In den USA will Trumps neuer Chef der Bundeskommunikationsbehörde die verpflichtende Netzneutralität abschaffen – mit dubiosen Mitteln.
Der Kampf um Netzneutralität wird in den USA und global seit Jahren erbittert geführt. Auf der einen Seite steht eine zunehmend sensibilisierte digitale Zivilgesellschaft, die die Gleichbehandlung allen Internetverkehrs durch Infrastrukturbetreiber mit Zähnen und Klauen verteidigt, auf der anderen steht – das große Geld. Nur zu gern würden sich die großen Internetprovider lukrative Zusatzgeschäfte durch die Aufweichung der Netzneutralität sichern. Zur Erinnerung: Bislang sind, auch in Europa, Internetdienstanbieter verpflichtet, alle Datenpakete bei der Übertragung unabhängig von Sender und Empfänger, dem Inhalt der Pakete und der Anwendung, die diese Pakete generiert hat, gleich zu behandeln.
Die Differenzierung in ein Netz unterschiedlicher Geschwindigkeiten und Prioritäten würde für die Kunden mehr Komfort und Geschwindigkeit bedeuten, beteuert die große Industrielobby. Konsumentenschützer wie die Electronic Frontier Foundation verweisen allerdings darauf, dass sich die großen Anbieter dadurch nur Marktvorteile für eigene Dienste verschaffen würden, dass der Zugang zum Netz, wie wir es heute kennen, dadurch empfindlich eingeschränkt oder verteuert würde und kleinen, innovationsstarken Unternehmen mit guten Ideen so die Möglichkeit genommen würde, mit den Großen zu konkurrieren.
Der von Donald Trump neu bestellte Chef der US-Bundeskommunikationsbehörde FCC, Ajit Pai, hat angekündigt, die 2015 von Barack Obama eingeführten rechtlichen Grundlagen für die Regelung der Netzneutralität zu kippen; schon Mitte Dezember, wenn Sie diese Zeilen lesen, könnte damit in den USA eine neue Ära des gewerblichen Internets angebrochensein. Trotz lauter Kritik von Konsumentenseite, vonseiten prominenter Netzneutralitätsbefürworter und von Internetgiganten wie Netflix, Google, Amazon oder Facebook argumentiert die FCC ihren Schwenk zur Wunscherfüllung der Industrie mit besserem Service für die Kunden, größerer »Freiheit« auf dem unregulierten Markt und höherem Anreiz, die in den USA zum Teil marode Breitbandinfrastruktur auszubauen.
Wenn der tote Opa abstimmt
Die FCC stützt sich dabei auch auf eine öffentliche Umfrage zum Thema, bei der im Sommer über 20 Millionen Stellungnahmen von Konsumenten und Bürgern bei der FCC eingegangen sind; der Großteil, so die Behörde, habe sich dabei für eine Abschaffung der Netzneutralität ausgesprochen und so den kommenden Kurswechsel mitbegründet. Dieser überraschende Ausgang, der sämtlichen sonstigen Umfragen zum Thema widerspricht, hat nur einen Schönheitsfehler: Vermutlich ist das deutliche Ja für das Ende der Netzneutralität groß angelegtem Identitätsbetrug und gezielter Sabotage zu verdanken.
Hunderttausende US-Bürger sahen sich von der Tatsache überrascht, dass ihre angeblich positiven Stellungnahmen zum FCC-Kurswechsel ohne ihr Wissen abgegeben und veröffentlicht wurden. Auch längst Verstorbene scheinen in den Listen der Befürworter des Endes der Netzneutralität auf. Viele der offensichtlich gefälschten Stellungnahmen, die ein Ende der bisherigen Regulierung fordern, bestehen wortgleich aus Stehsätzen der Industrie. Die New Yorker Generalstaatsanwaltschaft untersucht seit mehreren Monaten die dubiosen Vorgänge; das FCC verweigert wegen angeblicher »Überlastung« bislang detailliertere Mithilfe an den Untersuchungen.
Wenn tatsächlich trotz wachsender Proteste die Netzneutralität zurückgenommen wird, werden die Auswirkungen auch global spürbar sein; denn auch in Europa werden die Provider dann aus Gründen des Wettbewerbsgleichgewichts auf ähnliche, schon lang heiß ersehnte Freigaben drängen. Das wäre das Ende eines freien, gleichen Internets, wie wir es bislang kennen.