Gunter Kappacher, Leiter des Bereichs Energie für Österreich und CEE bei Siemens, über die Zukunft der Energieversorgung in Österreich und Visionen auf europäischer Ebene.
Von Martin Szelgrad
Report: Herr Kappacher, Strom aus erneuerbaren Energien ist derzeit ein gefragtes Thema. Wie grün kann Stromgewinnung und -verteilung überhaupt werden?
Gunter Kappacher: Österreich befindet sich in einer außerordentlich erfreulichen Situation: Zwei Drittel des Stroms werden aus Wasserkraft erzeugt – eine atypische Situation im Vergleich zu anderen Ländern. Auch die Stromerzeugung aus Wind und Sonne wächst stetig. Im Jahr 2008 trugen die erneuerbaren Energien weltweit mit 19 Prozent zur Stromerzeugung bei. Prognosen zufolge werden sie bis 2030 rund ein Drittel des Strommixes ausmachen. Es geht also voran – wenn auch relativ langsam. Dieses Wachstum erfolgt derzeit vor allem über den Ausbau der Windkraft. In Österreich und anderen Ländern, die über große Wasserkraftskapazitäten verfügen, wird diese Form der Stromgewinnung natürlich weiterhin dominieren.
Report: Welches Potenzial sehen Sie für Technologien wie Photovoltaik und Windkraft in Österreich? Welche Kapazitäten könnten am Markt noch erschlossen werden?
Kappacher: Mit weiteren Wasserkraftsprojekten können Kapazitäten von sieben bis neun Terawattstunden erschlossen werden – das sind gut zehn Prozent der heimischen Stromversorgung heute. Beim Thema Windkraft gibt es derzeit rund 1.000 Megawatt installierte Leistung. Diese könnte theoretisch verdreifacht, wirtschaftlich gesehen zumindest verdoppelt werden. So wird es in den kommenden Jahren nicht nur neue Standorte für Windparks geben, sondern auch eine Erneuerungswelle mit leistungsfähigeren Windturbinen. Bei der Sonnenenergie ist die solarthermische Wasseraufbereitung Stand der Technik und im kommunalen Bereich und bei den Haushalten weit verbreitet. Österreich befindet sich in diesem Bereich weltweit sogar auf Platz zwei.
Noch wenig entwickelt ist der Photovoltaikmarkt. Die Stromgewinnung mittels Sonnenkraft steckt in ihrer technologischen Effizienz noch in den Anfängen. Es scheint also klüger zu sein, sein Geld dann einzusetzen, wenn die Photovoltaikprodukte wirtschaftlich leistbarer werden. Es zeichnet sich bereits ab, dass die Kosten für photovoltaische Stromerzeugung sinken werden. Damit bin ich auch hier optimistisch, dass Solarpower bald eine größere Rolle spielen wird.
Report: Welche Herausforderungen gehen mit dem Ausbau von erneuerbaren Energien einher?
Kappacher: Heute verkraften die Netze die kostenfreie Energie aus erneuerbaren Quellen teilweise gar nicht. Bei Überkapazitäten können bei einem Fehlen von Abnehmern schnell auch Überlastungen entstehen, bis hin zu der Bildung von negativen Strompreisen. So haben wir es bei einer Energieversorgung mittels Photovoltaik oder Windkraft stets mit fluktuierenden Einspeisungen zu tun. 2.500 Betriebsstunden jährlich in der Windkraft gilt in Österreich schon als sehr gut. 1.000 Betriebsstunden Photovoltaik sind ebenfalls recht gut – dies bedeutet aber, dass im Jahresschnitt nur in zwölf Prozent der Zeit Strom produziert werden kann. Wir müssen uns also überlegen, wie wir hier Ausgleichsenergie zu den Verbrauchern schaffen können. Dazu brauchen wir Pumpspeicherkraftwerke, aber auch Gas-und- Dampfkraftwerke, wie zum Beispiel Simmering, Timelkam und Mellach. Sie liefern mit bestmöglicher Effizienz und so sauber wie überhaupt nur möglich Grundlast, Wärme und die benötigte Ausgleichsenergie.
Dieses Zusammenspiel der unterschiedlichen Aufgaben in den Stromnetzen muss nun auch auf europäischer Ebene überlegt werden. So macht es vielleicht Sinn, dass die größte Investition in Photovolatik nicht wie voriges Jahr in Tschechien passiert, sondern in einem Land, das über dreimal so viele Sonnenstunden verfügt. Nordafrika, der Süden Spaniens oder Griechenland würden sich dazu anbieten. Es macht ja auch Sinn, Windkraft dort massiv auszubauen, wo jährlich 3.500 Stunden Auslastung erreicht werden – in der Nordsee und mit Offshore-Windparks. Es ist wichtig, hier europäisch denken zu beginnen.
Report: Ein europäischer Verbund unterschiedlicher Stromgewinnung und Ausgleichsenergie fordert auch Investitionen in die Verteilnetze der nationalen Energieversorger. Welchen Handlungsbedarf gibt es hier?
Kappacher: Bei erneuerbaren Energien wird stets von dezentraler Energieversorgung gesprochen. Diese dezentrale Stromerzeugung findet aber meist konzentriert statt. 20 Gigawatt Windkraft stehen in Deutschland nicht über das ganze Land verteilt, sondern im Norden. In Österreich ist die Windenergie im nördlichen Burgenland sehr stark. Dort befinden sich, Richtung Bratislava von der A4 nach Süden blickend, 50 Prozent der heimischen Windparks. Die Ausgleichsenergie finden Sie aber vorwiegend im Westen, in den Alpen. Die Pumpspeicherkraftwerke sind also ziemlich weit von jenen Regionen entfernt, die ständig schwankende Spitzen in der Energiegewinnung produzieren.
Wenn wir diese enorme Energiegewinnung nutzen wollen, muss es einen europäischen Supergrid geben, der Strom auch über Landesgrenzen hinweg in die Lastzentren ableiten kann. Damit können wird auf die Leistungen der riesigen Wasserreservoirs in Skandinavien, den Speicherkraftwerken in den Alpen, die Sonnenkraft im Süden Europas und Windkraft im Nordwesten zugreifen. Diese Stromautobahn haben wir auf europäischer Ebene heute noch nicht. Im Vergleich zum europäischen Supergrid sind die Aufgaben in Österreich vielleicht ein kleineres Thema. Wir sollten aber die Hausaufgaben im eigenen Land machen, um zumindest die eigenen Energiemöglichkeiten effizient zu nutzen. Mit dem heutigen Netz gelingt das in Österreich nicht mehr. Wir bräuchten für Österreich einen komplett geschlossenen 380-kV-Ring.
Report: Gibt es andere vielversprechende Lösungen, Energie zu speichern?
Kappacher: Derzeit gibt es eine einzige gut funktionierende technische Lösung: die Wasserkraft in Pumpspeicherkraftwerken. Diese kommt allerdings weltweit nur für sehr wenige Länder infrage. Es gibt Lösungen, an denen geforscht wird, wie Speichermöglichkeiten über Batterien, aber auch über komprimiertes Gas in Kavernen, und auch Überlegungen, Wasserstoff in der Nähe von Windkraft zu produzieren, der dann verteilt und am Ort des Bedarfs sehr sauber wieder in Energie umgewandelt wird. Dies alles bedeutet aber wieder Effizienzeinbußen und ist heute noch nicht in industriellen Größenordnungen realisierbar. Vielversprechend ist auch ein Konzept für die Zukunft, die Batteriespeicher von hunderttausenden elektromobilen Autos für diesen Zweck zu nutzen. In Zeiten, in denen das Auto nicht gefahren wird – in der Regel sind dies 23 Stunden am Tag –, kann dann die Batterie als Speicher verwendet werden.
Report: Was glauben Sie, ab welchem Jahr werden Sie ein Elektromobil als Dienstfahrzeug nutzen?
Kappacher: Prognosen rechnen mit fünf Prozent elektromobilen Fahrzeuge im Markt bis zum Jahr 2020. Wenn man die Lebensdauer eines Automobils betrachtet, die zwischen sieben und zehn Jahren liegt, bedeutet dies trotzdem einen schnell wachsenden Markt in Neuzulassungen. Ich bin davon überzeugt, dass der Wettbewerb der Hersteller mit professionellen Fahrzeugen am Markt bereits 2012 beginnen wird. Wenn man die Ankündigungen der großen Automobilhersteller beobachtet, wird dieser Bereich schneller wachsen, als viele denken.
Ein bisschen Umdenken würde uns ja allen nicht schaden. Ich wüsste zum Beispiel nicht, warum mir mein Auto jeden Tag 500 Kilometer Reichweite bieten muss. Es ist daher realistisch, dass sich in einigen Jahren der Wettbewerb rund um E-Mobility sich nicht nur ums Zweitauto drehen wird.
Länder wie China überspringen gerade ganze Automobilgenerationen und setzen bereits voll auf die Forschung und Entwicklung von Elektromobilität. Sie mischen sich in den großen Wettbewerb der Motoren rund um fossile Kraftstoffe gar nicht mehr ein, sondern setzen mit großem Innovationstempo gleich auf die nächste Technologie. Es wäre fatal, wenn Europa dies verschlafen würde. Natürlich gibt es immer noch viele, die von dieser Entwicklung nicht überzeugt sind. Wenn Sie aber einmal in einem Elektromobil gefahren sind, dann wissen Sie, dass es nicht nur technisch und wirtschaftlich vernünftig ist. Es funktioniert auch besser.
Report: Wie ist das Jahr 2010 für den Energy-Bereich bei Siemens verlaufen?
Kappacher: Siemens Energy ist mit seinen Produkten und Lösungen hervorragend im Markt positioniert. Ein Drittel unseres Geschäfts passiert bereits mit grünen, energieeffizienten Themen, die für eine nachhaltige Zukunft wichtig sind. Doch gilt für unsere spezifische Region mit 19 Ländern von Österreich bis Aserbaidschan und Ukraine bis Israel, dass sehr viele Länder durch die Wirtschaftskrise deutlicher getroffen wurden. Hier reden wir schon wieder von einer blühenden Perspektive, dies gilt aber nicht für alle Länder. In der Ukraine, in Ungarn, Bulgarien oder Rumänien werden auch im kommenden Jahr noch Nachwirkungen der Krise zu spüren sein. Derzeit sind Finanzierungen in diesen Ländern schwierig: Projekte werden verschoben und der allgemeine Energiebedarf ist gesunken. Aus diesem Grund war heuer auch für uns in einigen Ländern in Osteuropa ein schwieriges Jahr.
Report: Wie sieht die Lage in Österreich aus?
Kappacher: 2010 wurde zwar kein neues größeres Kraftwerksprojekt begonnen, unser Österreichgeschäft ist aber stabil. Heuer wurde wieder so viel Strom wie zuletzt 2008 verbraucht – ein Indikator für die Erholung der Wirtschaft. In industriestarken Bundesländern wie Oberösterreich und Steiermark sind die Unternehmen wieder »back on track«. Es geht wieder bergauf.
Report: Können wir das als Prognose für 2011 werten?
Kappacher: Ja, das können Sie.
>> DI Gunter Kappacher, 51, ist Mitglied des Vorstandes bei Siemens AG Österreich und Leiter des Sektors Energy in der erweiterten Region Zentral- und Südosteuropa. Dieser regionale Cluster umfasst neben Österreich weitere 18 Länder.
Seine Karriere bei Siemens hatte Kappacher in Wien begonnen. Nach Abschluss seines Informatikstudiums 1978 und verschiedenen leitenden Funktionen im IT-Bereich wandte er sich der Sparte Energy zu und verantwortete 2005 auch die Akquisition und Integration von VA-TECH.