Beobachtung in Attosekunden
Nachdem in den letzten Jahren immer weitere Fortschritte in der Erzeugung ultrakurzer Laserpulse gemacht wurden, stehen nun die wissenschaftlichen Werkzeuge zur Verfügung, den zeitlichen Ablauf von Vorgängen im Atom zu studieren. Durch Laserpulse können Atome ionisiert werden – ihnen werden also Elektronen entrissen. Das geschieht aber so schnell, das es bisher unmöglich war, solche Ionisationsereignisse in Echtzeit zu beobachten. Durch die Zusammenarbeit von Experimentatoren-Teams und theoretischen Forschungsgruppen kann dieser Prozess nun auf der Zeitskala von Attosekunden untersucht werden. Die Messungen wurden am Max-Planck Institut für Quantenoptik in Garching (Deutschland) unter der Leitung von Prof. Ferenc Krausz durchgeführt, theoretische Berechnungen steuerten Prof. Joachim Burgdörfer, Renate Pazourek und Stefan Nagele vom Institut für theoretische Physik der TU Wien bei. Auch Johannes Feist, der im vergangenen Jahr von der TU Wien nach Harvard (USA) wechselte, ist Teil dieser internationalen Kooperation.
Um ultrakurze Phänomene sichtbar zu machen, muss auch die Messung sehr kurz sein: Ein Attosekunden-Lichtblitz ionisiert die Atome, mit einem weiteren kurzen Laserpuls werden die Elektronen analysiert. „Wie ein Foto oder eine Zeitlupenaufnahme darf man sich diese Untersuchung nicht vorstellen“, betont Stefan Nagele. "Diese Messung ist doch um einiges komplizierter." Dass es enorm spannend wäre, den zeitlichen Ablauf von Quantenprozessen studieren zu können, ist Physikern schon lange klar. Doch auch die enormen Schwierigkeiten, die damit verbunden sind, liegen auf der Hand. Um die experimentellen Daten wirklich verstehen zu können, sind quantenphysikalische Computersimulationen notwendig – dafür nützt die Gruppe am Institut für theoretische Physik einige der leistungsfähigsten Computercluster der Welt.
Quanten-Frühstart der Elektronen
"Wenn ein Laserpuls auf ein Atom trifft, können Elektronen aus unterschiedlichen Quantenzuständen ionisiert werden", erklärt Renate Pazourek. Beim Garchinger Experiment mit Neon-Atomen sind das Elektronen aus den Quantenzuständen 2p und 2s. Wenn sie erst mal aus dem Atom herausgerissen worden sind, haben sie unterschiedliche Geschwindigkeiten. Ob die 2p- oder die 2s-Elektronen den Wettlauf vom Atom zum Messgerät gewinnen, ließ sich schon bisher leicht durch die Messung der Laufzeit überprüfen. Mit den nun entwickelten Messmethoden kann aber sogar beobachtet werden, ob die 2s- und die 2p-Elektronen auch gleichzeitig das Atom verlassen, oder ob eines einen "Fehlstart" hinlegt. Und tatsächlich: Die langsameren 2s-Elektronen lösen sich um einige Attosekunden früher aus dem Atom. In dieser winzigen Zeitspanne legt selbst das Licht nur eine Strecke zurück, die einigen Atomdurchmessern entspricht. Die 2p-Elektronen folgen nach und überholen die 2s-Elektronen kurze Zeit später.
Neue Wege in der Physik
Das Phänomen der Photoemission ist schon lange bekannt. Wie das Licht Elektronen aus einem Atom herauslöst, konnte Einstein 1905 schon erklären. “Den zeitlichen Ablauf dieses Prozesses zu untersuchen wäre aber ohne die heutige Laser-gestützte Attosekunden-Messtechnik kaum vorstellbar”, betont Prof. Burgdörfer. “Und die theoretische Simulation solcher Abläufe wäre ohne die höchste heute verfügbare Computerleistung undenkbar.” Für Atomphysiker herrschen spannende Zeiten. Am Institut für theoretische Physik der TU Wien zweifelt man jedenfalls nicht daran, dass die Beobachtung von Quantenteilchen in Echtzeit spannende Effekte bereithält, die durch Techniken der Attosekundenphysik ans Licht gebracht werden können.
Infobox: Attosekunden
Eine Attosekunde ist ein Milliardstel eines Milliardstels einer Sekunde, also 10 hoch minus 18 Sekunden. Verglichen mit den Zeitskalen, mit denen wir im täglichen Leben zu tun haben, ist das unvorstellbar kurz: Eine Attosekunde verhält sich zu einer Sekunde etwa so wie eine Sekunde zum Alter des Universums. Seit Jahren schon wurden immer wieder Weltrekorde bei der Erzeugung ultrakurzer Laserpulse gefeiert. Bisher aber konnten diese Laserpulse nur zur Untersuchung von Vorgängen verwendet werden, die deutlich länger dauern.