Wohin die Reise geht
Die Energiewirtschaft steht derzeit vor großen Veränderungen. Stromerzeugung durch erneuerbare Energien, intelligente Stromzähler für neue Transparenz und Services sowie Elektromobilität, welche – so viel ist sicher – nach 100 Jahren Automobil nun den Individualverkehr auf den Kopf stellen wird. Es sind Riesenmärkte und Riesenchancen, die sich den Energieversorgern und Quereinsteigern aus anderen Branchen auftun. Die Schatzkiste wurde bereits gefunden und geöffnet. Jetzt geht es darum, wie der Schatz verteilt wird – und vor allem wann. Schließlich möchte kein vernünftig wirtschaftendes Unternehmen Geld verbrennen. Marktanalysten von Barkawi Management Consultants haben sich in einer großen Studie zum Thema »Next Generation Energy» des Weges angenommen, den die Energieversorger in den kommenden Jahren beschreiten werden. »Wir sehen einen Zusammenhang zwischen den unterschiedlichen Bereichen, die großen Veränderungen unterworfen sind«, will Studienautor Frank Reichert, Vice President bei Barkawi, dazu nun vielversprechende Geschäftsmodelle empfehlen können.
Drehscheibe Elektromobil
Die Zeichen für Veränderungen stehen gut. Die fossilen Brennstoffe sind endlich. Vor den fundamentalen Herausforderungen hinsichtlich Klimawandel, Ressourcenverteilung und Umweltschutz bietet Strom nachhaltig effiziente Energie für den Betrieb von Geräten und Fahrzeugen. Wenn diese auch noch umweltschonend erzeugt werden kann, steht auch grünem Strom nichts mehr im Weg. Die ersten Windparks und Solaranlagen speisen bereits ihre Erträge in die Netze. Doch macht ein weiterer Ausbau der regenerativen Energien nur Sinn, wenn es gelingt, die witterungsbedingten Schwankungen in der Stromerzeugung über Zwischenspeicher und leistungsfähige Fernleitungen zu harmonisieren. Die Erträge aus den Erneuerbaren lassen sich nicht ohne Aufwand speichern – sie müssen in der Regel direkt konsumiert werden. »Zweifellos werden die Energiespeicher künftig eine Schlüsselrolle einnehmen, indem sie Angebot und Nachfrage zeitlich und räumlich ausgleichen«, sieht Reichert dazu nicht nur Pumpspeicherkraftwerke und andere technische Verfahren wie beispielsweise Druckluftspeicher im Einsatz. Auch hier könnte das Elektrofahrzeug helfen, meint der Experte und spricht dabei eine neue Möglichkeit des Stromhandels im Smart Grid an. Werden heute an den großen Energiehandelsplätzen große Mengen zu günstigen Preisen zugekauft und gewinnbringend weitergegeben, wird möglicherweise bald im Kleinen gefeilscht werden – um Kilowattstunden statt im Megawattbereich. Im Modell »Vehicle-to-Grid« dienen die Batterien in den Elektrofahrzeugen als Teillastspeicher. Kleine, abermillionenfach verteilte Einheiten werden entweder dann geladen, wenn Strom aus den Erneuerbaren ins Netz gespeist wird, oder sie dienen selbst als Zwischenspeicher. Die Idee: Bei entsprechender Nachfrage und Preis wird einfach wieder ein Teil der gespeicherten Energie ans Netz abgegeben. Für die Verbraucher tun sich damit völlig neue Möglichkeiten auf, vorausgesetzt die Stromnetze und Endgeräte werden mit ausreichend Intelligenz ausgestattet.
In Sachen E-Mobilität können sich die Energieversorgungsunternehmen an nahezu jeder Stelle der Wertschöpfungskette positionieren – vom reinen Lieferanten mit Stromtankstellen und Akkuservice bis hin zu strategischen Partnerschaften mit Fahrzeugherstellern, Leasinganbietern, Kfz-Dienstleistern. Freilich wird in der Barkawi-Studie vor Newcomern wie etwa den IT-Dienstleistern gewarnt. Doch, so heißt es, noch habe die Energiewirtschaft aktuell die besten Karten. Sie alleine besetzt derzeit die Infrastruktur für Strom und hält den direkten Kontakt zum Kunden. Die Fahrzeughersteller dagegen werden noch einige Jahre mit einem vergleichsweise winzigen Markt und geringen Vertriebsmöglichkeiten kämpfen.
Wie schnell wächst der Markt? Die Studie bemüht sich, diese zentrale Fragestellung zu lösen und zeigt anhand einer großen Umfrage Potenziale und Hürden auf. Knapp 84 Prozent der Befragten können sich demnach vorstellen, ein Elektroauto zu kaufen. Dennoch gibt es eine Reihe an Vorbehalten, die es vorerst auszuräumen gilt. »Teilweise werden die Verbraucher noch in die Irre geführt«, zeigt Reichert auf. So würden viele Menschen Fahrzeuge mit Elektroantrieb aus Reichweitengründen ablehnen. »Fakt ist aber, dass 80 Prozent der Fahrten über weniger als 40 km gehen. Das Fassungsvermögen der Batterien ist eigentlich kein Thema mehr«, ortet er eher Imageprobleme als technische Hürden auf dem Weg zur Elektromobilität. »Die Angst der Menschen, mit einem Elektroauto die Möglichkeit des unbegrenzten Reisens zu verlieren, ist groß. Sie fürchten, nicht in den Urlaub fahren zu können und vergessen, dass solche Strecken meist ohnehin nur einmal im Jahr gefahren werden.«
Und: Die Bestrebungen mancher Unternehmen, bereits heute ein Netz an Stromtankstellen zu errichten, sind eher kosmetischer Natur. Aufgrund der Stehzeiten mache eine Versorgung mit Ladestationen im ersten Schritt lediglich im Privatbereich, in der eigenen Garage, Sinn. Für das Vehicle-to-Grid-Konzept und bessere Reichweiten wäre ein öffentliches Ladesystem notwendig. Die Bedenken der Autofahrer gegenüber der zu geringen Reichweite von E-Autos basieren ausschließlich auf Sicherheitsgedanken - nicht auf Notwendigkeiten
Bereitschaft der Mittelschicht
Wesentlich für den Markterfolg des Elektroautos ist die Finanzierung. Für ein vernünftiges Marktwachstum wären in einer ersten Phase eigentlich finanzielle Förderungen angebracht, die in vielen Ländern aber völlig fehlen. »Selbst die Automobilindustrie hat endlich erkannt, dass die Leistbarkeit dieser Autos wichtig ist und passt die Fahrzeuggrößen nun entsprechend an«, berichtet Reichert. Dennoch: Die traditionellen Hersteller könnten bereits zu spät kommen. Neue Marktteilnehmer vor allem aus Asien könnten in nur wenigen Jahren den europäischen Markt mit leistbaren Fahrzeugangeboten überschwemmen. In Ländern wie China wird Elektromobilität weit stärker gefördert als in Österreich oder Deutschland.
Eine weitere wichtige Erkenntnis haben die Barkawi-Berater aus den Befragungen gewinnen können: Nicht die Oberschicht, die klassischen S-Klasse-Fahrer, sind zu einem Aufpreis für den alternativen Antrieb bereit, sondern die breite Mittelschicht. Die Innovationsbereitschaft geschieht in Europa nicht von oben nach unten, sondern aus der Breite. Im Segment der S-Klasse sind die Zahlungsbereitschaft und der empfundene Prestigegewinn zu gering.
Um für die Zukunft gerüstet zu sein, müssen die EVU über ihren Tellerrand hinausschauen. »Sobald sich die ersten E-Autos im Alltag beweisen, wird die Nachfrage drastisch steigen«, weiß der Studienautor. Langfristig aber werde das Auto mit seinem heutigen Stellenwert trotzdem zunehmend in den Hintergrund treten und dafür Mobilität an sich an Wichtigkeit gewinnen. »Ko-Mobilität ist das Prinzip der Zukunft. 60.000 km im Jahr mit allen Verkehrsmitteln und einem einzigen Ticket: In einem solchen System könnten E-Autos ihr volles Potenzial in Car-Sharing-Flotten entfalten« – das ist möglicherweise eines der vielversprechenden Geschäftsmodelle der Zukunft.