Bis 2030 benötigt Österreich zusätzlich 27 Terawattstunden erneuerbare Energie. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn alle Bürger*innen ins Boot geholt werden, ist die Energiebranche überzeugt. Die Entwicklung und Erprobung innovativer Geschäftsmodelle läuft auf Hochtouren.
Gegenwärtig ist das Energiesystem geprägt von steigendem Energiebedarf, steigenden Energiepreisen und großer Importabhängigkeit, das Bewusstsein für den Umgang mit Energie fehlt zumeist. Aber der Energiemarkt befindet sich in einer Umbruchphase. »Themen der kommenden Jahre werden Speichertechnologien, überregionaler Stromaustausch und Energiegemeinschaften sein«, betont Bernadette Fina, Wissenschafterin am Center for Energy des AIT. Letztere bilden für sie einen wesentlichen Teil des Umbruchs, vor allem um erneuerbare Energie im Privatbereich zu forcieren.
Schon 2017 wurde mit den gemeinschaftlichen Erzeugungsanlagen die Möglichkeit geschaffen, dass mehrere Personen auf einem Grundstück gemeinschaftlich Strom produzieren und verwerten. Es konnte aber nur eine Leitungsanlage innerhalb des Gebäudes durch mehrere Parteien genutzt werden; eine Nutzung des öffentlichen Verteilernetzes ist im Rahmen der gemeinschaftlichen Erzeugungsanlagen nicht möglich. Mit dem Erneuerbaren-Ausbau-Gesetzespaket, das auf europäische Richtlinien zurückgeht, ist der Zusammenschluss von Personen möglich, um über Grundstücksgrenzen hinweg Energie produzieren, speichern, verbrauchen und verkaufen zu können.
Immer mehr Gemeinden melden sich bei der E-Control und der Koordinationsstelle für Energiegemeinschaften. Ihre Gründe: Vorreiterrolle bei der Energiewende (84 %), Strommodelle für Bürger*innen (83 %), Notstromversorgung (80 %), Energiearmut (65 %), Elektrifizierung des Fuhrparks (57 %).
Es gibt zwei Modelle von Energiegemeinschaften: die lokal beschränkte Erneuerbare-Energie-Gemeinschaft (EEG), die für Wärme und Strom ausgelegt ist, sowie die innerhalb Österreichs geografisch unbeschränkte Bürger-Energie-Gemeinschaft (BEG), die jedoch auf Strom beschränkt ist. Verbunden wird über das öffentliche Verteilernetz. »Unterschieden wird zudem zwischen lokalen und regionalen EEG, verrechnet werden verschiedene Netzebenen«, informiert Matthias Katt, Geschäftsführer von eFriends, einer Plattform »für alle Arten von Energiegemeinschaften«.
»Unsere Community besteht aus kleinen Erzeugern mit PV-Anlagen, Kleinwasserkraftwerken und Biogasanlagen. Die mehr als 1.000 Teilnehmer*innen versorgen sich gegenseitig, wir als Energieversorger beliefern mit Rest-Grünstrom«, sagt Matthias Katt von eFriends.
Lokale EEG nutzen lediglich die Netzebenen 6 und 7, das örtliche Niederspannungsnetz inklusive einer Trafostation. Regionale EEG können auch das Mittelspannungsnetz (Netzebene 5) und die Mittelspannungssammelschiene im Umspannwerk (Netzebene 4) beanspruchen. Die Arbeitspreise für das Netznutzungsentgelt in lokalen EEG reduzieren sich um 57 Prozent, jene in regionalen EEG um 28 bzw. 64 Prozent. Die Position des Stromversorgers entfällt. Entstehende monetäre Verluste gleichen diese zum Beispiel durch das Angebot von Abrechnung und Service für EEG aus.
Wichtigstes Element
»Wenn wir die Energiewende schaffen möchten, sind die Nutzer*innen das wichtigste Element«, hebt Raphaela Reinfeld, Obfrau der Forschungsinitiative Green Energy Lab (mit den vier Gründungsmitgliedern Energie Burgenland, Energie Steiermark, Wien Energie und EVN), die große Bedeutung der Energiegemeinschaften hervor. Bürger*innen müssen sich mit dem Thema, was bedeutet eine Kilowattstunde, wann und wo wird diese erzeugt, beschäftigen.
»Es braucht unterschiedliche Lösungen, wenn wir die Energiewende schaffen möchten, das wichtigste Element sind die Nutzer*innen«, betont Raphaela Reinfeld, Green Energy Lab.
»Wenn wir einmal im Jahr eine Stromrechnung bekommen und Strom für uns nur aus der Steckdose kommt, wird das immer etwas abstrakt bleiben«, betont auch Eva Dvorak, Leiterin der Koordinationsstelle für Energiegemeinschaften im Klima- und Energiefonds. Bei einer persönlichen Verbindung zu einer Erzeugungsanlage dagegen passt man das eigene Lastprofil an, etwa beim Laden eines E-Autos. Erneuerbare Energiegemeinschaften erhalten auch finanzielle Anreize.
»Es geht oft ums Geld«, bringt es Matthias Katt auf den Punkt. »Erneuerbar wird wirtschaftlicher und damit lässt sich die Energiewende schneller erreichen.« Er sieht die explodierenden Strompreise getrieben durch fossiles Gas als größten Treiber für das Marktwachstum von Energiegemeinschaften. Weitere finanzielle Anreize für EEG: Entfall des Erneuerbaren-Förderbeitrags, Befreiung von der Elektrizitätsabgabe für Strom aus Photovoltaik und Reduktion der Netzentgelte. 2024 wird es allerdings eine Evaluierung geben, ob Energiegemeinschaften ausreichend an den Systemkosten beteiligt sind. Hier behalte man sich laut Bernadette Fina Änderungen vor.
Förderungen und großes Interesse
Für EEG und BEG können 50 Prozent der innerhalb einer Energiegemeinschaft erzeugten und nicht verbrauchten erneuerbaren Strommenge mittels Marktprämie gefördert werden. Finanzielle Unterstützung wird auch durch das Programm Energiegemeinschaften geboten, das bis zum 31. März, dem Ende der Abgabefrist, verlängert wurde. »Energiegemeinschaften sind eine Win-Win-Situation für beide Seiten«, betont Fina. »Der Preis kann so vereinbart werden, dass ein Produzent einen höheren Preis für seine Energie erhält, als bei einem Verkauf an EVU, und der Konsument einen niedrigeren, verglichen mit dem aktuellen Strompreis.«
2024 wird es laut Bernadette Fina, AIT, eine Evaluierung geben, ob Energiegemeinschaften ausreichend an den Systemkosten beteiligt sind.
Diese Vorteile erkennen bereits viele Bürger*innen, Unternehmen und Gemeinden. »Die Energiegemeinschaft Göllersdorf in Niederösterreich ist seit Dezember 2021 aktiv«, sagt Matthias Katt und berichtet von weiteren Anträgen, auch für große EEG in Kärnten. Großes Interesse sieht auch der Dienstleister Energie Zukunft Niederösterreich, bereits 700 Interessent*innen sollen sich für Projekte in 13 Gemeinden vorangemeldet haben. Mit dem Beratungszentrum am Schwaighof in St. Pölten wird die erste Energiegemeinschaft in die Praxis umgesetzt.
Für AIT-Expertin Bernadette Fina werden Energiegemeinschaften trotzdem noch nicht ausreichend wahrgenommen. Das Thema sei zwar präsenter, weil auch Medien darauf aufspringen, es brauche aber auf jeden Fall noch mehr mediale Präsenz und Aufklärungsarbeit – vor allem für Personen ohne Energie-Background.
Energiewende erfordert Vielfalt
»Wenn wir uns 2030 vollkommen erneuerbar versorgen und 2040 klimaneutral sein möchten, braucht es einen bunten Mix an Maßnahmen«, stellt Raphaela Reinfeld fest und erkennt einen positiven Trend. Das Green Energy Lab etwa umfasst derzeit mehr als 40 Projekte, das Netzwerk besteht aus über 260 Partnern. »Wir haben bereits die vierte Ausschreibung gestartet. Vor allem Forscher und Unternehmen liefern viele Ideen, die Fördergelder sind komplett überzeichnet. Zahlreiche Lösungen liegen am Tisch, diese gilt es ausprobieren. Einige sind bereits am Markt und werden nun weiterentwickelt.« Wesentlich ist für Reinfeld, dass die Bevölkerung in die Lösungen eingebunden ist.
Einige Projekte:
- Bereits abgeschlossen ist »Blockchain Grid«. Dabei ging es um die Frage, wie die Netzeinspeisung von Strom, der von unterschiedlichen Erzeugern aus fluktuierenden erneuerbaren Energiequellen produziert wird, durch die flexible Nutzung freier Netzkapazitäten optimal umgesetzt werden kann.
- Abgeschlossen ist auch das Projekt »Hybrid DH DEMO«, das verschiedene Geschäftsmodelle im Zusammenhang mit dem Energieträger Wind für ein hybrides Fernwärmesystem am Standort Neusiedl am See entwickelte.
- Das Forschungsprojekt »Clue« befasst sich mit der Umsetzung lokaler Energiegemeinschaften in acht Demoregionen in Schweden, Schottland, Deutschland und Österreich. Im steirischen Almenland wird der Beitrag von Energiegemeinschaften zu Netzstabilität und Versorgungssicherheit untersucht, im Südburgenland liegt der Fokus auf der Integration von Elektromobilität und dem Einsatz der Blockchain-Technologie für automatisierte Transaktionen im Energiesystem. (Laufzeit bis 10/22)
- Die Energiezelle »Johann« ist eine neu entwickelte Technologie für die saisonale Energiespeicherung. (bis 02/23)