Gerd Pollhammer, Leiter der Division Energy Management in der Region CEE bei Siemens, im Gespräch mit dem Report über den veränderten Bedarf in den Netzen und das Ausbalancieren von Technik und Wirtschaftlichkeit im Smart Grid.
Report: Welche Themen umfasst die Sparte Energy Management?
Gerd Pollhammer: Unter Energy Management sind jene Geschäftsbereiche gemeint, die landläufig als Transmission und Distribution bezeichnet wurden. Heute ist wesentlich mehr digitale Intelligenz notwendig, um diese Systeme zu steuern. Energy Management befasst sich mit dem gesamten Netz inklusive der Software zu seiner Steuerung. Wir tun das in 18 Ländern, die von Österreich aus verantwortet werden.
Report: Welche größeren Projekte in CEE wickelt Siemens in diesem Bereich gerade ab?
Pollhammer: Ein Fokus liegt auf Übertragungsleitungen und hier auf der neuen Hochspannungs-Gleichstromübertragung (Anm. HGÜ, engl. HVDC), mit der beispielsweise große Offshore-Windparks ans Netz angeschlossen werden. Die Erzeugung mit Regenerativen passiert meist weit von den Verbraucherzentren entfernt – der Strom muss also über große Strecken transportiert werden. Gerade in Deutschland fehlen der Energiewende derzeit noch die Leitungen auf der Nord-Süd-Achse.
HVDC wird zudem für gerichtete Verbindungen von Netzen zwischen Ländern eingesetzt, damit die Flussrichtung des Stroms regelbar wird. Dies kommt meist dort zum Einsatz, wo Netze nicht bereits auf Wechselstromebene zusammenhängen. Eines der Projekte in unserer Region dazu ist eine Verbindung zwischen der Türkei und Georgien. Georgien entwickelt sich zu einer Stromdrehscheibe in der Kaukasus-Region und ist selbst großer Wasserkrafterzeuger. Diese Energie soll in die Nachbarnetze transportiert werden.
Report: Gibt es in Kerneuropa einen Bedarf für HGÜ neben der Achse in Deutschland?
Pollhammer: Auf jeden Fall. Wegen der Tendenz zur dezentralen Erzeugung in Europa werden die Netze immer wichtiger. Der steigende Einfluss von Erneuerbaren stellt die Netze in ganz Europa vor wachsende Herausforderungen – sie müssen gestärkt werden. Die Entwicklung der regenerativen Stromerzeugung ist zu begrüßen, allerdings wächst durch die Volatilität von Wind und Sonne auch der Bedarf eines Ausgleichs von Erzeugung und Verbrauch.
Das jüngste Projekt von Siemens ist eine Verbindung zwischen Belgien und Deutschland. Die beiden Länder sind wechselstromseitig miteinander verbunden, es gibt aber den Bedarf eines Richtungsbetriebs, um verlustärmer und gezielt Energie von A nach B zu bekommen. In einem vermaschten Wechselstromnetz ist dies ja nicht direkt steuerbar, da sich der Strom physikalisch nach der Größe des elektrischen Widerstands verteilt. Im Falle Deutschlands geht dies auch ungewollt über Polen oder Tschechien, die damit ihrerseits wieder ihre Netze stärken müssen.
Ein weiteres Projekt, bei dem wir einer der Technologielieferanten sind, ist eine Verbindung zwischen Montenegro und Italien. Hier fertigt Siemens ein großes Umspannwerk in Montenegro für den dortigen Netzbetreiber CGES. Ein Seekabel wird die beiden Netze verbinden und stabilisieren. Italien muss ausbauen: Während früher ein reiner Nord-Süd-Korridor für die Übertragung ausreichend war, setzt man seit Jahren stark auf Photovoltaik und generell Erneuerbare. Durch neue Erzeugungsspitzen im Süden hat sich die Situation von Angebot und Nachfrage im italienischen Netz innerhalb der letzten fünf Jahre völlig verändert.
Report: Wie »smart« sind die Grids in Europa eigentlich tatsächlich bereits? Wo muss noch investiert werden?
Pollhammer: Der Energiefluss hat sich in den letzten Jahren verändert. Noch vor zehn Jahren funktionierten Verteilnetze blind. Zwischen dem Umspannwerk und den Ortsnetz-Transformatoren ist der Strom ohne Intelligenz geflossen. Von dem sind wir heute – aufgrund der zigtausend Photovoltaikerzeuger, die im Netz hängen – weit entfernt. Waren früher rein statistische Berechnungen ausreichend, um eine Flächenlast vorherzusagen und dafür Energie zu erzeugen, können heute auch Verbraucher – Haushalte, Gewerbe und Industrie – zu jedem Zeitpunkt selbst Strom ins Netz einspeisen. Damit wird mehr Transparenz benötigt. Siemens ist dazu an vielen Forschungsprojekten beteiligt. Ein kleiner Baustein sind die Smart Meter. Sie dienen aber vornehmlich der Darstellung und Optimierung des Verbrauchs für die Konsumenten. Eine wesentliche Netzkomponente ist der Ortsnetztrafo, dessen Auslastung man mitunter im Livebetrieb nicht kennt. Trafos wurden früher ja für diese Herausforderungen nicht ausgelegt. In einem Projekt mit den Wiener Netzen in der Seestadt Aspern erforschen wird das Zusammenwirken in einer Gesamtbetrachtung rund um Kleinerzeuger und kommunale Hausbauten. Ein anderes Projekt mit unserer Beteiligung ist Köstendorf in Salzburg, wo Elektromobilität und Haushaltspeicher fixe Komponenten im Netz sind.
Jedenfalls muss auch in Österreich im Netzbereich investiert werden. Austrian Power Grid, ein Kunde von Siemens, hat dazu einen strategischen Netzentwicklungsplan aufgelegt, der unter anderem das Einbinden der Wasserkraft ins Netz, den Ausbau der Salzburgleitung und die allgemeine Stärkung der Netze für eine höhere Stabilität berücksichtigt.
Report: Eine der Erkenntnisse in Salzburg war die Tatsache, mit dem Einzug von IT und Datenanalysen auf einen weiteren Netzausbau zumindest teilweise verzichten zu können. Lässt sich das verallgemeinern?
Pollhammer: Es gibt keine Lösung, die überall passt. In manchen Teilen Österreichs haben wir die Situation kleinteiliger Wasserkraft, deren Ertrag von den Tälern heraus zu Verbraucherzentren transportiert werden muss. In einem Stadtgebiet sieht das wieder völlig anders aus. Die Projekte Köstendorf und Rosa Zukunft in der Stadt Salzburg sind nur 30 Kilometer voneinander entfernt und werden völlig unterschiedlich umgesetzt. Es ist auch nicht immer möglich, die volle technische Ausstattung an Sensoren zu installieren. Hier gilt es einen ökonomischen Mittelweg zwischen dem technisch Möglichen und dem praktisch Sinnvollen zu finden. Letztlich geht es um simple Lösungen, die auch ein Monteur ohne viel Zusatzaufwand umsetzen kann.
Report: Wie sieht die Situation bei Energiespeichern aus? Es gibt vielversprechende Technologien, auch wenn sie für einen breiten Einsatz noch zu teuer sind.
Pollhammer: Speicher werden aus unterschiedlichen Gründen benötigt. Kurzspeicher im Megawattbereich sollen die Netzstabilität verbessern, Betriebe brauchen Speicher als Puffer, um ihre Prozesse abzusichern. Dann wächst das Angebot an Schnellladestationen für die Ladung von Elektroautos, die ebenfalls eine lokale Speicherinfrastruktur benötigen. Wir sehen in Zukunft ein noch stärkeres Zusammenspiel von unterschiedlichen Lösungen und Technologien in den Netzen und bei Speichern. Die Wirtschaftlichkeit hängt aber auch von Faktoren wie etwa dem Ölpreis und politischen Rahmenbedingungen ab. Eines kann man aber bereits sagen: Rein elektrisch werden wir das Thema Speicher wahrscheinlich nicht bewältigen können. Auch wenn der Trend für Alternativen auf der Straße derzeit Elektromobilität ist – Siemens ist gemeinsam mit dem Verbund Eigentümer des Ladeinfrastrukturanbieters Smatrics –, gibt es auch dort andere Modelle, die technisch einwandfrei funktionieren, wie etwa das Wasserstoffauto mit Brennstoffzelle.
Report: Wie haben sich die Zeiten in der Energiebranche geändert?
Pollhammer: Ich bin ja schon lange bei Siemens und freue mich, dass gerade das Thema Smart Grid wieder viele junge Leute in unser Team gebracht hat. Dank der Digitalisierung gibt es so viel dazu zu erforschen: Software ist ein bestimmender Faktor. Letztendlich müssen elektrische Systeme heute mit Gebäuden und Industrieanlagen in einem »Totally Integrated Power«-System intelligent funktionieren. Alle Komponenten bis hin zu unserer Automatisierungstechnik müssen auf IT-Ebene miteinander kommunizieren. Wir können das virtuell zusammenfassen und auch vermarkten, wie man am Beispiel Aspern sieht. Für Elektrotechniker hat es noch nie eine so spannende Zeit gegeben wie heute.