Smart Contracts vs. Versorgungssicherheit: Die Blockchain-Technologie könnte im Energiesektor massive Veränderungen bewirken. Nötig dazu sind tiefgehendes Know-how, aber auch Veränderungen in der Regulierung. Von Thorsten Deckers, NTT Security
Für die Blockchain-Technologie sind im Energiesektor zahlreiche Einsatzmöglichkeiten denkbar, von optimierten Prozessen der Versorger bis zu dezentralen Energienetzen. Da der Sektor stark reguliert ist, hängen die Möglichkeiten von Blockchain wesentlich von der Anpassung der Regularien ab.
Zu den häufig genannten Einsatzbereichen der Blockchain-Technologie zählt neben dem Finanzwesen vor allem der Energiesektor. Hier sehen manche Beobachter bereits eine komplette Umwälzung der Märkte und das Ende der großen Stromriesen durch die Blockchain bevorstehen. Ob es so weit kommt, sei vorerst dahingestellt, denn wie so oft beim Thema Blockchain befindet sich der Markt derzeit noch im Stadium der Gedankenspiele, mehr als Studien und allenfalls Pilotprojekte gibt es noch nicht.
Die Blockchain-Technologie ermöglicht, vereinfacht ausgedrückt, eine fälschungssichere Dokumentation von Transaktionen in einem Peer-to-Peer-Netz, also in einem Netz ohne zentrale Instanz. Die kryptografischen Verfahren und die dezentrale Speicherung stellen ein hohes Maß an Sicherheit bereit. Die Technologie ist jedoch recht komplex. Da es außerdem noch keine nutzerfreundlichen Schnittstellen gibt, lässt sie sich ohne tiefergehendes Know-how derzeit nicht produktiv anwenden.
Dezentrale Energieerzeugung
Von der Konzeption her ist die Blockchain-Technologie prädestiniert für die Abwicklung der dezentralen Erzeugung aus regenerativen Energien. Hier könnte man ohne Vermittler wie Energieversorger oder Strombörsen die Energie kostengünstig handeln. Mit »Smart Contracts« – einer Weiterentwicklung der Blockchain-Technologie in Richtung digitale Verträge – ergeben sich weitere Anwendungsmöglichkeiten, auch in Verbindung mit intelligenten Stromnetzen. Eine Blockchain-Anwendung würde in diesem Szenario automatisch die komplette Abrechnung übernehmen.
Solche Peer-to-Peer-Anwendungen setzen eine Neustrukturierung des Energiesektors voraus, sodass man davon ausgehen kann, dass die Marktreife frühestens in einigen Jahren erreicht wird. Dies ist nicht zuletzt abhängig von der weiteren Entwicklung der rechtlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen, aber auch von der Energietechnik, zum Beispiel für die dezentrale Erzeugung und Speicherung von Energie. Seitens der Blockchain-Technologie ist hier ebenfalls noch Arbeit zu leisten: Erst wenn die auf der Technologie aufbauenden Anwendungen Benutzerfreundlichkeit und ein ausreichendes Niveau an Stabilität und Datenschutz garantieren können, kann sie bisherige Vermittler wirklich ersetzen. Die Akzeptanz steht und fällt hier auch mit dem Schutz vor Manipulationen und Angriffen.
Eine wichtige Rolle spielt dabei die Validierung der neuen Blöcke in der Blockchain-Technologie. In offenen Blockchains erfolgt sie durch das »Mining«, für das ein Anreiz wie Bitcoins existieren muss, ohne den es für potenzielle Miner derzeit keinen Grund gäbe, den nicht unerheblichen Validierungsaufwand zu übernehmen – ohne Validierung aber funktioniert das ganze Verfahren nicht. Nur in geschlossenen Systemen, beispielsweise zwischen Banken oder Versorgungsunternehmen, kann auf alternative Methoden der Validierung zurückgegriffen werden. Ob also Peer-to-Peer-Netze in der Energieversorgung überhaupt funktionieren werden, hängt am Ende davon ab, dass hier geeignete Verfahren gefunden und korrekt implementiert werden. Diese sind derzeit jedoch noch nicht in Sicht, denn Bitcoin selbst kommt angesichts des hochspekulativen Charakters dieser Kryptowährung für die Validierung von Transaktion der »Realwirtschaft« nicht infrage.
Effizienz für Energieunternehmen
Näher an konkreten Umsetzungen ist die Blockchain-Technologie bei den Energieunternehmen selbst, wo sie auch in herkömmlichen Strukturen zur Verbesserung der Effizienz eingesetzt werden kann. Unternehmen können mit geschlossenen Blockchains die Automatisierung vorantreiben, was zu geringeren Kosten und höherer Effizienz führt – beispielsweise bei Ablese- und Abrechnungsverfahren, im Clearing oder in der Eigentumsdokumentation. Möglich ist auch die Protokollierung von Gerätezuständen, wie Smart Meter und Photovoltaik-Anlagen. Im Netzmanagement könnten wiederum Smart Contracts Angebot und Nachfrage von Energie nach definierten Bedingungen unter Berücksichtigung der Energieflüsse und Speicherung regeln.
Auf Basis der Blockchain-Technologie können sich aber auch ganz neue Geschäftsmodelle für Energieunternehmen entwickeln, etwa bei der E-Mobilität: Hier ist denkbar, dass beispielsweise Fahrzeuge direkt an Aufladestationen ihren Stromverbrauch per Blockchain-Anwendung mit dem Versorger abrechnen. Freilich setzen auch solche Szenarien den Aufbau einer entsprechenden Infrastruktur voraus, die Realisierung konkreter Projekte liegt also noch in weiter Ferne.
Generell steht die Blockchain aber immer auch mit anderen Technologien und Ansätzen in Konkurrenz, beispielsweise mit klassischen Datenbanklösungen. Es wurden bereits große Anstrengungen unternommen, die Prozesse zwischen den Teilnehmern des Energiemarktes mit Hilfe digitaler Lösungen zu optimieren. Inwieweit die Blockchain-Technologie hier bessere Lösungen bietet, muss sich noch erweisen, auch wenn es derzeit so aussieht, dass möglichst alles per Blockchain gelöst werden soll. Grundsätzlich ist es daher schwer, jetzt schon zu beurteilen, ob und wie weit Energieunternehmen die neue Technik für die Optimierung ihrer Prozesse und den Aufbau neuer Geschäftsmodelle nutzen können.
Und ein weiterer Aspekt ist zu beachten: Anders als die Finanzbranche hat der Energiesektor mit einem realen Produkt zu tun – während beispielsweise die Kryptowährung Bitcoin ausschließlich in ihrer Blockchain existiert, muss bei Strom und Gas immer noch dafür gesorgt werden, dass reales Produkt und Dokumentation übereinstimmen. Letztlich muss aber neben der digitalen auch die technische Infrastruktur weiter betrieben und gewartet werden, was Kosten verursacht – Kraftwerke lassen sich in einer Blockchain allenfalls verwalten, nicht aber betreiben, und eine Blockchain kann zwar Bitcoins von A nach B übertragen, aber keinen Strom.
Rechte und Regeln
Die Umsetzung von Geschäftsmodellen auf Basis der Blockchain-Technologie ist wesentlich davon abhängig, inwiefern entsprechende Bedingungen auf rechtlicher und regulatorischer Ebene geschaffen werden. Dies wird eine Herausforderung für die nächsten Jahre sein, denn die bisherigen Rahmenbedingungen und rechtlichen Vorgaben reichen dafür nicht aus; sie sind entstanden in einer Zeit, in der Energie hauptsächlich zentral erzeugt wurde und berücksichtigen die Besonderheiten einer dezentralen Struktur naturgemäß nur unzureichend. In einem per Blockchain gesteuerten Peer-to-Peer-Energienetz wären daher Verletzungen von Verordnungen so gut wie unvermeidlich. Ohne entsprechende Anpassungen und Ergänzungen kann eine Dezentralisierung im Energiesektor nicht umgesetzt werden und die bisherigen Ansätze werden im Stadium von Konzepten und Prototypen verbleiben.
Vor allem sind die organisatorischen und rechtlichen Pflichten der Teilnehmer an einem dezentralen Markt zu klären. Die Abnehmer der im Peer-to-Peer-Netz gehandelten Energie werden zu Bilanzkreisverantwortlichen, sind also für die Abstimmung von Stromverbrauch und Energielieferung zuständig – nach geltenden Regelungen mit entsprechenden Pflichten hinsichtlich Risikomanagement und zu hinterlegenden Sicherheiten. Wie sich die energiewirtschaftlichen Bilanzkreise auf der Blockchain abbilden lassen, ist dabei noch offen. Auch wem die Rolle des Messstellenbetreibers zufällt, ist noch ungeklärt; bisher muss sich dieser bisher neben einer Überprüfung der Messeinrichtungen auch um deren Zertifizierung und Freigabe kümmern. In einem offenen Peer-to-Peer-Netz ist das so nicht umsetzbar – und dieses Problem ist natürlich nicht per Blockchain, also technisch, zu lösen. Geklärt werden muss aber auch die Frage der Haftung bei Schäden oder Ausfällen, und dabei sind neue, Blockchain-spezifische Formen von Schäden zu berücksichtigen, die beispielsweise aus fehlerhaften Protokollen und Programmcodes entstehen.
Die Vielzahl der offenen Baustellen zeigt, dass der Einzug der Blockchain-Technologie in den Energiesektor nicht von heute auf morgen, sondern nur sukzessive erfolgen kann. Auch wenn der Blockchain-Hype derzeit groß ist, der disruptive Charakter, der dieser Technologie zugesprochen wird, hält sich gerade im stark regulierten Energiesektor in Grenzen.