Montag, Juli 22, 2024

Vor neun Jahren rettete Michaela Englert das Admiral Kino vor dem Zusperren. Seither fließen sämtliche Ersparnisse und Freizeit in ihr »Hobby«. Warum trotz einiger Katastrophen die Leidenschaft überwiegt, erzählt sie im Report(+)PLUS-Interview.

(+) plus: Wie wird man Kino-Besitzerin?

Michaela Englert: Bei mir war es Zufall. Ich wohne im 7. Bezirk ganz in der Nähe und als ich sah, dass dieses Kino Ende 2007 geschlossen werden sollte, rief ich den Betreiber an. Er konnte es kaum fassen, dass sich doch noch jemand dafür interessierte und sagte, ich könne am Montag die Schlüssel haben. Ich hab mir das übers Wochenende überlegt und ihm die Geräte abgelöst. Ich arbeite schon sehr lange in der Filmbranche, operativ hatte ich jedoch nie mit Kinos zu tun. So wusste ich zwar mehr als eine normale Kinobesucherin, was aber sonst noch alles Bürokratische dran hängt, war mir zu diesem Zeitpunkt nicht klar. Das war sehr blauäugig – und es wurde sehr schnell ernst.

(+) plus: War der Film schon immer Ihre große Leidenschaft?

Englert: Die starke Beziehung zum Kino rührt schon aus meiner Kindheit und Jugend. Film war immer ein wichtiges Medium für mich. Ich bin in der Provinz aufgewachsen und ein Kinobesuch war immer mit einer größeren Anreise verbunden. Die 70 km nach Salzburg habe ich trotzdem oft in Kauf genommen. Nach der Matura bin ich nach Wien übersiedelt. Hier habe ich die gesamte Filmgeschichte nachgeholt und wirklich viel Zeit im Kino verbracht.

(+) plus: Ist es aus betriebswirtschaftlicher Sicht nicht völlig verrückt, ein Kino zu übernehmen?

Englert: Ein Kino wie das Admiral ist ein Liebhaberobjekt. Ein-Saal-Kinos sind sehr schwierig zu programmieren und in der jetzigen Situation eigentlich nicht mehr überlebensfähig. In Wien haben wir ein starkes »Overscreening«. Es gibt viel zu viele Leinwände für den durchschnittlichen Bedarf der Wienerinnen und Wiener. In den 90er-Jahren wurden sehr viele Multiplex-Kinos gebaut, alle schlecht ausgestatteten Kinos sind nach und nach gestorben. Überleben konnten nur Kinos mit »öffentlichem« Auftrag: Das Gartenbau- oder das Künstlerhaus-Kino werden im Zuge der Viennale von der Stadt unterstützt, das Metro Kino beherbergt das Filmarchiv und das Filmmuseum nimmt ohnehin eine Sonderstellung ein. Daneben konnten nur ein paar Kinos recht verschlafen weiter existieren, weil die Besitzer bis zur Pensionierung nicht aufgeben wollten – das Admiral, das Bellaria und die Breitenseer Lichtspiele. Mit den Förderungen allein ist es schon sehr schwierig.

(+) plus: Wie viel mussten Sie aus eigener Tasche investieren?

Englert: Allein die Digitalisierung hat ungefähr 65.000 Euro gekostet. Knapp die Hälfte wurde durch Förderungen abgedeckt. Der Rest war für mich aber trotzdem noch ein sehr großer Betrag, von der Bank bekommt man ja für so ein Unternehmen nichts. Ich musste das Geld also privat aufstellen. Diese Schulden konnte ich inzwischen abstottern.

Ich schmiede aber bereits neue Pläne: Es wird eine sanfte Erneuerung im Saal geben, die den Besuchern mehr Komfort bringt. Ich tausche die Bestuhlung aus, auch ein neuer Boden und bessere Beleuchtung kommen. Die nächste Jahresförderung von Bund und Land – zwischen 15.000 und 20.000 Euro – fließt komplett in die Renovierung. Technisch sind wir bereits auf dem neuesten Stand wie jedes moderne Multiplex-Kino. Die Tonanlage und die Leinwand sind ganz neu. In den ersten Jahren sind ja ständig irgendwelche Katastrophen passiert, die wieder 5.000 Euro oder mehr kosteten, sodass ich finanziell nie auf einen grünen Zweig kam.

(+) plus: Welche Katastrophen waren das?

Englert: Zum Beispiel ging ein Gleichrichter kaputt. Zuerst weiß man gar nicht, was das ist. Jetzt weiß ich, es ist etwas Wichtiges und es kostet ein paar tausend Euro. Das Geld fehlt dann an anderer Stelle.

(+) plus: Haben Sie treue Besucherinnen und Besucher?

Englert: Wir haben sehr viele Stammgäste, von denen ich auch tolles Feedback bekomme. Es gibt doch noch viele Menschen, die dieses Kino zu schätzen wissen und es auch nutzen. Sonst würde ich auch die Lust verlieren – Eigennutz ist es ja nicht gerade.

(+) plus: Eher ein Hobby?

Englert: Ein schönes, teures Hobby. Andere Leute haben ein Segelboot, ich hab ein Kino. Die Verantwortung ist halt schon groß. Ich habe drei Angestellte mit allen Problemen, die auf eine Kleinunternehmerin zukommen – Krankenstände, private Wehwehchen usw. Damit bin ich manchmal auch überfordert, weil ich daneben einem normalen Brotberuf nachgehe und öfters im Ausland unterwegs bin. Ich denke mir dann: Ich muss total verrückt sein. Aber mein Hauptvorführer liebt das Kino über alles, auf ihn ist wirklich Verlass. Da kann ich auch zwei Wochen zur Berlinale fahren.

(+) plus: War die Verzweiflung schon einmal so groß, dass Sie ans Aufhören gedacht haben?

Englert: Es wäre gelogen, wenn ich sage, dass es solche Momente nie gegeben hätte. Aber genauso oft habe ich mir schon umgekehrt überlegt, den Job aufzugeben und nur noch das Kino zu betreiben. Wäre es finanziell möglich, würde ich das sogar machen.

(+) plus: Inwieweit hilft Ihnen Ihr Know-how in der Öffentlichkeitsarbeit.

Englert: Das hilft sehr, hat aber auch den Nachteil, dass ich weiß, was man mit mehr Zeit und Budget alles machen könnte. Es fehlt an beidem. Durch meine Branchenkenntnisse und Kontakte ergibt sich aber auch Unerwartetes. Vor kurzem hat mich der Produzent des Films »Was hat uns bloß so ruiniert?« angerufen – er will anlässlich der 30.000-Zuschauer-Marke eine Feier bei uns machen. Die Regisseurin Marie Kreutzer und einige Schauspieler werden zu einem Publikumsgespräch kommen. Würde ich die nicht alle kennen, wäre das vermutlich viel schwieriger.

(+) plus: Nach welchen Kriterien stellen Sie das Programm zusammen?

Englert: Ich suche nur Filme aus, die in das Profil des Kinos passen. Alles, was ich gerne hätte, kriege ich natürlich nicht. Das Admiral ist ein Nachspielkino. Wir spielen kaum Premierenfilme, sondern übernehmen Filme ab der dritten bis fünften Woche von anderen Programmkinos. Wir zeigen, wenn es keine deutschsprachigen Filme sind, nur Originalversionen mit Untertiteln. Mit einigen Kinos hat sich eine enge Zusammenarbeit ergeben, wir stimmen uns auch mit den Beginnzeiten ab.

(+) plus: Sind Kinos im Zeitalter der Downloads und Streamings überhaupt noch zeitgemäß?

Englert: Die Jahresumsätze in den österreichischen Kinos sind relativ konstant. Das liegt aber nur daran, dass die Kinokarten immer teurer werden. Die Multiplex-Kinos werben zwar mit Fünf-Euro-Tickets, aber die Karten für 3D- und die Hauptvorstellungen kosten mehr als zehn Euro.
Insgesamt sinken jedoch die Zuschauerzahlen und die Umsätze konzentrieren sich auf einige wenige Blockbuster. Die vielen kleinen Filme gehen unter. »Frantz« von Francois Ozon hätte früher sicher 60.000 Zuschauer erreicht, jetzt sind wir froh, wenn 15.000 kommen. Das sind typische Filme für eine elitäre Zielgruppe, die einen 400-Euro-Beamer zu Hause stehen hat und sich tolle Filme auf eine fast ebenso große Leinwand wie unsere holt.

(+) plus: Das Publikum wird tendenziell immer älter. Ist Kino nur noch etwas für Nostalgiker?

Englert: Die Viennale ist die einzige Veranstaltung, die es noch schafft, junges Publikum auch für schwierige Filme zu mobilisieren. Aufhalten kann man diese Entwicklung sowieso nicht. Alles verlagert sich zu anderen Medien.

(+) plus: Reichen gute Filme und schönes Ambiente oder muss ein Kino heute mehr bieten?

Englert: Ich sehe das noch eher puris­tisch. In meinem Kino möchte ich kein Café betreiben. Oft funktioniert das Lokal dann besser als das Kino. Am Gastgewerbe habe ich aber kein Interesse.

(+) plus: In Berlin gibt es eine Filmlounge mit Platzanweiser und Getränke-service – Kino als Premiumerlebnis. Ist das ein taugliches Rezept?

Englert: Das Konzept dürfte aufgehen, das Kino ist sehr gut ausgelastet. Die Astor Film Lounge ist das Liebhaberobjekt eines Investors, der wahnsinnig viel Geld hineingesteckt hat. Ebenfalls am Kurfürstendamm befindet sich der Zoopalast, der auch wunderschön umgebaut wurde. Dort gibt es neben dem großen Premierensaal zwei kleine Säle mit einer eigenen Bar und nur etwa 40 Plätzen, wo man auf roten Samtfauteuils wie in einer Bibliothek sitzt und sich den Film anschaut. Eine wirklich nette Atmosphäre! Man kann dieses Clubkino auch für Privatvorführungen mieten.

(+) plus: Schwebt Ihnen etwas Ähnliches vor?

Englert: Ich hatte mir ja viel mehr vorgenommen, aber inzwischen bin ich gar nicht so unzufrieden. Es ist doch ein funktionierendes Kino. Eine befreundete Architektin hat mir trotzdem Pläne für einen behindertengerechten Umbau entworfen. Als das Kino 1913 eröffnet wurde, befand sich der Eingang an der Ecke Wimbergergasse-Burggasse. Das würde ich gerne wieder so gestalten und gleichzeitig den Vorführraum, der ja jetzt nur noch ein Technikraum ist, in eine Galerie über den Eingang versetzen. Dadurch würde sich das Foyer vergrößern, den alten Charakter aber dennoch behalten.

(+) plus: Wie teuer wäre dieser Umbau?

Englert: Ich habe noch gar keine Kostenschätzung. Wahrscheinlich wäre es aber gar nicht so schlimm, wenn nicht mit jedem Umbau extreme behördliche Auflagen verbunden wären. Selbst wenn nur der Technikraum verlegt wird, müsste ich alle Ausgangstüren erneuern – obwohl sich am Saal überhaupt nichts ändert. Das löst einen Dominoeffekt aus, der hohe Kosten verursacht. Ob das je was wird, weiß ich nicht. Aber man kann ja Träume haben.


Zur Person

Michaela Englert wurde 1961 in Vöcklabruck geboren und studierte Publizistik in Wien. Sie leitete die Pressearbeit der Constantin Film, der Viennale, des Verleihs Filmladen und war als Pressebetreuerin vieler österreichischer Filmproduktionen tätig. Seit 2009 ist sie PR- und Marketing-Verantwortliche des Thimfilm Verleihs. 2007 übernahm Englert das Wiener Admiral Kino im 7. Bezirk in Wien.

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