Montag, Dezember 23, 2024
»Sind willig, die Energiewende mitzugestalten«
Harald Stindl, Gas Connect Austria: »Länder mit wenig Rohstoffvorkommen wie Österreich werden auch erneuerbares Gas importieren müssen.«

Harald Stindl, Geschäftsführer Gas Connect Austria, im Gespräch über den aktuell hohen Gaspreis und die Zukunft des Marktes in Österreich und in Europa.

Report: Wie geht es Gas Connect heuer, im zweiten Jahr der Pandemie? Was prägt derzeit den Gasmarkt?

Harald Stindl: Wir haben die Pandemie ganz gut überstanden und sind relativ ungeschoren durch die Krise gekommen. Gas Connect hat in der heißen Phase der Pandemie ebenso wie Betreiber anderer kritischer Infrastrukturen auf bestimmte Kunstgriffe gesetzt, indem wir beispielsweise drei verschiedene Standorte für das Dispatching genutzt haben oder Schichten-Übergaben ohne persönlichen Kontakt hatten. Trotzdem hat ein Insolvenzfall im Markt (Anmerkung d. Red.: AIK Energy Austria) auch uns Geld und Auslastung gekostet.
Die derzeit größte Herausforderung ist die aktuelle Knappheit von Gas im Markt. Sie führt zu Preisen von über 70 Euro für die Megawattstunde am Handelsplatz CEGH. Zum Vergleich: In der Krise im März und April 2020 sind wir hier noch bei sieben oder acht Euro gelegen. Der Normalpreis über die letzte Dekade war bei 19 bis 20 Euro pro MWh.

Report: Was ist die Ursache für den extremen Marktpreis?

Stindl: Es sind mehrere Faktoren. Allen voran kommt derzeit nur wenig LNG nach Europa. Obwohl von der EU maßgeblich viele neue Interkonnektoren und LNG-Facilities gefördert wurden, wirkt sich das offensichtlich nur schwach aus. Das meiste LNG geht derzeit nach Asien. Wir haben durch diese Situation wenig kurzfristiges zusätzliches Geschäft, was sich natürlich auch auf unser Ergebnis negativ auswirkt. Der Handel mit Pipelinegas ist von dem unterschiedlich aufholenden Wirtschaftswachstum in Europa und Asien nicht so betroffen – allerdings reicht der Transport ohne LNG offenbar nicht für den Gesamtbedarf, sodass die Preise extrem steigen. Weitere Gründe für die Marktsituation sind der vergangene lange und strenge Winter sowie Ausfälle von Produktionsfazilitäten in Norwegen und der Brand einer Gasstation in Russland. Ausfälle wie diese sind im Nachhinein nur schwer aufholbar. Dann produziert das riesige holländische Gasfeld Groningen aufgrund von strengen Auflagen in der Produktion heuer zirka fünf Milliarden Kubikmeter weniger als 2020. Wir sind aber überzeugt, dass sich die Situation bessert, sobald Nord Stream 2 in Betrieb geht. Mit diesem Strang können weitere 55 Milliarden Kubikmeter jährlich nach Europa transportiert werden.

Report: Für welchen Zeitraum erwarten Sie eine grundlegende Erholung des Großhandelspreises für Gas?

Stindl: Die Futures für das erste Quartal 2022 sind immer noch sehr hoch – aber ich denke, nach diesem Zeitpunkt werden wir wieder ein normales Preisniveau sehen.

Report: Welche Punkte sehen Sie hinsichtlich des kommenden Dekarbonisierungspakets der EU als wichtig, um den Umstieg auf klimaneutrale Gasversorgung in Europa voranzutreiben?

Stindl:
Für die Dekarbonisierungsambitionen Europas kommt das Paket sehr spät. Die Direktive ist möglicherweise erst im Jahr 2023 fertig, dann müssen Sie noch 18 Monate Zeit für die Umsetzung hinzurechnen. Wir sprechen dann vom Inkrafttreten in 2025 – bis dahin können Sie als einzelner Unternehmer nur wenig tun. Sie müssen sich ja darauf verlassen können, dass ein angekündigter Rahmen auch tatsächlich so umgesetzt wird. Ich denke da zum Beispiel an die Rolle, die wir als Infrastrukturbetreiber bei Power-to-Gas-Anlagen einnehmen können. Derzeit ist uns das im Gegensatz zu den Stromnetzbetreibern, die auch Auflagen dazu haben, nicht erlaubt.

Die Infrastrukturbetreiber kennen sich am Markt schon aus und können mit gasförmiger Energie ganz gut umgehen. Durch eine klare Regulierung sehe ich auch keine Gefahr, dass einzelne Teilnehmer den Wettbewerb verfälschen könnten. Wie sind jedenfalls willig, die Energiewende mitzugestalten.

Für die Finanzierung einer Versorgung mit grünem Wasserstoff gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder die Subvention des Marktpreises oder eine indirekte Unterstützung, in dem etwa die Kosten für den Transport in den Erdgastarifen eingerechnet werden. Ohne eine anfängliche Stützung wird es nicht funktionieren, da sich die Wasserstoffwirtschaft nur schrittweise entwickeln kann. Doch einen »sortenreinen« Tarif für den Transport zu bezahlen, würde diesen Markt von Anfang an verunmöglichen. Aber ohne Import wird es auch bei grünem Gas nicht gehen. Deutschland stellt sich diesem Thema schon offen und beginnt bereits internationale Kooperationen einzugehen. Auch wir Österreicher müssen diesem Faktum früher oder später ins Auge sehen.

Dann sollte Strom und Gas gemeinsam mit Wasserstoff und anderen Energien gesamtheitlich betrachtet werden – zum Beispiel mit der Sektorkopplung über Power-to-Gas-Anlagen, wo im Idealfall mit überschüssigem Strom Wasserstoff erzeugt wird. Diese Integration in der Planung und Umsetzung sehe ich sogar als wichtigsten Punkt.

Report: Neben dem »Blending« im Erdgastransport wird es auch reine Wasserstoffleitungen geben müssen. Wann wird es den »Hydrogen Backbone« in Europa geben? Was wären erste Schritte?

Stindl:
Wir haben hier noch keine fixe Roadmap, aber Ansätze dazu. Das Henne-Ei-Problem ist, aktuell weder eine großflächige Produktion in Europa zu haben noch die notwendige Senke. Die Leitungsbetreiber können zunächst die Fähigkeit der Leitungen für den Wasserstofftransport untersuchen, was sie derzeit auch gründlich tun. Dann können bereits die individuellen Kosten bestimmt werden, um die Erdgasleitungen zu Wasserstoffleitungen umfunktionieren zu können. Prinzipiell kann man bereits sagen, dass die Umrüstung – abhängig von der Qualität des verwendeten Stahls – um eine Dimension billiger als der Bau von reinen Wasserstoffleitungen sein wird. Bis Ende des Jahres ist eine Veröffentlichung einer »Restream Study« von europäischen Organisationen der Energiewirtschaft geplant, in der es einen detaillierten Bericht dazu geben wird.

Prinzipiell wird ein Hydrogen Backbone zunächst in einzelnen Clustern in Industrie- und auch Hafengebieten entstehen, die nach und nach zusammenwachsen werden. Unter Umständen wird bei der Herstellung von Wasserstoff aus Erdgas das CO2 abgeschieden und wieder zurück in die Lagerstätten transportiert. Parallel dazu werden Länder mit wenig Rohstoffvorkommen und derzeit auch zu wenig Wind- und Solarkraft wie Österreich oder Slowakei – im Prinzip alle Staaten in Zentraleuropa – weiterhin importieren müssen. Einen Wasserstoff-Backbone werden wir in vollendeter Form, so wie es wie heute das Erdgasnetz in Europa gibt, frühestens 2040 sehen.

Report: Welche Veränderungen sehen Sie prinzipiell auf Netzbetreiber und Marktteilnehmer wie Gas Connect zukommen?

Stindl: Ich denke, wir müssen über den Tellerrand hinausblicken. Wir haben das eigentlich immer schon getan, da wir auch stets mit der gaswirtschaftlichen Planung und einer energiewirtschaftlichen Gesamtschau für Österreich befasst waren und auch international in Verbände wie ENTSO-G und Gas Infrastructure Europe integriert sind. Aber wir müssen das sicherlich noch intensivieren, auch in Richtung der Stromnetzbetreiber. In der herrschenden Aufregung und der positiven Stimmung über die Energie-Transition sollten wir nicht vergessen, dass wir von den über 400 TWh Bruttoenergiebedarf in Österreich 90 TWh aus Erdgas beziehen. Gleichzeitig gibt es das viel diskutierte Ziel von 27 TWh Zuwachs an Erneuerbarem Strom insgesamt bis 2030.

Wir werden auch in Zukunft stets gasförmige Energie brauchen, um in Spitzenzeiten schnell Lasten zuschalten zu können. Wir müssen daher in Österreich und auch in Europa die Gesamtplanung eines künftigen Energiesystems forcieren. Aber nicht ein Stückwerk wie jetzt: die Umstellung auf 100 % erneuerbaren Strom, dann ein bisschen etwas in der Energieeffizienz und Abschalten der Ölheizungen und später auch der Gasheizungen. Gesamt gesehen ist das gefährlich, denn nach solchen Schritten gibt es kein Zurück. Wir brauchen ein realistisches Gesamtkonzept für 2040, das auch künftigen Bedarf berücksichtigt. So wird die Migration nach Europa nicht aufhören – und Menschen brauchen Energie. Genauso wird die zunehmende Digitalisierung wesentlich mehr Strom benötigen. Wir werden weiterhin auf den Import von Energien angewiesen sein, der hoffentlich möglichst kostengünstig und effizient erfolgen wird.

Auch der Regulator sollte uns bei dieser Transition und bei unseren neuen Aktivitäten unterstützen. Das geschieht teilweise bereits, wäre aber gerade auch beim Unbundling, etwa beim Thema Power-to-Gas, dringend notwendig. Hier sehe ich auch die Bundesregierung in der Pflicht, sich in Brüssel für die Rolle der Netzbetreiber einzusetzen.

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