Die Produkt- und Dienstleistungsqualität in der heimischen Bauwirtschaft ist gut. Noch viel Luft nach oben gibt es in der Prozess- und Unternehmensqualität. Zertifizierungen helfen, Abläufe transparenter, nachvollziehbarer und besser zu machen. In der Regel lassen sich Unternehmen aus tiefster Überzeugung seitens der Geschäftsführung zertifizieren. Manchmal kommt aber auch der Zufall zu Hilfe.
Wenn in der Bau- und Immobilienbranche von Zertifzierungen die Rede ist, dann geht es in der Regel um Gebäudezertifikate wie LEED, BREEAM oder DGNB. Ohne diese Mascherl sind vor allem Büroimmobilien heute nur schwer am Markt zu platzieren. Viel seltener stehen in Sachen Zertifizierung die Unternehmen selbst im Fokus. Dabei würde vielen Betrieben ein prüfender Blick auf die eigene Unternehmensqualität, auf die Prozesse und Organisation sicher nicht schaden. Laut Kreditschutzverband KSV1870 waren im Jahr 2013 rund 70 % der Unternehmensinsolvenzen auf interne Fehler zurückzuführen. Nur rund 10 % der Pleiten resultierten aus Kapitalmangel und nur rund 20 % aus externen bzw. anderen unbeherrschbaren Ursachen. Laut KSV-Experten Hans-Georg Kantner sind bei einer Vielzahl von insolventen Firmen eklatante Mängel in der Organisation feststellbar: Apparate sind aufgebläht, Zuständigkeiten und Abgrenzungen sowie die innerbetrieblichen Potenziale in Sachen Produktivität und Kostensenkung nicht ausgeschöpft. Auch das Bewusstsein, laufend seine Prozesse zu verbessern, fehlt bei vielen Unternehmen fast gänzlich. Auch Alfred Leitner, Branchenmanager Bauwesen beim Zertifizierer Quality Austria, bestätigt, dass bei vielen Unternehmen eine mangelnde Qualität der internen Abläufe feststellbar ist. »Viele Unternehmen bringen Qualität immer noch ausschließlich mit der Güte ihrer Produkte und Dienstleistungen in Verbindung. Die Qualität der Geschäftsprozesse spielt hingegen kaum eine Rolle.« Viele Pleiten in der Baubranche passieren bei vollen Auftragsbüchern. »Diese Unternehmen gehen nicht pleite, weil sie in ihrem Kerngeschäft schlecht sind, sondern weil kaufmännische Fehler gemacht werden«, weiß Leitner.
Dass zertifizierte Unternehmen nachweislich seltener von Insolvenzen betroffen sind, liegt nicht zuletzt an der transparenten Gestaltung interner Prozesse. »Zertifizierte Unternehmen haben ihre Abläufe im Griff«, erklärt Leitner. Diese qualitative Verbesserung der Abläufe steigert den wirtschaftlichen Erfolg. So hilft etwa ein geregeltes Mahnwesen, die Liquidität zu erhöhen, und eine genaue Ablaufdokumentation, das Wiederholen von Fehlern zu vermeiden. Untersuchungen zeigen auch, dass die Fehlerkosten eines Bauprojekts in der Regel zwischen 4 % und 8 % der Errichtungskosten ausmachen. Das frisst die Marge der meisten Unternehmen. Viele dieser Fehler lassen sich aber ganz leicht verhindern, indem man die Abläufe optimiert. Einen absoluten Schutz vor einer Pleite bietet aber auch eine Zertifizierung nicht, wie das Beispiel Alpine zeigt. »Ein Zertifikat belegt, dass Abläufe transparent und nachvollziehbar sind, dass Prozesse dokumentiert sind, sagt aber nichts über die Preisgestaltung aus«, erklärt Rudolf Pichler, Geschäftsführer des Zertifizierungsunternehmens Bureau Veritas. Und die Preisgestaltung war bei der Alpine-Pleite bekannterweise ein ganz wesentlicher Sargnagel.
>> Beispiele aus der Praxis <<
Die weltweit wichtigste Qualitätsmanagementnorm ist die ISO 9001. Sie beschreibt, welchen Anforderungen das Managementsystem eines Unternehmens genügen muss, um einem bestimmten Standard bei der Umsetzung des Qualitätsmanagements zu entsprechen. Bereits seit 1996 ist das Bauchemieunternehmen Murexin AG, eine Tochter der Schmid Industrie Holding, nach ISO 9001 zertifziert. Für Raimund Wachlhofer, technischer Leiter bei Murexin, hat die ISO-Zertifizierung eines Unternehmens immer zwei Aspekte. »Da ist zum einen der offizielle Stempel nach außen. Aber für das Unternehmen selbst viel wichtiger ist, dass das Unternehmen durchleuchtet und Prozesse dargestellt werden.« Die ISO schreibt keine Prozessabläufe vor, sondern fordert lediglich, die Prozesse und Entscheidungsstrukturen nachvollziehbar darzustellen. Damit können Lücken im Entscheidungsprozess aufgezeigt und die Schnittstellenproblematik sichtbar gemacht. »Eine Zertifizierung kann auch gut mit einer Vorsorgeuntersuchung ver-glichen werden«, gibt Murexin Marketingleiter Christian Führer einen Einblick in die aufwändige Seite des Zertifizierungsprozesses. »Externe Auditoren hinterfragen gezielt die gewohnten Abläufe, zeigen mögliche Bruchstellen. Das ist nicht immer lustig, aber damit verbessert man sich auch kontinuierlich.« Die oftmals kolportierten hohen Kosten von Zertifizierungen werden von Führer und Wachlhofer relativiert. »Fehlchargen und Kundenreklamationen, die man mit einer Zertifizierung vermeiden kann, kosten auf jeden Fall mehr«, so Führer und Wachlhofer unisono.
Auch Würth Österreich ist seit 1996 nach ISO 9001 zertifiziert. Beim Montage- und Befestigungsspezialisten schätzt man die ISO als wirkungsvolles Instrument, um Prozesse laufend verbessern zu können. »Die optimierten Abläufe führen zu Fehlervermeidung und steigern die Wettbewerbsfähigkeit, erklärt Würth-Sprecherin Gerti Wais. Zudem würden das permanente Qualitätsstreben und die transparenten Abläufe auch für einen Imagegewinn sorgen.
Neben der ISO 9001 hat Würth im Jahr 2000 auch das Umweltmanagementsystem ISO 14001 implementiert. Damit wurde der organisatorische Rahmen geschaffen, um alle umweltrelevanten Tätigkeiten des Unternehmens zu erfassen und eine laufende Verbesserung der Umweltleistung zu erreichen.
>> König Zufall <<
Eigentlich einem Missverständnis hat das Bauunternehmen Pongratz seine ISO-Zertifizierung zu verdanken. »Im Jahr 2000 machten zahlreiche Gerüchte die Runde, dass man ohne eine Zertifizierung bald keine Chance mehr bei Ausschreibungen hätte«, erklärt Christian Berger, Qualitätsmanager bei Pongratz. »Darauf haben wir reagiert und uns zertifizieren lassen.« Die strengen Vergaberichtlinien sind zwar nicht gekommen, die ISO-Zertifizierung ist dem steirischen Mittelständler aber geblieben. »Die ISO 9001 hat sich als wirksames Instrument herausgestellt, um sicherzustellen, dass die Unternehmensprozesse in der Praxis so ablaufen, wie von der Geschäftsführung gewünscht«, erklärt Berger, warum man sich seit 2000 regelmäßig rezertifizieren lässt. Die interne Transparenz sorge auch dafür, dass sich die Qualität der Prozesse laufend verbessert. »Durch die Zertifizierung und die externen Audits beschäftigen wir uns mit Themen, die wir sonst wahrscheinlich nicht wahrnehmen würden.« So führt Pongratz etwa regelmäßige Kundenbefragungen durch. »Die Ergebnisse daraus helfen uns, uns weiter zu verbessern und steigern die Kundenzufriedenheit.« Dennoch würde man sich bei Pongratz wünschen, dass der eigentliche Beweggrund für die Zertifizierung irgendwann Realität wird. »Eine stärkere Gewichtung der Unternehmens- und Prozessqualität bei Ausschreibungen wäre für alle Beteiligten absolut wünschenswert«, ist Berger überzeugt. Denn davon würden auch die Auftraggeber profitieren, die mit weniger Ausfällen und Baumängeln zu rechnen hätten.