Auf dem Weg zum Binnenmarkt: Die Gebotszonen Osteuropas werden aktuell an den zentraleuropäischen Markt gekoppelt. Derweil verweist ein Cyberdefense-Spezialist in Wien auf die Gefahren von Attacken auf kritische Infrastrukturen – nicht nur in der Energiewirtschaft.
Hinter dem sperrigen Begriff »Market Coupling« steckt das Bestreben nach einem zusammenhängenden europäischen Binnenmarkt für Strom. »Mittels Market Coupling wollen wir die verschiedenen Gebotszonen in Europa miteinander verbinden und die Spielregeln im internationalen Stromhandel vereinheitlichen. Das ist wichtig, weil sich dadurch Preisunterschiede reduzieren lassen und es für alle Stromkunden Europas am Ende des Tages billiger wird«, betont Thomas Karall, kaufmännischer Vorstand von Austrian Power Grid.
Am 17. Juni ist unter Mitwirkung der APG ein weiterer Schritt der Vereinheitlichung des Strommarkts gelungen. Die Strommärkte der ehemaligen Region Central Eastern Europe wurden nach mehrjähriger Vorarbeit mit dem restlichen Europa gekoppelt. Tschechien, die Slowakei, Ungarn und Rumänien sind damit ab sofort in alle europäischen Prozesse zur Kapazitätsvergabe integriert. »Durch die Koppelung der Strommärkte müssen Kapazitäten nicht wie bisher zuerst ersteigert werden, um im Anschluss grenzüberschreitend Strom handeln zu können, sondern werden implizit durch die Strombörsen vergeben. So können Kapazitäten effizienter, transparenter und schneller mittels Marktmechanismen genutzt werden. Für die Marktteilnehmer ergibt sich dadurch eine wesentliche Erleichterung beim grenzüberschreitenden Stromhandel«, freut sich Karall.
Bild oben: Ali Carl Gülerman bietet mit Radar Cyber Security auch den Aufbau eines eigenen »SOC« für Unternehmen.
Durch die direkten Grenzen zu den Nachbarländern Ungarn und Tschechien wurde Market Coupling gleich an zwei Netzpunkten umgesetzt und damit die alten Prozesse der expliziten Tagesauktionen abgelöst. APG hat bereits an den Grenzen zu Deutschland, Italien und Slowenien Market Coupling Prozesse zur Vergabe von Grenzkapazitäten implementiert und konnte dadurch auf mehrjährige Erfahrung zurückgreifen. Karall: »Die Strommärkte werden immer europäischer. Es ist wichtig, dass wir als APG die europäische Marktintegration aktiv mitgestalten. Die Anbindung unserer östlichen Nachbarn an den gekoppelten europäischen Strommarkt ist ein Meilenstein in der europäischen Marktintegration.«
Durch eine bessere Anbindung Österreichs an benachbarte Strommärkte werden die Handelsmöglichkeiten österreichischer Marktteilnehmer optimiert und die Liquidität am österreichischen Großhandelsmarkt unterstützt. Der österreichische Day-Ahead-Markt ist nun an allen Grenzen mit Ausnahme der Schweiz mit den europäischen Märkten gekoppelt, heißt es.
Sicherheit der Infrastruktur
Doch Netz- und Marktarchitekturen sind auch Bedrohungen ausgesetzt. Radar Cyber Security betreibt das eigenen Angaben zufolge »größte Cyberdefense-Center im Herzen Wiens«. Rund 130 Expert*innen fokussieren auf die IT-Sicherheit von Firmenkunden. In einem gemeinsamen Gespräch mit Buchautor Marc Elsberg (»Blackout«, »Zero«) warnt Radar-CEO Ali Carl Gülerman vor der wachsenden Gefahr von Attacken auf Infrastrukturen in ganz Europa.
»Zwischen der Infiltration in ein Unternehmenssystem und dem eigentlichen Hack und Zugriff vergehen in der Regel mehrere Wochen bis Monate«, spricht Gülerman von arbeitsteiligen Organisationen, die hier am Werk sind: Hacker, organisierte Kriminalität und auch staatlich geführte Organisationen. »Die Angreifer sind wie richtige Unternehmen strukturiert – mit Investitionszielen, dem Teilen des Gewinns mit Partnern und dem Auslagern von einzelnen Services an Spezialisten.«
Sicherheit als Service
Für die Cyberabwehr mit Detection- und Response-Maßnahmen bietet das Unternehmen »Security as a Service« für Großunternehmen und auch die Bereitstellung der Infrastruktur für unternehmenseigene »Security Operation Centers (SOCs)«. Einer der Partner ist A1, das als Managed-Service-Provider die SOC-Infrastruktur für seine Firmenkunden nutzt. Eigentümer von Radar Cyber Security ist CYOSS, ein Unternehmen der deutschen Firmengruppe ESG, welche auch in der europäischen Rüstungsindustrie tätig ist. Gülerman zufolge liefert Radar Cyber Security Expertise und Dienste für unter anderem die Überwachung des »Großteils des deutschen Stromnetzes«.
Die selbstentwickelte SOC-Software biete eine Rundumsicht auf Cybersicherheit, stets in Kombination mit Maßnahmen bei den Kunden. »Wir müssen uns auf eine Steigerung der Resilienz in der kritischen Infrastruktur konzentrieren und auf regelmäßige Cyber-Security-Übungen mit Szenario-Trainings setzen. Leider können wir einmal erfolgte Hacks nicht mehr rückgängig machen – deshalb ist die Präventivarbeit so wichtig«, so der Experte. »Wir unterstützen die Digitalisierung der EU und Sicherheit der kritischen Infrastruktur.«
Cybersicherheit, das ist ein Thema, bei dem manchmal Realität und Fiktion nicht voneinander zu unterscheiden sind. »Man weiß erst, was man gehabt hat, wenn man es einmal verloren hat«, berichtet Marc Elsberg von der Intention, »Blackout« zu schreiben. »Die Wirkungen eines europaweiten Stromausfalls sind die schlimmsten und verheerendsten.« Die Abhängigkeit der Wasser- und Lebensmittelversorgung, Transport und Zahlungsverkehr von smarten, vernetzten Systemen könne bei Ausfällen »binnen zwei bis drei Tagen zu katastrophalen Zuständen« führen. »Es ist ein dauernder Wettlauf zwischen Angreifern und Verteidigern«, verweist Elsberg auch auf einen Hack eines Pipeline-Betreibers in den USA im April. »Allein 150 Großunternehmen weltweit agieren in derart vernetzten Strukturen, dass ein einzelner Ausfall Auswirkungen auf die Weltwirtschaft hat.«