In China gibt es billige Arbeitskräfte, in den USA billige Energie. Weil auch die Gewerkschaften demütiger geworden sind, denken viele Unternehmen darüber nach, ihre Produktionsstätten zurückzuholen.
Die USA erschließen sich durch neue Methoden Jahr für Jahr zusätzliche Gas- und Ölreserven und drehen damit am Rad der Geschichte. Denn Industrien, von denen man glaubte, sie hätten Amerika auf Nimmerwiedersehen verlassen, kehren zurück. Stahl, Petrochemie, Pharma, Produktion entdecken das Land der unbegrenzten Möglichkeiten wieder. Dabei ist der niedrige Energiepreis nicht nur ein Teil der Geschichte – er ist der Grund dafür, dass Unternehmen überhaupt darüber nachdenken, ihre Produktion in die USA zu verlagern. Es löst einen Paradigmenwechsel aus, weil plötzlich in den Blickpunkt rückt, dass mit der Verlagerung der Produktion in das Land mit den billigsten Arbeitskräften auch enormes Know-how verloren geht, das Know-how nämlich,wie man überhaupt etwas herstellt und wie industrielle Abläufe so optimiert werden können, dass nicht nur das Produkt effizient ist, sondern auch der Weg dorthin. Die bisherige Logik war: In den USA wird entwickelt und designt – gebaut wird das Ganze dann dort, wo es möglichst wenig kostet, sprich: wo die Arbeitsleistung möglichst wenig kostet. Wenn die Zeit der Chinesen so billig ist, dann sollten wir so viel wie möglich davon kaufen. Das war bisher die Handlungsmaxime.
Ausgelöst durch die niedrigen Energiepreise kommt es jetzt zu einem Paradigmenwechsel. Es geht um Energiekosten, aber nicht nur: Louisville, Kentucky, ist dafür ein Beispiel. Dort hatte General Electric (GE) in den 50er-Jahren einen Industriepark eingerichtet, mit eigenem Kraftwerk, eigener Feuerwehr und dem Gehabe einer Kleinstadt. 1955 waren 16.000 Mitarbeiter beschäftigt, produzierten Kühlschränke, Waschmaschinen und alles, was man sich an Haushaltsgeräten so wünscht. Die Erfolgsgeschichte dauerte 20 Jahre. Mitte der 70er-Jahre fanden 23.000 Menschen Arbeit, dann begann der Einbruch: 2011 waren es gerade noch 1.863 großteils Teilzeitbeschäftigte im Sold von GE Louisville. Jeffrey Immelt, der Chef von GE, versuchte seit 2006, die komplette Anlage loszuwerden, aber die Wirtschaftskrise machte ihm einen Strich durch die Rechnung.
Kehrtwende
Am 10 Februar 2012 geschah etwas Unerwartetes: Im Gebäude 2 des Parks, das mehr als 14 Jahre leerstand, wurde eine neue Produktionslinie für Boiler eröffnet – es war die erste Neueröffnung in 55 Jahren. Die Produktion wurde aus China zurückverlagert. Keine sechs Wochen später gab es auch in Gebäude 5 neues Leben. Die Kühlschrankproduktion, die bis dahin in Mexiko erfolgte, wurde hochgefahren. Anfang 2013 kehrte dann die Geschirrspülerherstellung nach Kentucky zurück.
Jeff Immelt lieferte dann in einem Beitrag für die Harvard Business Review die Erklärung für das Geschehene: »Das Business-Modell des Outsourcings hat sich überlebt.« Immelt, der ganz in der Tradition des legendären Jack Welch ein Freund der klaren Worte ist, brachte es auf den Punkt: »Wir machen das nicht, weil wir ein Wohltätigkeitsverein geworden sind. Wir machen das, weil wir glauben, dass wir mehr Geld machen, wenn wir in den USA produzieren.« In der Rechnung spielen die Energiekosten eine er-hebliche Rolle. Erdgas ist in Asien viermal teurer als in den USA, gleichzeitig steigen die Lohnkosten in China um rund 18 Prozent im Jahr.
Die amerikanischen Gewerkschaften sind zudem demütiger geworden. Sechs Millionen seit 2008 verlorengegangene Industriejobs zeigen Wirkung. Jetzt gibt man es billiger, aber der Konkurrent China wäre bei den Lohnkosten trotzdem nicht zu schlagen.
Bei GEs Boiler »Geospring« zeigte sich aber exemplarisch ein zusätzlicher Anreiz zur Heimkehr. Das Gerät wurde zwar in Louisville designt und entwickelt, aber in China produziert. Es bestand so gut wie keine Kommunikation mit dem asiatischen Werk. Als man mit dem Gedanken spielte, die Herstellung heim uholen, bemerkte man, wie sehr man eigentlich den Einblick verloren hatte und wie umständlich das Gerät bisher gefertigt worden war. Die Ingenieure setzten sich mit den Arbeitern zusammen und designten »Geo Spring« neu – sie reduzierten die Zahl der Bauteile und vereinfachten die Leitungsführung. Heraus kam ein völlig überarbeitetes Produkt, das nichts mit dem chinesischen gemein hatte. Ein Boiler wird in Louiseville in zwei Stunden gefertigt – in China dauerte es zehn Stunden. Der Boiler »made in China« kostete im Handel 1.599 US-Dollar, das Gerät »made in Louisville« trägt nun ein Preisschild von 1.299 US-Dollar – mit einer höheren Marge für GE. Das American Magazine, das sich im Detail mit der jüngsten Entwicklung in Louisville auseinandersetzte, zitiert Lou Lenzi, dem GE-Haushaltsgeräte-Designchef: »Wir haben geglaubt, dass jeder einen Geschirrspüler zusammenschrauben kann, wenn er nur von uns die richtigen Pläne kriegt. Wir machen die Ingenieursarbeit, wir machen das Marketing, und die Fertigung ist irgendwie ein schwarzes Loch – die findet beim Billigstbieter statt und interessierte uns eigentlich nicht. Das war falsch. Wenn man das macht, dann verliert man ein tieferes Verständnis dafür, wie Produktion funktioniert – und zwar für immer. Es ist, als würde man Kochbücher schreiben, ohne je selbst zu kochen.«
Ein schleichender Prozess sei das gewesen – zuerst habe man die Toasterproduktion verlagert und das sei kein Problem gewesen. Schließlich wusste man, wie Toaster gemacht werden. Aber Schritt für Schritt gingen damit die eigenen Fähigkeiten verloren. Dieser Trend wird jetzt umgedreht. GE will bis Ende 2014 mehr als 75 Prozent des Haushaltsgeräteumsatzes mit Produkten erwirtschaften, die in den USA hergestellt werden.
Die Industrie ist zurück
Die Re-Industrialisierung der USA findet statt. Billige Energie hat dazu geführt, dass eine Jahrzehnte geübte Praxis hinterfragt wurde. Outsourcing wird damit zum Auslaufmodell und Insourcing erlebt einen Boom.
Ironisch wäre, wenn sich jetzt bestätigen würde, was Skeptiker immer lauter sagen: Die Euphorie rund um die US-Öl- und Gasreserven ist vielleicht völlig überzogen. Tatsächlich weisen die Prognosen steil nach oben. Die als sicher geltenden Reserven waren noch nie so groß wie jetzt, aber die tatsächliche Erschließung erweist sich als schwieriger als gedacht. Shell zum Beispiel hat Milliardeninvestitionen in die USA abgeschrieben, »weil sich das Geschäft mit dem Erdgas nicht so entwickelt hat wie erhofft«(Shell-Chef Peter Voser).
Konzerne wie Shell waren gewohnt, einmal in eine Abbaustätte kräftig zu investieren und dann über Jahrzehnte ein Lager auszubeuten. Die Schiefergasgewinnung ist allerdings weit kurzlebiger – das Vergnügen kann nach wenigen Jahren schon wieder vorbei sein. Die Preise für Erdgas sind kräftig gesunken, das macht im Moment ein Engagement für die Giganten des Geschäftes wenig interessant. Da tun sich die wendigen, kleinen amerikanischen Unternehmen leichter. Sie kommen mit dem schnelllebigen Geschäft besser zurecht. Shell zieht sich zurück, will auch die 192 texanischen Bohrstätten verkaufen. Die Interessenten jedenfalls stehen Schlange: Sie alle hoffen, dass die Re-Industrialisierung voll in Schwung kommt und die Preise fürs Erdgas wieder aus dem Keller kommen. Damit das, was den Boom ausgelöst hat, wieder einen Boom erlebt.