Sonntag, Dezember 22, 2024
Energienetze: "Ermöglicher" der Energiewende

Bei einem energiepolitischen Hintegrundgespräch des Forums Versorgungssicherheit erläuterten Brigitte Ederer und Thomas Maderbacher die Rolle der Strom- und Gasnetze für die Energiezukunft.

Die Energiewende hin zu einer CO2-neutralen Energieversorgung Österreichs kann nur gelingen, wenn die Verteilernetze ausreichend ausgebaut und technologisch aufgerüstet werden. Im Energiesystem der Zukunft kommt den Netzen eine völlig neue Rolle zu. Wie sich die Energienetze auf diese kommenden Herausforderungen vorbereiten, das war das Thema des Energiepolitischen Hintergrundgesprächs der Forums Versorgungssicherheit am 30. Juni 2020. Als Gastgeber fungierten die Sprecherin des Forums Versorgungssicherheit, Brigitte Ederer, sowie der Geschäftsführer der Wiener Netze, Thomas Maderbacher.

Vielfältiges und komplexes Energiesystem
Das Energiesystem der Zukunft wird vielfältig und komplex sein, so Ederer. Ein immer größerer Anteil der elektrischen Energie wird aus Wind- und Sonnenkraft gewonnen werden. Beide Energiequellen sind volatil, das bedeutet, dass sie nicht beständig mit gleicher Leistung laufen (wie etwa Flusskraftwerke oder kalorische Kraftwerke), sondern je nach Wetterlage mehr oder weniger Strom liefern. Oft kann dabei geringe Energieerzeugung mit erhöhtem Bedarf zusammenfallen kann, wie zum Beispiel an einem windstillen kalten Wintertag mit bewölktem Himmel. Mit dieser Volatilität müssen die Netze umgehen können.

Eine zweite Besonderheit des künftigen Energiesystems ergibt sich durch die Vielfalt an Erzeugern, betont Ederer: „Statt weniger großer Kraftwerke wird es künftig viele kleine und mittlere Erzeugeranlagen geben. Zudem werden Gewerbebetriebe und Haushalte ihren eigenen Strom erzeugen, indem sie zum Beispiel Photovoltaik-Paneele aufs Dach legen. Damit werden die Verbraucher gleichzeitig zu Erzeugern – dafür gibt es bereits den Neologismus Prosumer, eine Wortschöpfung aus Producer und Consumer.“

Prosumer wollen an manchen Tagen Strom beziehen, wenn trübes Wetter herrscht und ihre eigenen Solarpaneele nichts liefern. An sonnigen Tagen wollen sie dagegen Strom verkaufen. Daraus ergibt sich ein ziemlich lebhaftes, reichlich komplexes Marktgeschehen, das sich auf den Netzen der Verteilernetzbetreiber abspielt.

Energienetze als Ermöglicher der Energiewende
Die Stromqualität zu garantieren, also dafür zu sorgen, dass Menge, Spannung und Frequenz trotz volatiler Erzeugung gleichmäßig zur Verfügung stehen, wird eine der vordringlichen Herausforderungen für die Energienetze, betont Wiener-Netze-Geschäftsführer Thomas Maderbacher: „Die Umstellung von fossiler zu klimaneutraler Energie-Erzeugung kann nur gelingen, wenn die Energienetze für die neuen Herausforderungen gerüstet werden. Wir sind gerade dabei, diese Veränderungen technisch umzusetzen. Netze müssen in ihrer Kapazität ausgebaut und zudem technologisch aufgerüstet werden.“

So werden unter anderem Speicher nötig sein, um Schwankungen auszugleichen, wenn der Bedarf gerade höher ist als die Produktion – oder umgekehrt. „Um Speicher effizient betreiben zu können, wird es eine enge Zusammenarbeit zwischen Erzeugern, Netzbetreibern und den jeweiligen Betreibern der Speicher brauchen“, wünscht sich Maderbacher, „bei der Frage, wer auf einen Speicher zugreifen darf, muss die Netzstabilität und die Versorgungssicherheit stets Vorrang haben.“

Die Netze werden auch zu Datendrehscheiben werden, auf denen die Informationen über Erzeugung und Verbrauch ausgetauscht und so ein effizienter Energiemarkt ermöglicht werden kann.

Sektorkopplung
Speicherung von Strom bedeutet, dass er umgewandelt werden muss. Zum Beispiel in Wärme, die dann bei Bedarf als Fernwärme genutzt wird. Überschuss-Strom aus Photovoltaik-Anlagen oder aus Wind kann durch Elektrolyse in grünen Wasserstoff umgewandelt werden. Dieses CO2-neutrale Gas kann über die bestehenden Gasnetze transportiert und für Raum- oder Prozesswärme genutzt werden. Überschussstrom kann auch zum Laden der Batterien von E-Autos genutzt und so gespeichert werden.

Im Energiesystem der Zukunft werden somit die derzeit noch getrennten Sektoren miteinander verbunden und integriert werden: Strom, Gas, Wärme und Mobilität sind vielfach vernetzt. Man spricht daher von Sektorkopplung, bzw. Sektorintegration. Die Umwandlung einer Energieform in eine andere (Strom zu Gas, Strom zu Wärme, Gas zu Strom, Strom zu Mobilität, etc.) führt im Einzelfall immer zu technisch bedingten Wirkungsgrad-Verlusten, trägt aber in Summe zur Effizienz des Gesamtsystems bei, weil Überschüsse genutzt und Engpässe vermieden werden.

E-Mobilität und faire Tarife
Wenn in naher Zukunft die fossil betriebenen Fahrzeuge mehr und mehr durch E-Mobile ersetzt werden, müssen Verbrauchsspitzen durch gleichzeitige Ladevorgänge vermieden werden, weil sonst ein teurer zusätzlichen Ausbau der Leitungskapazitäten nötig wird. „Wir fordern einen Tarif, bei dem die Leistung ebenso für die Berechnung des Strompreises herangezogen wird wie der Verbrauch“, sagt Maderbacher, „andernfalls werden falsche Anreize gesetzt und die Netze unnötig belastet.“

Das Prinzip des Leistungstarifs lässt sich am besten am Laden zweier gleichartiger E-Mobile erklären:

- E-Auto 1 wird mit 1,4 kW Leistung an einer normalen Haushalts-Steckdose im Laufe von 8 Stunden vollgeladen.

- E-Auto 2 lädt mit 11 kW Leistung in 1 Stunde.

Beide verbrauchen die gleiche Strommenge und zahlen derzeit gleich viel. Auto 2 belastet aber die Netze ungleich stärker. In Zukunft soll das Schnell-Laden verteuert und das Langsam-Laden billiger gemacht werden, damit die Verbraucher einen finanziellen Anreiz erhalten, die Kapazität der Netze zu schonen.

Auch bei Energiegemeinschaften kann ein fairer Tarif nur durch Berücksichtigung der Leistungskomponente erreicht werden, betont Maderbacher: „Wir unterstützen Energiegemeinschaften, sie sind eine wesentliche Stütze der Energiewende. Aber man muss sehen, dass solche Gemeinschaften ein genauso starkes Netz zur Sicherung der Versorgung beanspruchen, obwohl sie eine deutlich geringere Strommenge beziehen.“

Die Netzbetreiber, so Maderbacher abschließend, betrachten sich in vierfacher Hinsicht als Gestalter der Energiewende:

1. Technisch durch die Steuerung von Erzeugung, Verteilung und Speicherung sowie durch das Management der Energie-Daten

2. Finanziell: Die Energienetze sind keine Marktteilnehmer, sondern regulierte Infrastruktur. Zudem werden sie durch die Energie-Control Austria beaufsichtigt.

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