Effizienz für eine grünere Industrie: Veronika Wilk, Senior Research Engineer des AIT, forscht an dem Einsatz von Hochtemperatur-Wärmepumpen für energieintensive Trocknungsprozesse.
Report: Was ist Gegenstand Ihrer Arbeit beim AIT?
Veronika Wilk: Als thematische Koordinatorin im Center for Energy des AIT für den Bereich Energieeffizienz in der Industrie beschäftige ich mich mit der Fragestellung, wie Industriebetriebe in Zukunft dekarbonisiert aufgestellt sein können. Das betrifft Forschung im Bereich Hochtemperatur-Wärmepumpen und auch die Entwicklung von thermischen Speichern. Wir beschäftigen uns dabei mit Optimierungsmethoden und entwickeln auch eine strategische Ausrichtung eines vollständigen Dekarboniserungspfads bis 2040, der schrittweise geschafft wird. Die unterschiedlichen Methoden müssen dabei jeweils zum Prozess passen sowie auch den finanziellen Rahmenbedingungen und den Verfügbarkeiten von Technologien bis zu den einzelnen Rohstoffen entsprechen.
Report: Warum ist die Bereitstellung von Prozesswärme ein großes Thema für die Emissionsreduktion in der Industrie?
Wilk: Der Großteil der Energie, die in der Industrie in Europa eingesetzt wird, ist mit 66 % die Prozesswärme. Rund die Hälfte davon sind Hochtemperaturprozesse über 500 Grad, beispielsweise in der Stahlerzeugung. Mehr als ein Drittel ist im Bereich bis 200 Grad, der für Wärmepumpen interessant ist und in dem unsere Forschungsprojekte angesiedelt sind. Mit Wärmepumpen können wir fossile Energien in der Bereitstellung von Prozesswärme ablösen. Der Handlungsbedarf ist klar gegeben, da in Europa nach wie vor 77 % dieses Wärmebedarfs der Industrie über fossile Brennstoffe mit entsprechenden CO2-Emissionen – hochgerechnet 552 Megatonnen pro Jahr – abgedeckt wird.
Report: Wärmepumpen-Technologie wird bislang vor allem in Haushalten eingesetzt. Wo können diese nun in der Industrie zum Einsatz kommen?
Wilk: Zunächst einmal haben wir in der Industrie Wärmepumpen mit sehr großen Leistungen, die bereits auch in Österreich in einigen Anlagen in Betrieb sind. Diese Anlagen haben üblicherweise Wärmenutzungstemperaturen bis 95 Grad beim derzeitigen Stand der Technik – für die Bereitstellung von warmem Wasser etwa für Heizungen und Reinigungsprozesse in der Lebensmittelindustrie, aber auch in Kraftwerken und Industriebetrieben, die Fernwärme auskoppeln.
Wir haben mit unserem Horizon-2020-Projekt »DryFiciency« mit der Entwicklung und Demonstration von Hochtemperatur-Wärmepumpen auf Anwendungen für 100 bis 160 Grad gesetzt. 13 Partner sind vor fünf Jahren gestartet: ein Konsortium aus Komponentenherstellern, Forschungseinrichtungen, Systemintegratoren und – ganz wichtig – Anwendern. Teilnehmerinnen sind die Agrana mit einem Demonstrationsstandort in Pischelsdorf bei Tulln, Wienerberger mit einem Standort in Oberösterreich und Scanship in Norwegen.
Report: Welche industriellen Abläufe waren bei dem Projekt im Fokus?
Wilk: In der Industrie sind Trocknungsprozesse sehr weit verbreitet. Überall dort, wo Wasser abgetrennt werden soll, kommt Trocknung zum Einsatz. Da das Verdampfen von Wasser sehr energieintensiv ist, nehmen diese Prozesse mit 10 bis 25 % einen signifikanten Anteil am Wärmebedarf ein. Finden wir energieeffiziente Lösungen für die Trocknung, haben wir einen großen Hebel auch für Emissionsreduktionen.
Report: Wie schauen die realen Anwendungen bei DryFiciency aus?
Wilk: Wir haben mit den österreichischen Anlagen bisher mehr als 8.000 Betriebsstunden erreicht und viel Erfahrung in industrieller Umgebung sammeln können. Bei Wienerberger in Uttendorf, Oberösterreich, werden Ziegel vor dem Brennvorgang getrocknet. Je nach Format des Ziegels wird das mit heißer Luft zwischen 100 und 160 Grad gemacht. Die Hochtemperatur-Wärmepumpe unterstützt diesen Prozess. Die Demonstratoren haben mit einer Leistung von 400 kW eine gute Größe – was im gesamten Prozess freilich nur einen kleinen Teil ausmacht, der aber für das Dokumentieren und unsere wissenschaftliche Begleitung ausreichend ist.
Eine weitere Wärmepumpe haben wir auch bei der Agrana Stärke GmbH in Pischelsdorf in Niederösterreich realisiert. Auch hier nutzen wir Abwärme, die bereits am Standort vorhanden ist. Die Hochtemperatur-Wärmepumpe liefert zehn Prozent der Heizleistung, die für die Stärketrocknung benötigt wird. Mit einem Flugstromtrockner werden die Stärkepartikel bei einer Temperatur von 160 Grad in einem Luftstrom getrocknet. Hier wird mit einem Wärmetauscher aus der Wärmerückgewinnung und einem weiteren Dampfregister vorgewärmt. Mit dem Einsatz der Wärmepumpe kann nun die Dampfmenge reduziert werden. Wir gehen von bis zu 3.200 MWh jährlicher Energieeinsparung in jeder dieser Anlagen aus, entsprechend einer Vermeidung von je 600 Tonnen CO2.
Die beiden Wärmepumpen in Österreich funktionieren im Prinzip wie Haushaltswärmepumpen, aber eben auf einem höheren Temperaturniveau. Die Innovation liegt tatsächlich in den Komponenten, die für höhere Temperaturen geeignet sind. Der dritte Demonstrator in Drammen in Norwegen wird in der Dampftrocknung eingesetzt, hier wird Dampf in einem offenen Kreis verdichtet.
Report: Was zeichnet diesen offenen Kreislauf aus?
Wilk: Die Wärmepumpe selbst ist Teil der Dampftrocknungsanlage, mit der Bioschlamm getrocknet wird. Das feuchte Gut kommt mit dem Dampf in Berührung. Dadurch wird dem Schlamm Wasser entzogen, es entsteht insgesamt mehr Dampf – aber auf einem niedrigeren Temperaturniveau. Diese Dampfmenge wird dann mit einem Verdichter wieder auf eine höheres Druck- und Temperaturniveau gebracht und so im Kreis geführt. Der Trockner selbst ist eigentlich der Verdampfer der Wärmepumpe, daher der Begriff des offenen Kreises. Dieses Prinzip funktioniert sehr effizient, wenn man Dampf als Trocknungsmedium einsetzt. Die beiden anderen Wärmepumpen mit dem geschlossenen Kreis sind vom Medium unabhängig, da hier die Wärme über den Wärmetauscher ein- und ausgekoppelt wird.
Report: Was waren die zentralen Forschungsfragen in diesem Projekt?
Wilk: Die grundsätzliche Auslegung der Wärmepumpe kam vom AIT. Wesentliche Forschungsfragen betreffen die Wärmepumpen-Komponenten. Die Verdichter müssen hohen Drücken und Temperaturen standhalten. Es braucht auch ein geeignetes Schmiermittel und ein umweltfreundliches, synthetisches Kältemittel. Auf Basis dieser Komponenten haben wir die Wärmepumpen ausgelegt, an die Prozesse vor Ort angepasst, konstruiert und eingebaut.
Im Unterschied zu Laborsituationen können wir die Demonstratoren im laufenden Betrieb einsetzen – im Labor wären 8.000 Betriebsstunden sehr aufwendig. Wir haben verschiedene Wärmequellen-Temperaturen in einer Bandbreite zwischen 50 und 90 Grad getestet, ebenso Wärmenutzungstemperaturen von 120 bis 160 Grad. Wir wissen jetzt, wie sich die Wärmepumpe in den unterschiedlichen Zuständen verhält. Mit diesem Erfahrungsschatz kann diese Technologie sehr genau an den Bedarf in der Industrie angepasst und weiterentwickelt werden.
Report: Nun gibt es bereits auch Wärmepumpen-Lösungen für die Industrie am Markt. Was macht ihre Technologie so besonders?
Wilk: Generell dienen Forschungsprojekte dazu, neue Wege und Lösungen zu finden und zu zeigen, wie etwas funktionieren kann. Wir sind tatsächlich die Einzigen, die 160 Grad liefern können. Unser Anliegen war es auch, die unterschiedlichen Komponenten-Hersteller an einen Tisch zu bringen, um gemeinsam an dieser Herausforderung zu arbeiten. Gebaut wurden die Wärmepumpen von dem österreichischen Kältetechnikspezialisten AMT Kältetechnik GmbH. Für die Ausschreibung und das Engineering wurden wir von Enertec beraten. Wir entwickeln die Wärmepumpentechnologie weiter, damit Hersteller darauf aufbauen können. Und je mehr Entwicklung es gibt, desto besser ist dies für die Industrie, die diese Technologien braucht. Sehr viel Zeit ist in die Entwicklung des Schmiermittels geflossen, damit der Verdichter gut arbeiten kann. Denn bei den hohen Systemtemperaturen sind Kältemittel und Schmiermittel chemisch sehr reaktiv. Unser Partner Fuchs Schmierstoffe hat über 25 verschiedene Schmiermittel für diese Anwendung entwickelt und getestet, bis wir das passende hatten.
Report: Was ist ein nächster Forschungsschwerpunkt Ihrer Arbeit?
Wilk: Wir arbeiten an weiteren unterschiedlichen Demonstratoren für die Industrie, auch im Rahmen der Vorzeigeregion »NEFI – New Energy for Industry« für Energieeffizienz in der Industrie. Vom Klima- und Energiefonds und der FFG gefördert, werden in dem NEFI-Projekt »Leap« Integrationsmaßnahmen von Wärmepumpensystemen zur Niederdruckdampfbereitstellung – über 100 Grad – entwickelt, sowie das Potenzial der Abwärmenutzung in zwei österreichischen Industrieunternehmen, bei Lenzing und Austrotherm, untersucht.
Zum Projekt
Das fünfjährige EU-Forschungsprojekt DryFiciency hat sich mit Start 2016 mit der Herausforderung befasst, dass die ressourcen- und energieintensive Industrie erhebliche Mengen an ungenutzter Abwärme erzeugt. Energie und Kraftstoffe machen in einigen dieser Branchen zwischen 20 und 40 % der Produktionskosten aus und verursachen enorme CO2-Emissionen. DryFiciency zielt darauf ab, die Energieeffizienz zu verbessern, indem Hochtemperatur-Wärmepumpensysteme für diese Branchen entworfen, gebaut, getestet und demonstriert werden. Die Projektpartner sind AIT Austrian Institute of Technology, AGRANA Stärke, Bitzer Kühlmaschinen, Chemours Deutschland, European Heat Pump Association, EPCON Evaporation Technology, Fuchs Europe Schmierstoffe, Heaten, Rotrex, RTDS Group, Scanship, SINTEF und Wienerberger.
Info: http://dry-f.eu