere Gehälter als der Mittelstand zahlen können. Es herrscht ein regelrechter Wettkampf um Mitarbeiter, den wir in Österreich besonders spüren. In Ländern wie Deutschland – Navax hat dort die Hauptniederlassung in Köln – sind die Mitarbeiter auch flexibler bei der Wahl des Arbeitsorts. Dass man für den Job von Frankfurt nach Köln umzieht, ist kein Problem. Versuchen Sie jemanden von Linz oder Salzburg nach Wien zu bekommen, oder vice versa. Das ist fast unmöglich. Von Tirol spreche ich gar nicht, da ist es noch schlimmer.

Ausschlaggebende Faktoren der Mitarbeiter der Zukunft werden hohe geistige Flexibilität und soziale Kompetenz sein. Technologie und soziale Kompetenz müssen Hand in Hand entwickelt werden.

Report: Sie verantworten den Bereich künstliche Intelligenz bei Microsoft in Österreich - Gibt es dazu bereits konkrete Projekte, auch mit anderen vielversprechenden Technologien?
 
Geronimo Janosievics, Microsoft: Hier hat sich in den letzten Jahren bereits viel getan. Spracherkennung auf Handys hatte es schon Ende der Neunziger Jahre gegeben, doch erst seit etwa vierzehn Monaten können Maschinen ebenso gut Sprache erkennen, wie es Menschen tun. Die Technologie benötigt noch massiv Rechenleistung und entsprechende Cloud-Infrastruktur. Rechenleistung ist bei der Analyse von Daten – auch Bilddaten – die große Herausforderung, die mittels Parallelverarbeitung ganz gut gelöst werden kann. Wenn ich nicht nur einen, sondern n-Prozessoren einsetze, beschleunige ich Maschinenprozesse massiv.


Foto: Geronimo Janosievics ist Chief Technology Strategist für die Bereiche Data & AI bei Microsoft.

Hardware-Hersteller haben nun erste spezialisierte Chip-Sätze für Standardanwendungen wie Sprach- oder Bilderkennung auf den Markt gebracht. Damit wird auch eine kommerziell leistbare Anwendung möglich, etwa für Menschen mit Körperbehinderungen. Microsoft hat vor Kurzem eine App im iTunes-Store veröffentlicht, mit der die Umgebung, die mit einer Kamera erfasst wird, über Audio beschrieben wird – beispielsweise, welche Gegenstände auf einem Tisch liegen. Das kann Personen mit eingeschränktem Sehvermögen sehr helfen.

Ein anderer Anwendungsfall ist ein Blindenstock, der bei einem Sturz automatisch Dritte alarmiert. Für Unternehmenskunden gibt es weiters schon Anwendungen für die Microsoft Hololens. Mit der Mixed-Reality-Brille können Gegenstände oder Informationen direkt im Blickfeld eingeblendet werden. Einer unserer österreichischen Partner verwendet die Hololens für die Projektion von Gebäudeplänen und -Modellen exakt an jene Stelle, an der ein Haus gebaut werden soll. Benutzer können das Gebäude auch virtuell betreten und durch Räume gehen. Die Brille erfasst Position und Blickrichtung sehr genau, um anderswo vielleicht auch Wartungsarbeiten in einem Gebäude oder an Maschinen oder Leitungen zu unterstützen.

Report: Algorithmen werden also künftig unser Leben mitbestimmen.

Geronimo Janosievics: Ich bin überzeugt, dass sie das bereits heute tun. Mein Smartphone sagt mir in der Früh, wenn ich aufgrund der Verkehrslage zehn Minuten früher losfahren sollte. Vieles wird im Hintergrund automatisiert. Letztlich bekommen wir stets nur das Ergebnis zu sehen. Die Wirtschaft und auch Industrie ökonomischer gestalten – darum geht es eigentlich.
 
Report: Sollten wir diese Zukunft prinzipiell positiv sehen? Andere warnen wiederum vor künstlicher Intelligenz.

Geronimo Janosievics: Ich finde diese Sorge gar nicht übertrieben. Man sollte sich schon im Vorfeld sehr genau überlegen und sollte alle Szenarien technologischer Entwicklungen diskutieren – nicht erst dann, wenn es zu spät ist. Persönlich finde ich AI positiv, da sie den Menschen unterstützen kann. Freilich werden AI-Systeme künftig auch von Kriminellen genutzt werden, um in Systeme einzudringen. Im Cybersecurity-Bereich haben wir seit Jahren ein technologisches Wettrüsten, dabei spielt AI bisher noch gar keine Rolle.

Ich denke, wir alle werden einen globalen Standard für AI-Systeme definieren müssen. In der medizinischen Forschung hatte man das in den Siebziger Jahren für Gentechnik unternommen. Das scheint für diesen Bereich ganz gut zu funktionieren und wäre vielleicht ein Vorbild auch bei dem Thema künstliche Intelligenz.

Report: Wie schaffen wir es, dass neue Produkte und Dienstleistungen von den Menschen auch angenommen werden? Hat man bereits die Rezepte gefunden, die auch für die Zukunft gelten werden?

Renate Weichselbraun: Ganz wichtig ist es, sich stets die Frage zu stellen, für wen Technik gemacht wird. Nicht alles, was technologisch möglich ist, wird auch gebraucht. Bei vielen Unternehmen sind die Bereiche IT und Business nicht immer einer Meinung. Fachabteilungen bekommen mitunter Lösungen vorgesetzt, die keiner benutzen will. Deshalb ist ein enges Zusammenspiel zwischen den Bereichen wichtig.

Auch hat sich die Erwartungshaltung der Anwender geändert. Was früher Begeisterung ausgelöst hat, wird heute als selbstverständlich vorausgesetzt. Applikationen müssen möglich einfach und intuitiv zu bedienen sein und einen Mehrwert bieten. Gleichzeitig bedeutet Einfachheit aber, dass die IT im Hintergrund sehr komplex wird. Bereiche wie Spracherkennung und künstliche Intelligenz sind deshalb für uns wie ein Schlaraffenland. Da gibt es so vieles, das auch schief gehen kann. Es gibt so viele Situationen, die nicht vorhersehbar sind. Doch auch im Testing wird heute viel automatisiert, schon aufgrund der Mengen.

Report: Werden Jobs im Software-Testing durch die Automatisierung wegrationalisiert?

Renate Weichselbraun: Derzeit wird viel mehr Personal in der IT gebraucht, als am Arbeitsmarkt verfügbar ist. Auch wir suchen Fachkräfte und wir wollen personell wachsen. Daher ist unser Zusammenschluss mit Nagarro nicht nur hinsichtlich der internationalen Expertise, sondern vor allem auch hinsichtlich des Personalwachstums ein wichtiger Schritt in die Zukunft. Wegrationalisiert wird nicht, es ist ein Wechsel des Aufgabengebiets. Gerade Routineaufgaben und wiederkehrende, monotone Tätigkeiten – etwa eine neuerlich komplette Überprüfung eines Systems nach einer Änderung – lassen sich gut automatisieren. Das erlaubt mir als Mensch, mich dafür dann wieder auf kreativere Arbeit konzentrieren.

Report: Wird man in Zukunft noch Menschen in den IT-Abteilungen der Unternehmen benötigen?

Wilhelm Petersmann: Es wird mehr Robotics und Automatisierung geben, man wird aber auf jeden Fall noch Menschen brauchen. Triviale Aufgaben wie das Zurücksetzen eines Passworts im IT-Support werden über Spracherkennung automatisierbar sein. Es werden Jobs wegfallen, doch es werden auch neue entstehen.

Als das Automobil seinen Siegeszug angetreten hatte, wurden viele Kutscher arbeitslos, ebenso Pferdezüchter oder Ledermacher. Dafür wurden ganze Industriezweige in der Autozulieferbranche geschaffen. Auch in der IT wird es andere Arten von Jobs geben, die stärker gefragt sind: Datenanalysten, die mit wissensbasierten Systemen arbeiten. Aber das menschliche Gehirn hat vielen Technologien schon noch einiges voraus. Die Technik hat auch ihre Grenzen.

Report: Das Funktionieren unserer Wirtschaft und Gesellschaft heute ist von IT abhängig geworden. Wie kritisch ist eine funktionierende IT-Infrastruktur aus Ihrer Sicht?

Oliver Krizek: Kritisch ist sie mittlerweile in so gut wie jeder Branche. Wenn ich als Beispiel wieder Banken nehme, da sprechen wir mittlerweile von katastrophalen Situationen, wenn Systeme schon nur eine Stunde ausfallen.

Ich bin jedenfalls froh, in der IT tätig zu sein. Es ist eine Branche, die wahnsinnig viel Potenzial in sich trägt, und wir haben die Chance, viele Geschäftsbereiche nachhaltig zu verändern.

Bei der IT ist es wie beim Eishockey: Man sollte nicht dorthin gehen, wo gerade der Puck ist, sondern sollte bereits wissen, wo er hingehen wird. Es gilt aufmerksam zu bleiben, wohin sich Technologien und auch Branchen entwickeln. Das rate ich jedem.

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