Vertreter des Forums Versorgungssicherheit, von ABB und Photovoltaic Austria diskutierten in Wien über den Investitionsbedarf und das Zusammenspiel von Stromerzeugung und Infrastruktur.
Die Energiebranche ist im Umbruch. Nukleare und fossile Strom- und Wärmeerzeugung rittern mit erneuerbaren Energien um Wirtschaftlichkeit, Versorgungssicherheit und Nachhaltigkeit in Europa. Am 3. Juni fand eine Fachdiskussion im Festsaal der Wiener Netze statt. Vor rund 100 Gästen sprachen Experten über die Herausforderungen in Umwelt-, Wirtschafts- und Energiefragen für Netzbetreiber und Erzeuger in der Energiewirtschaft. Partner des Podiumsgesprächs des Report Verlags waren das Forum Versorgungssicherheit, Wiener Netze und ABB.
Report: Windkraft und Photovoltaik sorgen mit volatiler Stromerzeugung für Schwankungen in den Netzen. Was bedeutet das für die Netzbetreiber?
Reinhard Brehmer, Wiener Netze und Forum Versorgungssicherheit: Die derzeit herrschende Überförderung der Erneuerbaren bringt uns in eine sehr ernste Situation auf Netzseite. Wir sind ebenfalls für den Ausbau der Erneuerbaren, aber die benötigte Einbindung in die Netze kostet eben – das ist eine große Herausforderung bei gleichzeitig sinkenden Tarifen im regulierten Netzbereich. Einem durchschnittlichen österreichischen Haushalt fallen im Monat gerade einmal 16 Euro Leitungsgebühren für das Stromnetz an. In Wien ist dies aufgrund des durchschnittlich geringeren Energieverbrauchs sogar noch weniger. Wenn dieser Beitrag in Zukunft um ein paar Cent steigen würde, wäre der weitere Ausbau der Erneuerbaren, wären Netz- und Versorgungssicherheit auf längere Zeit gewährleistet. Ich denke, dass hier Preissteigerungen im Centbereich für die Haushalte zu verkraften wären. Das Forum Versorgungssicherheit weist auf die Bedeutung hin, die Netze beim sicheren und zuverlässigen Transport und der Verteilung von Strom, Gas und Wasser haben. Wir kommunizieren dies seit über zehn Jahren aktiv und Forumssprecher Christoph Zernatto ist es gelungen, hier Entscheidungsträger aus allen Bereichen der Politik, Wirtschaft und Interessensvertretungen zu informieren und auch als Unterstützer zu gewinnen. Die europäische Energiewirtschaft investiert in dem Zeitraum von 2010 bis 2020 insgesamt rund 1.100 Milliarden Euro. Von 500 Milliarden im Bereich der Erzeugung fallen 350 Milliarden den Erneuerbaren zu. Mehr als die Hälfte, 600 Milliarden, geht in den Ausbau der Netzinfrastruktur, davon etwa zwei Drittel in den Bereich der Verteilnetze. Der Branchenverband Eurelectric nimmt an, dass sich bis 2020 der Anteil der Investitionen in Verteilnetze auf vier Fünftel erhöhen wird. Bei all den ehrgeizigen Zielen bei Energieeffizienz, Ausbau regenerativer Energien und CO2-Reduktion hat man in Brüssel nun zumindest erkannt, dass nun auch massiv in die Verteilnetze investiert werden muss – und nicht nur in die Übertragungsnetze. Seit heuer geht es in den Diskussionen auf europäischer Ebene auch um die Rolle der Verteilnetzbetreiber und deren regionale Infrastrukturen. Alleine Deutschland, Italien und Spanien zusammen fördern die erneuerbaren Energien mit gut 50 Milliarden pro Jahr. Das hat natürlich massive Auswirkungen auf die Stromnetze. Der Ausbau der Netze, um die Erträge dieser neuen Erzeuger zu den Verbrauchern bringen zu können, muss daher jetzt stattfinden.
Report: Wie dringend sind denn nun Investitionen in die Netze tatsächlich? Geht uns morgen das Licht aus, wenn nicht investiert wird?
Reinhard Brehmer: Nein, so schlimm ist es noch nicht. Doch die Tarife im Netzbereich sind streng reguliert. Wir haben derzeit keine Möglichkeit, mehr Mittel für weitere Investitionen zu verdienen. In der letzten Regulierungsperiode ist es zwar erstmals gelungen, den Ausbau der Netze von 80 auf 180 Millionen Euro pro Jahr mehr als zu verdoppeln – aktuell liegen wir bereits bei über 200 Millionen Investitionsvolumen jährlich. Allerdings verdienen die Netzbetreiber derzeit zu wenig, um einen weiteren notwendigen Netzausbau garantieren zu können. Auch der Rollout der intelligenten Stromzähler, der Smart Meter, wird einiges kosten. Für Forschung im Netzbereich werden übrigens überhaupt nur 0,6 % ausgegeben, verglichen mit jenem Betrag, mit dem die Erneuerbaren gefördert werden. Dabei ist eine Forschungsförderung ein wesentlicher Punkt gerade bei großen Projekten, wie den vielen Smart-Grid-Projekten in Österreich. Die Bereitschaft der Branche, zu investieren, ist jedenfalls da.
Report: Herr Chalupecky, wie sehen die Herausforderungen für Energiedienstleister aus? Woran liegt es, dass der Ausbau der Netze streckenweise stockt?
Franz Chalupecky, ABB: Die Netzbetreiber wissen, dass sie investieren müssen. Wenn man aber in die Bücher der Zulieferer blickt, fragt man sich, wo diese Investitionen bleiben. Aus der Sicht eines Technologielieferanten trifft uns die Situation essenziell. Die klassischen Netzstrukturen von früher, in denen ein Lastausgleich über einzelne Kraftwerke passiert ist, werden durch die Erneuerbaren in Frage gestellt. Heute gibt es dezentrale Einspeiser an allen Ecken und Enden, die Verbraucher werden mit Photovoltaikanlagen am Hausdach gleichzeitig auch zu Erzeugern und plötzlich sind für die Abwicklung der Lasten und für Prognosen wesentlich mehr Informationen über den Netzzustand notwendig. Die Netzbetreiber werden vor allem in die Mittelspannungsleitungen investieren müssen, und in intelligente Trafostationen mit Spannungsregelung direkt im Ortsnetz. Diesbirgt für die Zulieferindustrie freilich Chancen, doch unseren Kunden fehlt eine Planungssicherheit. Um ein Beispiel zu nennen: In Deutschland haben wir derzeit die Situation, dass durch den massiven Ausbau von Solar- und Windkraft zwar eine enorme installierte Leistung von 50 % zu Verfügung steht, die für die Abdeckung des landesweiten Bedarf notwendig wäre. Durch die wetterbedingte Volatilität der Erneuerbaren kann von einzelnen Spitzen abgesehen der Stromverbrauch übers Jahr aber nur zu 24 % abgedeckt werden. Daher braucht man weiterhin thermische Strom- und Wärmeerzeugung, um dies zu kompensieren. Durch die niedrigen Marktpreise für Kohle und die sehr günstigen Emissionsrechte rechnet sich in Europa aktuell am ehesten die Verstromung von Braunkohle. Das ist nur leider die weitaus schlechteste Variante in Bezug auf den CO2-Ausstoß. Hochmoderne, effiziente Gaskraftwerke werden dagegen geschlossen. Das bedeutet für die Branche gleichzeitig den Abgang von Know-how und Mitarbeitern. Dabei wären effiziente Kraftwerke als Backup und für die Grundlast in den Netzen bitter nötig. Es ist nicht ganz logisch, was da gerade passiert. Ich glaube nicht, dass der Weg in die Förderung der erneuerbaren Energie falsch war. Es ist sicherlich langfristig gesehen der richtige Weg. Lediglich die Geschwindigkeit, die man gewählt hat, war ein Fehler. Wir finden auch in der Politik kaum tiefgründiges Wissen zu diesen Themen vor. Unter den 183 österreichischen Abgeordneten gibt es meines Wissens keinen einzigen Techniker oder Wirtschaftsexperten, der aus dem Energiebereich kommt. Dabei ist Energiepolitik mittlerweile auch Standortpolitik und das wird sich in Zukunft noch verstärken. Das ist kein Thema, das man en passant behandeln kann.
Report: Eine Chance für die Wirtschaft könnte Industrie 4.0 bieten. Was wird sich dabei für diesen Sektor ändern?
Chalupecky: In dieser vierten Revolution – oder besser Evolution – der Industrie wird vor allem die Flexibilität und Effizienz in der Industrie erhöht. Durch den Einzug von Informationstechnologie in Technik und Automatisierung wird noch flexibler und »on time« produziert werden können. Maschinen kommunizieren hier mit Maschinen, wir sprechen vom Internet der Dinge und von Systemen, die virtuell abgebildet werden, aber reale Prozesse steuern. Wesentliche Bestandteile hier sind herstellerübergreifende, standardisierte Schnittstellen und eine Kommunikation, die automatisiert abläuft. Die Automobilindustrie ist bereits ein gutes Beispiel für eine neue Flexibilität in der Fertigung. Hier können Sie heute bei Premiummodellen die komplette Ausstattung bis zur Naht der Ledersitze selbst wählen. Industrie 4.0 zielt auf solche Fertigungsprozesse ab, die geringste Losgrößen ermöglichen, ohne dabei die Preise und Lieferzeiten maßgeblich zu erhöhen. Dies ist auch für Europa eine Riesenchance, um gegen Märkte mit geringem Lohnniveau wie Asien zu bestehen. Die europäische Wirtschaft könnte mit Industrie 4.0 mehr Qualität und Effizienz bieten und weltweit wieder einen Schritt in Richtung der Technologieführerschaft erringen.
Report: Warum ist eine Förderung der Erneuerbaren so wichtig? Den Netzen bereitet der Ausbau ja große Probleme.
Hans Kronberger, Photovoltaic Austria: Wir stecken in einer Energiewende mit all ihren Systemveränderungen. Ein simples Beispiel ist der Anstieg des Ölpreises. Fast niemand – außer ausgewiesene Experten – weiß noch den Ölpreis aus der Zeit der Jahrtausendwende. Er lag bei 9,75 Dollar – und befindet sich heute zwischen 100 und 120 Dollar. Alleine diese Preisentwicklung zeigt eine dramatische Veränderung, die sich aber eigentlich nicht dramatisch auf unseren Lebensstil auswirkt. Bei den Erneuerbaren dagegen ist der Primärenergieeinsatz kostenlos. Sie werden gegenüber den fossilen Energieträgern mittelfristig obsiegen. Das ist überhaupt keine Frage. Was wir nun brauchen, ist eine intensive Partnerschaft mit den Verteilnetzen und den Übertragungsnetzen. Wenn in Sizilien die Sonne scheint und in Hamburg der Wind geht, müssen die Lasten verteilt und die Netze stabilisiert werden können können. In den Anfangsjahren des Ausbaus der Erneuerbaren gab es eher gegensätzliche Positionen, auch im Unterschätzen des Marktwachstum der regenerativen Energien. Von den Netzbetreibern wurde damals berechnet, dass Photovoltaikanlagen bis zum Jahr 2020 lediglich 0,1 %des heimischen Strombedarf decken werden. Verständlicherweise hatte damals die Energiewirtschaft keine Dringlichkeit eines Netzausbau gesehen. Im Vorjahr hatten wir inzwischen 1,1 % in Österreich. Für viele Netzbetreiber ist das überraschend gekommen. Dass die Erneuerbaren mit der bereits besprochenen Volatilität ein gewisses Problem darstellen, ist mir grundsätzlich klar. Aber wir alle sind da, um dieses Problem zu lösen und koordinierend zu wirken. Dazu werden in Zukunft auch Speicherkapazitäten nötig sein, um Lastspitzen abzufedern und bei Bedarf auch Strom wieder einzuspeisen. Dazu ist in Zukunft eine intelligente Strom- und Wärmenutzung in Betrieben, in den Haushalten und in den Städten notwendig. Es ist ein gigantisches Feld, das sich hier für die Industrie auftut. Elektrischer Strom ist die dynamischste Form von Nutzenergie überhaupt. Man kann sie in allen Formen regeln und steuern und sie kann, wenn man will, sauber erzeugt werden. Wir haben in unserem Gesamtenergieverbrauch derzeit 20 % elektrischen Strom gegenüber 80 % anderen Energieträgern. Nun geht es um die systematische Anhebung des Anteils des Stroms in diesem Mix. Es hat keinen Sinn, wenn E-Werke gegen kleinteilige Stromerzeuger kämpfen. Wir müssen diesen Markt und alle Marktspieler harmonisieren. Elektrischer Strom wird in Zukunft weltweit ein wesentlicher Bestandteil für Wohlstand und sozialen Frieden sein.
Das Forum Versorgungssicherheit ist ein gemeinnütziger Verein und Partner der Wirtschaft, der Politik und der Bevölkerung in Fragen der Versorgungssicherheit. In Zusammenarbeit mit Entscheidungsträgern beteiligt sich das Forum aktiv an der Entwicklung fairer rechtlicher Rahmenbedingungen in der Infrastruktur und setzt sich für die Sicherung des hohen Qualitätsstandards der Energie- und Wasserversorgung Österreichs ein. Sprecher und Vorstandsvorsitzender ist Christof Zernatto, Landeshauptmann von Kärnten a.D..