Freitag, Mai 03, 2024

Dass die Klimakrise die aktuell größte Bedrohung für uns ist und tiefgreifende Änderungen nötig sind, sollte eigentlich mittlerweile bei allen angekommen sein. Dennoch werden weiterhin alte Muster konserviert und nur durch modernere Technologien substituiert. Das reicht leider nicht.

Es ist Jahresanfang und viele Führungskräfte befassen sich mit den Megatrends der kommenden Jahre. Die Klimakrise ist der Megatrend schlechthin und zur Problemlösung brauchen wir weit mehr als die Optimierung des Status quo. Das ist keine Panikmache oder Schwarzmalen, ein Blick in die IPCC-Berichte hinsichtlich der Folgen und Kosten der Klimakrise reicht.

Substitution geht zusammen mit Transformation

Der Hauptfokus bei vielen Diskussionen dieser Art ist getrieben von einer Substitution. Beispielsweise bei der Energieerzeugung wollen alle auf 100 Prozent erneuerbare Energien wechseln. Auch wenn dieser Ansatz absolut richtig ist, so betrachtet er nur die eine Seite. Die andere Seite ist nämlich auch die Reduktion von Energiebedarf. Und dieser funktioniert nicht ausschließlich durch mehr Effizienz, sondern auch durch eine Änderung unseres Verhaltens. Was brauchen wir wirklich und was ist Verschwendung? Sowohl im privaten als auch im Unternehmenskontext.

Reduktion der Menge und zeitlichen Verfügbarkeit

Auf der Seite der Nutzer*innen wird zu es Veränderungen kommen, die Bestehendes in Frage stellen. Die Bepreisung wird sich sehr wahrscheinlich von der reinen Menge hin zum Leistungsbezug – wie viel brauche ich wann – verändern. Ein Beispiel: Ist es wirklich nötig, dass man in den Abendstunden kocht, gleichzeitig die Waschmaschine laufen lässt und nach dem Essen sofort den Geschirrspüler anmacht? Solche Spitzenbedarfe, die für eine lokale Regelung schwierig sind, können vermieden werden. Auf der Unternehmensebene ist es ähnlich. Müssen alle Maschinen zur gleichen Zeit laufen oder können Lastspitzen durch Prozessmanagement oder intelligente Steuerung optimiert werden? Die Smart Meter werden kommen, auch wenn es heute noch zahlreiche Hürden gibt.

Möchte man dennoch mehr Energie zu einer bestimmten Zeit haben, kann der Preis mit dem Leistungsbedarf skalieren. Der höhere Regelaufwand wäre damit finanzierbar und wer mehr möchte, weil er nicht bereit ist, das eigene Lastprofil zu nivellieren, muss entsprechend bezahlen. Das führt damit zu Verhaltensänderungen und gewisse Stromfresser, wie im Haushalt beispielsweise Wäschetrockner, die etwas tun, was die Natur von allein erledigt, wären dann für Viele nicht mehr erstrebenswert.

Energie brauchen wir immer, ohne Umwege

Auf der anderen Seite wird sich die Stromproduktion ändern. Der klassische Ansatz des Großkraftwerks, das sternförmig ganze Regionen mit Strom versorgt, ist teuer, aufwändig und häufig klimaschädlich.

Die Alternative sind kleine, lokale Energiestrukturen aus 100 Prozent erneuerbaren Energien – zum Beispiel Wind, PV, kleine Wasserkraft, Biomasse. Kombiniert werden diese mit regionalen Speichern aus Batterien einschließlich denen von Elektrofahrzeugen, Wasserstoff-Elektrolyseuren mit Rückverstromung, kleine Pumpspeicherwerken und flexiblen Verbrauchern, wie etwa Wärmepumpen oder der Produktion von Stoffen, die man zu einem späteren Zeitpunkt braucht. Damit entstehen virtuelle Kraftwerke. Der Bedarf wird, soweit es möglich ist, lokal geregelt.

Erst wenn es in einem lokalen Cluster zu wenig gibt, kann über Transferleitungen aus anderen Clustern kompensiert werden. Dieser Ansatz funktioniert bereits im Kleinen, kann aber auch groß über mehrere Ebenen skaliert werden. Damit sind traditionelle Großkraftwerke obsolet und kleine, lokale Strukturen führen zu lokaler Wertschöpfung und diese sind deutlich stabiler gegen Angriffe von außen. Mir ist bewusst, dass diese Vorstellungen einigen in der Branche nicht gefallen, denn sie stellen die Denkweise der letzten Jahrzehnte komplett in Frage. Und ja, dafür sind massive Investitionen nötig. Andererseits wird damit die Importabhängigkeit und der Abfluss der Wertschöpfung in despotische Staaten reduziert.

Es geht um Bedürfnisse, nicht um alte Lösungen

Bei der Veränderung ist es wichtig zu verstehen, was die Bedürfnisse sind. Am Beispiel der Mobilität wird das deutlich: Es geht darum, Menschen oder Güter zu transportieren und nicht um den Besitz der dafür erforderlichen Ressource. Das Auto im heutigen Anwendungsfall ist die ineffizienteste und teuerste Art der Mobilität, selbst wenn Autos elektrisch fahren.

Für die individuelle Mobilität im ländlichen Raum sind noch viele Innovationen und Investitionen nötig. Dass es heute noch nicht ohne Auto geht, ist kein Naturgesetz, sondern das Ergebnis mangelnden politischen und wirtschaftlichen Willens in Kombination mit der Unfähigkeit, sich etwas jenseits des Status quo vorzustellen. Wenn man den öffentlichen Personenverkehr mit lokalen und niederschwelligen Sharing-Angeboten kombiniert und endlich eine Kostenwahrheit herstellt, führt das unweigerlich zu einer Individualmobilität ganz ohne unzählige Autos im Privatbesitz und damit zu deutlich weniger Energiebedarf. Das wir heute keine Kostenwahrheit haben, zeigt sich etwa am Diesel- oder Dienstwagenprivileg.

Innovation entsteht außerhalb des Status Quo

Eines vorab: Es gibt nicht die eine richtige Lösung. Wir brauchen ganz viele verschiedene Ansätze und diese sind mehr als die Optimierung des Status quo. Bei Innovation geht es primär darum, die wahren Bedürfnisse etwa im Bereich Mobilität zu verstehen, um dann daraus Lösungen zu entwickeln. Das sind dann nicht nur technische Anwendungen, sondern auch soziale Ansätze, die die Verhaltensänderung ermöglichen. Dabei muss Klimaschutz das wesentliche Primärelement sein, denn die beste Innovation ist nutzlos, wenn unser Lebensraum zerstört ist.


Zum Autor

Mario Buchinger ist (Ökonomie-)Physiker, Musiker und Autor. Der Lean- und Kaizen-Spezialist war zehn Jahre als Angestellter und Führungskraft bei Daimler und Bosch tätig, bevor er 2014 das Unternehmen Buchinger|Kuduz gründete, das auf Strategie-, Prozess- und Klima-Transformation spezialisiert ist. Zu den Kunden zählen neben Industrieunternehmen auch Banken und öffentliche Behörden.

Linktipp: Wie können Unternehmen die Klima-Transformation vorantreiben? Buchinger|Kuduz hat dazu ein Klima-Reifegrad-Assessment entwickelt: www.buchingerkuduz.com

(Bilder: iStock, Schaefler)

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