Mittwoch, November 20, 2024
Globaler Druck, lokaler Ausbau

Die Gaspreise im zunehmend globalisierten Großhandel ­drücken auch auf den Strompreis in Österreich. Abhilfe kann langfristig nur der weitere Ausbau der Erneuerbaren ­bringen, sind sich Vertreter*innen der Energiewirtschaft und der ­Industrie einig.

Es herrscht eine bedrückte Stimmung in der Energiewirtschaft. Die derzeit hohen Großhandelspreise für Gas und Strom drücken auf die Gewinnspannen der Energieversorger – und machen einmal mehr Energie zu einem Politikum. Nicht nur, dass die Finanzierung der Energiewende für das Erreichen der Klimaziele Europas enormer Kapitalmengen bedarf – wie engagiert werden dabei die Haushalte sein, wenn gleichzeitig die Energierechnungen steigen?

»Die Energiepreise erleben derzeit einen beispiellosen Höhenflug – durch das starke Wirtschaftswachstum und die steigende Nachfrage haben sich die globalen Gaspreise gegenüber dem Vorjahr versechsfacht. Diese Preiserhöhung wirkt sich auch auf die Großhandelspreise bei Strom aus – sie haben sich im selben Zeitraum fast verdoppelt«, bestätigt Barbara Schmidt, Generalsekretärin des Branchenverbandes Oesterreichs Energie.



Der Österreichische Gaspreisindex (ÖGPI) stieg im Jänner 2022 im Vergleich zum Vormonat Dezember um 24,4 %. Gegenüber Jänner 2021 liegt er um 600,3 % höher. Der Preisindex bildet nur die reine Energiekomponente ab. Der Gesamtpreis bei Gas teilt sich bei Gewerbekunden (Gasverbrauch 100.000 kWh) mit rund 50 % auf die Energiekomponente, zu 20 % auf Netzentgelte und zu 30 % auf Steuern und Abgaben auf. Ein Steigen oder Fallen des ÖGPI lässt generell auch bei Haushaltskund*innen eine entsprechend geringere Erhöhung respektive Senkung des gesamten Gaspreises erwarten.

Dabei hat Österreich einen hohen Anteil an sauberem Strom aus Wasser, Wind, Sonne oder Biomasse – im Jahr 2020 waren es 81 Prozent der Gesamterzeugung. Davon kommt aber ein hoher Prozentsatz aus Wasserkraft, die im Winter wegen der geringeren Wasserführung der Flüsse weniger Strom erzeugt. Zum Ausgleich kommen in den Wintermonaten Gaskraftwerke zum Einsatz, die den Preis nach oben treiben. Dabei bestimmt das jeweils teuerste Kraftwerk mit seinen laufenden Kosten gemäß dem Prinzip der »Merit-Order« den Strompreis für alle. Strom aus den Erneuerbaren drückt zwar diesen Preis nach unten – sie haben keine Brennstoffkosten –, doch wenn das letzte Kraftwerk, das zur Bedienung des Strombedarfes benötigt wird, ein Gaskraftwerk ist, bestimmen seine Grenzkosten den Strompreis für den gesamten Markt.

Da die großen Stromlieferanten langfristige Beschaffungsstrategien verfolgen, kommen die Preisänderungen aus dem Großhandel bei den Haushalten zeitverzögert und abgeschwächt an. Die aktuellen Entwicklungen auf den Märkten bedeuten für das Frühjahr eine leichte Entspannung, prognostiziert man bei Oesterreichs Energie. Insgesamt aber, heißt es, werden sich die Großhandelspreise auf einem höheren Niveau einpendeln. Für die Verbraucher*innen sind das keine guten Nachrichten – für den Ausbau der Erneuerbaren allerdings schon: Durch die hohen Strompreise wird der Förderbedarf massiv sinken – viele Projekte, die bislang Förderungen gebraucht haben, werden künftig auch ohne Unterstützung konkurrenzfähig sein. Im Hinblick auf die Energie- und Klimaziele hat diese Entwicklung also durchaus positive Effekte.



Barbara Schmidt, Oesterreichs Energie: »Langfristig bedeutender ist ein schneller Ausbau unserer erneuerbaren Erzeugungskapazitäten.«

»Nur der Ausbau unserer Stromerzeugung wird es uns ermöglichen die Abhängigkeit von globalen Energiemärkten nachhaltig zu verringern«, betont Schmidt. Mit dem Erneuerbaren-Ausbau-Paket wären bereits gute Rahmenbedingungen dafür geschaffen worden. Die Energiewirtschaft brauche aber »mehr als nur ein Gesetz«, fordert sie, »auch geeignete Flächen, zügige Genehmigungsverfahren und die breite Unterstützung von Politik, Verwaltung und Bevölkerung.«


Betroffene Industrie

Ein deutliches Bekenntnis zum Umbau des Energiesystems ist auch aus der energieintensiven Industrie zu hören. »Die österreichische Zementbranche hat sich ein klares Dekarbonisierungsziel gesetzt und zu dessen Erreichung genaue Fahrpläne für die verschiedenen Hebel festgeschrieben«, sagt Sebastian Spaun, Geschäftsführer der Vereinigung der österreichischen Zementindustrie VÖZ. Er sieht diese Mammutaufgabe nur in enger Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Politik bewältigbar.



Sebastian Spaun, VÖZ: »Die derzeitige Preisexplosion ist für die energieintensive Industrie das genaue Gegenteil dessen, was der Standort braucht.«

»Die derzeitige Preisexplosion im österreichischen Energiemarkt ist für die energieintensive Industrie das genaue Gegenteil dessen, was der Standort braucht. Die zielgerichtete Dekarbonisierung wird nicht nur sehr großer Investitionen bedürfen, sondern auch den Zugang zu großen Mengen an CO2-freiem Strom und Wasserstoff zu global wettbewerbsfähigen Preisen«, hofft Spaun auf das politische Gelingen, »stabile Rahmenbedingungen für die Umsetzung der Klima­strategie zu schaffen«.


Großer Unterschied

Dass ein rascher Ökostromausbau der Schlüssel für den Wirtschaftsstandort ist, betont auch Franz Angerer, Geschäftsführer der Österreichischen Energieagentur. Österreich hat in den vergangenen 20 Jahren von der deutschen Energiewende und auch der Liberalisierung des Strommarktes profitiert. Vor allem die strompreisdämpfenden Effekte des starken Ausbaus von Windkraft und Photovoltaik in Deutschland führten im Zeitraum zwischen 2000 und 2020 zu einer gesamten Einsparung von 26 Prozent des Preises in Österreich.

Wie Studien der Österreichischen Energieagentur zeigen, hat sich die Situation in den vergangenen Jahren jedoch stark verändert. Heute ist der Strompreis in Österreich – besonders im Winter – sehr oft deutlich höher als im Nachbarland Deutschland. Im November 2021 war beispielsweise der Strompreis im Großhandel für Österreich im Schnitt um 31,7 Euro pro Megawattstunde teurer als in Deutschland. Am 1. Dezember 2021 betrug der Preisunterschied sogar ganze 153 Euro pro Megawattstunde (Deutschland: 91 Euro/MWh, Österreich: 244 Euro/MWh).

Der starke Anstieg der europäischen Großhandelspreise ist ein Resultat der gestiegenen Weltmarktpreise für Primärenergie aus Gas und Kohle und auch der stark gestiegenen Preise für CO2-Zertifikate, die sich im Zuge des europäischen ETS-Systems bilden. »Der rasche und konsequente Ausbau von Erzeugungsanlagen für erneuerbare Energie, im Gleichklang mit dem Ausbau der Transportnetze und der Speichermöglichkeiten, ist unsere wichtigste und wirksamste Maßnahme, um mittel- bis langfristig die Energiepreise zu stabilisieren, die Sicherheit der Versorgung zu gewährleisten und unsere Klimaziele zu erreichen«, meint auch Michael Strugl, Vorstandsvorsitzender Verbund. 



Michael Strugl, Verbund: »Wir brauchen kalkulierbare Energiepreise und Versorgungssicherheit sowie ein Investitionsklima, das Raum für Innovation gibt.«

»Als Wirtschaftsstandort brauchen wir kalkulierbare Energiepreise und Versorgungssicherheit sowie ein Investitionsklima, das Raum für Innovation gibt. Für Unternehmen und Privatpersonen ist spätestens jetzt der richtige Zeitpunkt, um Energieeffizienz-Lösungen und den Umstieg von fossiler Energie in erneuerbare auf die Agenda zu setzen«, so Strugl.

Was die Branche von der Politik konkret fordert: Mit dem Aussetzen der Ökostromabgaben wurden bereits erste Schritte zur Dämpfung dieser Preisanstiege gesetzt. Weitere könnten mit einer Senkung der Umsatzsteuer oder dem Aussetzen der Elektrizitätsabgabe folgen. »So wichtig diese Ad-hoc-Maßnahmen für die kurzfristige Sicherung des Wirtschaftsstandortes Österreich auch sind – langfristig wesentlich bedeutender ist ein schneller Ausbau unserer erneuerbaren Erzeugungskapazitäten«, schließt Barbara Schmidt.

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