Sonntag, Dezember 22, 2024

Der neue »Wiener Solarstandard« bietet nicht nur eine Herausforderung für Planer und Architekten, sondern wird auch den Immobilienmarkt beeinflussen. Ein Report-Podiumsgespräch zu den Themen Gebäudeplanung, Gebäudenutzung und Energieeffizienz (inkl. Fotos und Video)

Die Stadt Wien treibt mit einer Bauordnungsnovelle die Nutzung von Solarenergie im städtischen Bereich voran. Am 4. November diskutierten dazu in einem Report-Gespräch Susanna Zapreva, Geschäftsführerin Wien Energie, Jakob Dunkl, Gründer und Inhaber querkraft architekten, Herbert Angrüner, Stadtbaudirektion – Geschäftsbereich Bauten und Technik in der Gruppe Hochbau, Photovoltaic-Austria-Präsident Hans Kronberger und Ines Reiter, Geschäftsführerin der Österreichischen Gesellschaft für Nachhaltige Immobilienwirtschaft. Die Diskussion fand unter der regen Beteiligung von 120 Besucherinnen und Besuchern im Kundendienstzentrum Spittelau bei Wien Energie statt.

Report: Wien Energie bietet ein Produkt für Energieeffizienz in Gebäuden und darüber hinaus an. Was ist die Idee dahinter und wie möchte sich das Unternehmen dazu am Markt positionieren?

Susanna Zapreva, Wien Energie: Mit der neuen Bauordnung in Wien liegt für alle neu errichteten Gebäude, die nicht dem Wohnbereich zugeordnet werden, eine Solarverpflichtung vor. Diese besagt, dass pro 100 m2 Grundfläche 1 kW-Peak Leistung in der Erzeugung mit Solarenergie umgesetzt werden muss. Daher haben wir beschlossen, gleichzeitig mit der neuen Verordnung einen Service auf den Markt zu bringen, der Architekten und Planer partnerschaftlich mit Know-how und entsprechenden Instrumenten unterstützt. Wien Energie bietet kostenlose Planungselemente für AutoCAD-Bibliotheken zur Projektierung von Photovoltaikanlagen. Wir unterstützen auch bei der Detailplanung und Einreichung und übernehmen auf Wunsch die Finanzierung der Anlage. Der Immobilienkäufer bzw. Bauherr kann damit bereits in der Entwicklungsphase von Objekten die Planung mit PV-Modulen vornehmen – inklusive Kostenschätzung.

Report: Aus der Großkraftwerksbranche kommend setzen Sie mittlerweile auch auf Bürgerkraftwerke und dringen nun in einen noch kleinteiligeren Markt vor.

Zapreva: Der Weg, den wir nun gehen, ist für ein Energieversorgungsunternehmen in der Tat neu. Wege entstehen bekannterweise aber erst dann, wenn man sie auch geht. Der Grund, in ein kleinteiligeres Geschäft einzusteigen, ist die große Kundennachfrage in diesem Bereich. Wir sehen es als Pflicht, auf diese Nachfrage zu reagieren und entsprechende Geschäftsmodelle anzubieten. Mit der Bürgerbeteiligung an Solaranlagen haben wir 2012 begonnen. Im vergangenen Jahr hatten wir damit einen 50-prozentigen Anteil am Wiener Markt erreicht – Tendenz steigend. Weitere neue Produkte unterstützen uns in dem Ziel, die erste Kundenadresse im Bereich Photovoltaikanlagen zu sein. Unser Geschäft ist es nicht mehr, ausschließlich Strom, Gas und Wärme zu verkaufen. Wir bieten darüber hinaus rund um das Thema Energie Kundenlösungen an. Gerade in Wien leben viele Einwohner in Mietwohnungen und können sich nicht einfach eine Solaranlage auf das Dach montieren. Um dieses Bedürfnis dennoch zu befriedigen, haben wir unser Bürgerbeteiligungsmodell entwickelt.

Report: Wie verändern sich moderne Gebäude aus Sicht der Architektur – wie werden sie geplant und auch genutzt?

Jakob Dunkl, querkraft: Planung ist im Gegensatz zu früher ein komplexer Prozess geworden. Architektur verändert sich unter anderem durch neue Anforderungen, Vorschriften oder veränderte Bautechnologie. So bin ich ein großer Fan der Veränderung der Wiener Dachgeschoßzone: Wir werden in Zukunft über eine sehr lebendige Dachlandschaft verfügen. Ein bunter, blühender und grüner Lebensraum auf höchster Ebene wird entstehen. In dieses Bild werden sich wohl auch Solaranlagen einfügen. Es wird ein anderes Wien sein, als wir es kennen. Derzeit wird allerdings aufgrund von unterschiedlichen Wünschen das Bauen immer teurer und die Errichtung einer Solaranlage ist ein zusätzlicher Kostenfaktor. Gleichzeitig stehen die Gesamtkosten der Errichtung im harten Wettbewerb. Diese Diskrepanz gilt es zu durchbrechen. So sollten durch Maßnahmensetzungen geringere Betriebs- und Energiekosten in die Rechnung einbezogen werden. Nicht ausschließlich die Errichtungskosten, sondern die gesamten Lebenszykluskosten sind zu betrachten.

Report: Sie haben ein Gebäude als Energiespar-Komfort-Haus in der Universumstraße im 20. Bezirk konzipiert. Worum ist es Ihnen dabei gegangen?

Dunkl: Wir haben uns dort die Aufgabe gestellt, ein Passivhaus so zu gestalten, dass der üppige Vollwärmeschutz, also die »dicke Daunenjacke«, optisch nicht im Vordergrund steht, sondern umlaufende Balkonzonen ein lebendiges, grünes Gesamtbild erzeugen. Wir dachten übrigens, dass eine allgemein zugängliche Dachterrasse für die Bewohner bei diesem Objekt gar nicht mehr zusätzlich notwendig wäre. Allerdings wünschte sich die Bauträgerin explizit eine begehbare Dachfläche. Diese wird erfreulicherweise trotz der großzügig vorhandenen, individuellen Freiräume gut angenommen – die Bewohner haben in einem wettergeschützten Bereich sogar einen Bea­mer installiert, um sich gemeinsam Fußballspiele anzusehen. Die Menschen sind kreativ, sie nutzen attraktiven Raum, der ihnen zu Verfügung gestellt wird. Mit der neuen Bauordnung haben wir nun ein Gesetz, das Photovoltaikanlagen auf den Dächern von Gewerbebauten vorschreibt. Ich sorge mich jedoch, dass in einem nächsten Schritt dies auch im Wohnbaubereich gefordert wird, da die Nutzung einer Dachterrasse damit schwer vereinbar ist. Da muss es Ausnahmeregelungen geben, um die Nutzung dieser hochwertigen Flächen zu ermöglichen.

Report: Wie sieht die Wiener Bauordnungsnovelle im Detail aus? Was möchte die Stadt Wien damit erreichen?

Herbert Angrüner, Stadtbaudirektion Wien: Mit der neuen Wiener Bauordnung wird der Einsatz von erneuerbaren Energien bei Dienstleistungsgebäuden und Zweckgebäuden verpflichtend eingeführt. Je nach Gebäude kann die thermische Nutzung zur Aufbereitung von Warmwasser oder Stromerzeugung mittels Photovoltaik zur Anwendung kommen. Wir wollen damit bezwecken, dass Energie dort, wo sie verbraucht wird, auch erzeugt wird. Man muss keine Angst haben, dass nun alle Dächer mit Solarpaneelen zugepflastert werden. Die Module können vielmehr als gestalterisches Element im Zusammenspiel von Bauherrn und Nutzern, Architekten, Haustechnikern und Planern integral genutzt werden. Damit ist auch ein Mehrwert im langfristigen Betrieb eines Gebäudes gegeben. Uns geht es um eine energieeffiziente und lebenswerte Stadtgestaltung im Gesamten. Das ist auch in der Smart-City-Strategie festgelegt. Wir wollen dazu auch nicht einzelne Lösungen bevorzugen und andere ausschließen. So geht die neue Bauordnung auch auf Themen wie Regenwassermanagement und Dachbegrünungen ein. Wenn aus baulichen oder wirtschaftlichen Gründen die Nutzung von Solarenergie nicht möglich ist, können auch andere Maßnahmen berücksichtigt werden.

Die Stadt Wien hat sich verpflichtet, den Anteil an erneuerbaren Energien zu heben. Wir unterstützen diese Zielsetzung bereits auch bei Schulbauten durch unterschiedliche Maßnahmen. Gerade dort haben wir die Chance, mit gutem Beispiel voranzugehen und das Bewusstsein der Kinder und Jugendlichen für Energiethemen zu schärfen. Auch ist bereits ein Solarkataster in Wien umgesetzt, der auf einer GIS-Applikation basierend auch der Öffentlichkeit zur Verfügung steht, um das Potenzial auszuloten, ob eine Liegenschaft für den Einsatz von Solarenergieanlagen geeignet ist.

Report: Welche Erwartungen hat der Bundesverband für Photovoltaik für die kommenden Jahre?

Hans Kronberger, Photovoltaic Austria:
Die Entwicklung der Photovoltaik war in den letzten Jahren enorm. Ursprüngliche Prognosen zufolge sollten wir einen Anteil von 0,1 % an der heimischen Stromerzeugung bis zum Jahr 2020 haben. Heute haben wir österreichweit mit 626 MWpeak installierte Leistung bereits 1,1% des österreichischen Stroms und rechnen damit, dass wir Ende 2015 1 GWp installierte Leistung haben werden. Diese positive Entwicklung hat mehrere Ursachen: Die Reorganisation des Ökostromgesetzes im Jahr 2012, das gute Fördersystem des Klima- und Energiefonds, verschiedene Länderförderungen und eine starke Preisdegression bei Photovoltaikmodulen. Seit der Jahrtausendwende sind die Modulpreise um gut 90 % gefallen. Wir sprechen damit von einer Energietechnik, die sich rasant dorthin weiterbewegt, wo sie marktfähig wird.

In Wien hat es immer schon gute Fördermöglichkeiten gegeben. Allerdings wurden die Gelder nicht abgeholt. Ein Grund dafür waren sicherlich auch bürokratische Hindernisse. Mit der Zusammenlegung einiger Kompetenzen auf die Energieplanungsabteilung MA 20 gibt es nun eine zentrale Antragsstelle. Dieser Reformschub wird dem Markt sicherlich helfen. Von der installierten Gesamtmenge gesehen ist Wien trotzdem noch relativ schwach. St. Veit an der Glan oder Graz haben gesamt höhere Installationsmengen.

Report: Kann man generell sagen, welches Durchhaltevermögen bei Photovoltaikanlagen notwendig ist?

Kronberger:
Dazu gibt es verschiedene Berechnungsmethoden. Wesentlich für den Return on Investment ist aber sicherlich die Nutzung der selbst erzeugten Energie. Generell kann man von einer garantierten Lebensdauer einer Anlage von 25 Jahren ausgehen. In diesem Zeitraum können Betreiber Strom um 8,5 Cent pro KWh herstellen. Würde dieser Strom wie üblich vom Markt bezogen werden, kostet die Kilowattstunde 20 Cent. Habe ich in meinem Gebäude nun einen hohen Anteil an Eigenverbrauch, rechnet sich eine Investition schnell. Wird dagegen der Strom gerade in der Mittagszeit nicht vor Ort verbraucht, sieht die Rechnung schon wieder anders aus. Aber auch hier haben wir Entwicklungen, bei denen wir auch noch am Anfang stehen. Intelligente Energiemanagementsysteme in Gebäuden gibt es bereits. Mittelfristig werden auch brauchbare Stromspeicherlösungen hinzukommen. Jeder dieser Entwicklungsschritte wird Photovoltaik vorantreiben.

Report: Das Thema nachhaltige Immobilien betrifft unterschiedliche Bereiche. Womit beschäftigt sich die ÖGNI konkret?

Ines Reiter, ÖGNI:
Die Österreichische Gesellschaft für Nachhaltige Immobilienwirtschaft ist eine Non-Profit-Organisation. Wir erarbeiten Leitfäden oder Kodizes, zertifizieren Unternehmen in ihrem ethischen Handeln und zeichnen Projekte des nachhaltigen Bauens und Bewirtschaftens aus. Das eingesetzte Zertifizierungssystem DGNB baut auf den drei Säulen der Nachhaltigkeit auf: Ökologie, Ökonomie und soziokulturelle Faktoren. Es werden aber auch technische Parameter und Prozessqualitäten bewertet. Es sind in Summe um die 60 Kriterien, die dokumentiert werden – beispielsweise welche Baustoffe verwendet werden. Eine solche nachhaltige, transparente Betrachtung ist am Immobilienmarkt bereits von Vorteil, auch in Hinblick auf den Weiterverkauf eines Gebäudes. »Green Buildings« und auch »Blue Buildings«, die nicht nur Energieeffizienz, sondern auch die Nutzer im Mittelpunkt des Gebäudes sehen, sind auch am Markt gefragt und ein Vorteil für die darin residierenden Unternehmen. So weiß ich von einem Logistikunternehmen, das sein Büro besonders offen und mit großzügigen Lichtkonzepten gestaltet hat, dass es wesentlich mehr Bewerber bei einer Stellenausschreibung hatte. Ein Grund war: Die Menschen wollen in solchen Umgebungen arbeiten.

Report: Sehen Sie einen allgemeinen Trend in Bezug auf Nachhaltigkeit und Energieeffizienz?

Reiter:
Internationale Unternehmen fordern bereits entsprechende Zertifizierungen. Sie setzen voraus, dass die Nachhaltigkeit bei einem Gebäude dokumentiert ist und die Bewirtschaftungskosten entsprechend geringer sind. Dazu sind Energiemanagementlösungen gefordert, die auch auf das Nutzerverhalten eingehen. Klimaanlagen, Heizung und auch Fenster richtig zu nutzen, ist mitunter ja eine komplexe Herausforderung. Ich sehe allgemein Energiethemen im Gebäudebereich als Trend – für das Marketing, für bessere Bewertungen am Immobilienmarkt und für geringere Betriebskosten.

Fotos unter www.flickr.com/photos/award2008/sets/72157646817854983/

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Video unter www.youtube.com/watch?v=W0irlsaYy9Q

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