Montag, Dezember 23, 2024
Infrastruktur für die Energiewende
Fotos: iStock, OVGW

Bis 2040 will Österreich klimaneutral werden. Doch während der Bedarf im Stromsektor bereits zu einem großen Teil mit Erneuerbaren gedeckt werden kann, steht der Wärmemarkt noch auf der Startlinie eines langen Rennens. Ist die Wärmewende für Haushalte und die Industrie überhaupt machbar? Branchenvertreter sind dazu vorsichtig optimistisch, fordern aber klare politische Rahmenbedingungen – und diese möglichst rasch.

Die österreichische Gasinfrastruktur kann heute schon 100 % klimaneutrales Gas transportieren, spielt eine zentrale Rolle bei der Erreichung der Klimaziele und ist unerlässlich für eine erfolgreiche, leistbare Energiewende. Das ist die Position der heimischen Gaswirtschaft, die – von der OMV abgesehen – vornehmlich aus Transporteuren, Handelsunternehmen, Leitungs- und Speicherbetreibern zusammengesetzt ist. Um die Klimaneutralität zu erreichen, soll jedenfalls grünes Gas eine – oder besser: mehrere – Rollen spielen. »Ein Netz, viele Möglichkeiten« ist das Motto auch beim Fachverband Gas Wärme, der auf die verschiedenen Technologien für gasförmigen Transport, Speicherung und Verbrauch von Energie hinweist: Biomethan – aus Pflanzenresten, Abfällen und fester Biomasse wie Holz –, synthetisches Methan aus Wasserstoff produziert, sowie reiner Wasserstoff. Fazit: Wasserstoff kann bis zu 10 % bereits heute zugemischt werden. Durch die laufende Anpassung und Umrüstung der Gasnetze wird als nächster Schritt schon bald ein H2-Anteil von 20 % möglich sein. In manchen Leitungen wird künftig sogar ausschließlich Wasserstoff befördert werden – es wird auf den Mix ankommen. Österreich verfügt heute über ein flächendeckendes Gasnetz von 2.000 km Fernleitungen und 44.500 km Verteilerleitungen, sowie Speicher mit rund 8 Milliarden m³ Fassungsvermögen. Rund 900.000 Gasheizungskunden, eine Million Fernwärmekunden und 70.000 Industrie- und Gewerbebetriebe, die derzeit Erdgas verwenden, brauchen aber auch in Zukunft eine sichere und leistbare Energieversorgung.

Wir haben dazu mit Michael Mock, Geschäftsführer des Fachverband Gas Wärme, gesprochen:

Report: Wie geht es der Gaswirtschaft in Österreich hinsichtlich Inlandsabsatz aktuell? Welche Erwartungen haben Sie für das Gesamtjahr 2021?

Michael Mock: 2019 war für die Gaswirtschaft ein sehr gutes Jahr, das darauffolgende Jahr coronabedingt entsprechend gedämpft, aber in einem verkraftbaren Ausmaß. Die Delle im produzierenden Bereich hat vielleicht drei bis vier Prozent ausgemacht – generell ist die Industrie ja auch in den Lockdowns immer weitergelaufen –, der Raumwärmemarkt ist 2020 sogar etwas angestiegen. Auch für heuer erwarten wir wieder ein gutes Jahr hinsichtlich des Absatzes.

Report: Ist eine Wärmewende respektive der Umstieg auf klimaneutrales Gas in Österreich möglich? Welcher Zeitraum ist hier realistisch?

Mock: Unser vorrangiges Ziel ist, regional hergestelltes grünes Gas als Biomethan »made in Austria« in den Raumwärmemarkt zu bringen. Mit den entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen wir das für eine Million Gasheizungen bis 2040. Gleichzeitig ist davon auszugehen, dass sich dieser Markt insgesamt über Energieeffizienzmaßnahmen und Themen wie Fernwärme in den Städten – allen voran Wien – eher reduzieren wird. Auch wenn in Regionen wie Tirol begrenzt ausgebaut und verdichtet wird, werden die Absatzmengen im Gesamtmarkt konstant bis leicht rückläufig sein.

Auf Seite der heimischen Industrie ist eine Bedarfsdeckung mit Biomethan allerdings illusorisch. Um das in Relation zu setzen: Die voestalpine in Linz braucht in etwa so viel Gas, wie der gesamte Raumwärmemarkt der Haushalte in Österreich. Ähnliches in der Steiermark, wo ein einzelnes papierverarbeitendes Unternehmen mehr Wärmebedarf hat, als alle Haushalte des Bundeslandes. Dort werden wir andere Lösungen finden müssen. Wir sind gerade dabei, ein Konzept zu erarbeiten, wie mittelfristig wahrscheinlich in unterschiedlichen Systemen gedacht werden muss. So wird es ein Methannetz mit Biogas oder methanisiertem Wasserstoff geben – der mit CO2 im Sinne eines CO2-Kreislaufes angereichert wird – um Haushalte und kleinere Gewerbebetriebe zu versorgen. Zusätzlich werden wir auf europäischer Ebene mit dem »Hydrogen Backbone« eine Wasserstoffinfrastruktur für die Industrie sehen. Dieser Wasserstoff wird vorrangig nicht aus Europa kommen, sondern aus Regionen mit vielleicht größerem Potenzial an erneuerbarer Energieerzeugung. Wenn man hier ein bisschen rechnet, wird sich eine lokale Versorgung der Industrie nicht ausgehen. Das heißt natürlich trotzdem, alle Potenziale in Europa auch im Sinne der Versorgungssicherheit zu nutzen.



Bild: Gaskunden wollen grünes Gas: Meinungsumfrage von Verena Priemer (marketmind), Michael Mock (Österreichische Vereinigung für das Gas- und Wasserfach) und Elisabeth Berger (Vereinigung Österreichischer Kessellieferanten)

Report: Welche Rolle werden Netz- und Speicherbetreiber in einem künftigen Methan- und Wasserstoff-Geschäft einnehmen?

Mock: Im Prinzip sind es die gleichen Rollen, wie heute – nur wird künftig eben klimafreundliches Gas gespeichert, transportiert und den Kund*innen geliefert. Aus derzeitiger regulatorischer Sicht sind die Netzbetreiber auf bestimmte Marktaufgaben beschränkt, auch wenn der eine oder andere auch Elektrolyse-Anlagen betreiben könnte.

Report: Wie sieht die österreichische Bevölkerung das Thema Gasheizung?

Mock:
Wir haben gemeinsam mit der Vereinigung Österreichischer Kessellieferanten und dem Meinungsforschungsinstitut marketmind im Sommer repräsentativ 1000 Gasheizungskund*innen zur Zufriedenheit ihres Heizsystems befragt. 88 % geben ihrem Heizsystem die Noten eins und zwei. Die Menschen sind mit ihren Gasheizungen sehr zufrieden – Ältere noch mehr als die Jüngere. Von einem möglichen Gasheizungsverbot halten die Menschen wenig, wir sehen auch eine gewisse Verunsicherung dazu. 72 % der Befragten sprechen sich überhaupt gegen Verbote von Heizsystemen aus. Einen Heizungstausch sieht man eher im städtischen Bereich gelassen entgegen, wo es vielleicht auch eine Wechselmöglichkeit zu Fernwärme gibt. Am Land schaut die Situation anders aus. Eine Mehrheit von 54 % würden ihre Gasheizungen auch dann mit grünem Gas betreiben wollen, wenn grünes Gas teurer wäre als Erdgas – was wohl der Fall sein wird. Man sieht hier doch eine Ersparnis gegenüber dem Umbau mit einer neuen Heizung. Ich finde das durchaus bemerkenswert, weil wir es hier mit einem Produkt und einem Markt zu tun haben, der de facto noch im Entstehen ist.

Unser Gassystem ist grundsätzlich fit, ohne große Umstellungen grünes Gas in die Leitungen zu bekommen. Das gilt für Haushalte ebenso wie für Kraftwerke, Hochöfen und andere Anwendungen. Die Geschwindigkeit der Umstellung von fossilem auf erneuerbares Gas ist aber von den Kapazitäten in der Erzeugung abhängig. Leider hat sich das lange erwartete Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz praktisch wieder nur als Ökostrom-Novelle erwiesen. Anreize für das Einspeisen von grünem Gas sind nicht enthalten. Trotz vieler Vorschläge sind in letzter Sekunde die Grüngas-Gesetzesteile wieder herausgenommen worden. Wie man den Medien entnehmen kann, wird ein Erneuerbare-Wärme-Gesetz zwischen Bund und Ländern verhandelt, das hoffentlich Biogas oder grünes Gas als gleichwertige Alternative enthalten wird.

Report: Welche Art des Anreizes, um auf grünes Gas umzusteigen, wäre aus Ihrer Sicht sinnvoll?

Mock:
Darüber kann man noch viel diskutieren. Ob das eine verpflichtende Händlerquote ist, vielleicht 1 bis 2 % jährlich mehr zu liefern, oder – aus Planungssicht das bessere Modell – einen klaren Ausbaupfad mit entsprechender Finanzierung von staatlicher Seite, bis etwa 2030 eine halbe Milliarde oder Milliarde Kubikmeter Biomethan in Österreich zu erzeugen. Anlagenbetreibern würde damit eine Rechtssicherheit gewährleistet werden. Die Mehrkosten gegenüber dem billigeren Erdgas könnten in Form einer Marktprämie auf die Netzkosten aufgeschlagen werden. Mit diesem Modell hätten Betreiber eine Planungssicherheit, die es bei einer reinen Quotenregelung nicht gibt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Banken und andere Finanzierungspartner Kredite gerade für größere, industrielle Biogasanlagen vergeben, wenn nicht ein fixer Absatz dahinter gewährleistet ist. Es gibt bereits ein bewährtes Modell: Auf Stromseite haben wir mit den langfristigen, teilweise auf zehn Jahre angelegten Ökostromtarifen diese Sicherheit für das Wachstum eines neuen Marktes. Aber wir werden unterschiedlichste Anstrengen benötigen, um unsere Klimaziele zu erreichen. Die Frage ist nur, wie sich am Ende des Tages alle angekündigten Vorhaben kreuz und quer vertragen: eine CO2-Bepreisung, die Quotenverpflichtung und die Herausnahme von Maßnahmen im Erdgasbereich aus den Energieeffizienz-Verpflichtungen. Die Branche braucht klare Regeln, an die sich alle halten können.


Zum Thema Zukunft der Gasinfrastruktur: Interview mit Harald Stindl, Geschäftsführer Gas Connect Austria (Link)

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