Seit 2003 veranstaltet der Bau & Immobilien Report jedes Jahr die Enquete »Chance Hochbau«. Heuer steht der Branchentreff der Bauwirtschaft unter dem Motto »Heute für Morgen – Bauen für die Zukunft«. Am 25. September werden hochrangige Vertreter aus Politik und Wirtschaft über die zentralen Zukunftsthemen und Herausforderungen der Bau- und Immobilienwirtschaft diskutieren. Wir haben uns vorab umgehört und prominente Köpfe der Branche um ihre Einschätzung gebeten, was die zentralen Themen der Zukunft sein werden und welche Hürden es zu meistern gilt.
Trend zu echter Partnerschaft
Thomas Birtel, Vorstandsvorsitzender STRABAG SE
"Es werden besonders zwei Themen die Branche deutlich stärker beschäftigen: Das eine ist die Tendenz in Richtung Bestbieter- statt Billigstbieterprinzip. Mit Ausnahme des Nordens spielten nachhaltige Kriterien in Europa bisher kaum eine Rolle im öffentlichen Bau – weder was das Bauwerk betrifft noch hinsichtlich der Rahmenbedingungen in den Baufirmen. Dabei haben letztendlich alle etwas davon: Auftraggeberschaft, Beschäftigte, ausführende Unternehmen und Nutzerinnen und Nutzer. Das andere Thema betrifft alternative Modelle der Zusammenarbeit bzw. der Risikoteilung zwischen Auftraggeberschaft und Generalunternehmen. Hier arbeiten wir etwa mit unserem STRABAG teamconcept daran, eine wirkliche Partnerschaft mit unserer Klientel einzugehen, in der Risiken fair geteilt werden."
Kollateralschäden vermeiden
Karl Friedl, Geschäftsführer M.O.O.CON
"Objekte und Infrastrukturen verursachen den zweitgrößten Kostenblock in Unternehmen. Daher müssen wir lernen, Objekte bereitzustellen, die einen klaren Wertschöpfungsbeitrag am Erfolg des nutzenden Unternehmens leisten. Immobilien sind nie Selbst-, sondern immer Mittel zum Zweck. Alle immobilienspezifischen Themen, mit denen wir uns in diesem Zusammenhang befassen – Nachhaltigkeit, Lebenszyklusorientierung, Sanierung, etc. –, müssen also immer den Nutzer im Fokus haben. Wir müssen die Bedürfnisse der Menschen besser verstehen und die Immobilien der Zukunft so gestalten, dass sie sich diesen Bedürfnisse ohne allzu große finanzielle, ökologische, organisatorische oder sozio-kulturelle Kollateralschäden anpassen."
Keine Marktchancen ohne Zertifikate
Karl-Heinz Strauss, CEO Porr
"Die Zukunft in der Immobilienbranche gehört der Nachhaltigkeit. Green- und Blue-Building-Zertifikate haben sich in den vergangenen Jahren endgültig durchgesetzt, eine Entwicklung, die ich sehr begrüße. Es ist nicht nur ökologisch sondern auch ökonomisch sinnvoll, ein Gebäude über den gesamten Lebenszyklus zu betrachten. Büros ohne entsprechende Zertifikate haben am Markt kaum noch Chancen, auch bei Hotels hat sich dieser Trend mittlerweile durchgesetzt. Unser Ziel ist nun der Wohnbau der Zukunft, der nicht nur eine lebenswerte Umgebung bietet, sondern auch seinen Teil zum Schutz unserer Umwelt beiträgt."
Vergaberecht anpassen
Stephan Heid, Heid Schiefer Rechtsanwälte
"Die Umsetzung der neuen EU-Vergaberichtlinie in nationales Recht ist eine der wesentlichen Herausforderungen in nächster Zeit. Die Richtlinie bietet den Mitgliedsstaaten konkrete Chancen, nach sozialen, umweltbezogenen und nachhaltigen Aspekten auszuschreiben und damit Beschaffungsaufgaben zu optimieren sowie wesentliche Einsparungseffekte zu erzielen. Österreich hat noch einige Hausaufgaben zu erledigen: So muss etwa das derzeit vorherrschende Billigstbieterprinzip zugunsten einer fairen Auftragsvergabe weichen, die Lebenszykluskostenrechnung ist in das Vergaberecht zu inkludieren und die elektronische Vergabe sollte, noch bevor sie ab Ende 2018 verpflichtend umzusetzen ist, bereits jetzt vermehrt eingesetzt werden."
Umweltschutz und zufriedene Mieter
Bruno Ettenauer, CEO CA Immo
"Die zwei wichtigsten Einflussfaktoren für die künftige Entwicklung der (gewerblichen) Immobilienbranche sind aus meiner Sicht klar: die Energiewende und sich verändernde Anforderungen seitens der Mieter. Emissionsarme Gebäudelösungen mit bester Energieeffizienz und Ressourcenschonung sind schon jetzt Standards modernen Bauens und Basis der Wettbewerbsfähigkeit – den viel strapazierten Begriff ›Nachhaltigkeit‹ wird man in diesem Zusammenhang wohl bald nicht mehr in den Mund nehmen müssen. Die Kunst, bestmöglichen Umweltschutz und optimale Mieterzufriedenheit wirtschaftlich und technisch unter einen Hut zu bringen, wird uns zunehmend fordern."
Branche braucht Paradigmenwechsel
Christoph Achammer, CEO ATP architekten ingenieure
"Die Planungs-, Bau- und Immobilienindustrie steht in den nächsten Jahren vor der substantiellen Herausforderung, jene Re-Organisationsprozesse, die der Rest der Industrie bereits hinter sich hat, endlich umzusetzen. Noch immer produzieren die vorhandenen Misstrauensstrukturen – Bauherr gegen Planer gegen Ausführung gegen Betrieb – 30 % Verschwendungspotenzial in jedem einzelnen Teilprozess. Dies führt dazu, dass Baukosten kontinuierlich steigen, die Gesamtkosten nicht mehr leistbar sind und gleichzeitig die Gewinnmargen aller Beteiligten auf einem ökonomisch nicht nachhaltig niedrigen Niveau bleiben. Es wird die Aufgabe der gesamten Branche sein, zu begreifen, dass Gebäude und Infrastrukturen lebenszyklusorientiert entwickelt, geplant und gebaut werden müssen. Voraussetzung dafür sind intelligente Planungsprozesse, die jedenfalls integral ablaufen müssen, um das zukünftige Verhalten der Gebäude als virtuelle Modelle schon im frühen Planungsstadium abbilden können."
Flexibilität ist gefragt
Manfred Url, Generaldirektor der Raiffeisen Bausparkasse Gesellschaft m.b.H
"Bauen für die Zukunft heißt, heute an die Bedürfnisse von morgen zu denken – in baulicher wie in finanzieller Hinsicht. In einer alternden Gesellschaft spielt Mobilität in den eigenen vier Wänden eine wichtige Rolle: Ist der Wohnraum flexibel und barrierefrei gestaltet, kann er optimal an künftige Erfordernisse angepasst werden und erlaubt eine langjährige Nutzung des eigenen Heims. Damit Wohnen auch im Alter leistbar bleibt, ist die Investition in Wohneigentum eine ökonomisch kluge Wahl und gleichzeitig die einzige Pensionsvorsorge, von der man schon Jahre vorher profitieren kann."
Den Staatshaushalt sanieren
Roland Hebbel, Geschäftsführer Steinbacher Dämmstoff GmbH
"Wesentliche Voraussetzung für langfristig positive Tendenzen in der Baubranche sind dringend notwendige Strukturreformen: Wir müssen den Staatshaushalt ausgabenseitig – und nicht einnahmenseitig durch zusätzliche Steuern – sanieren. Das heißt: Abgabenlast und Arbeitskosten spürbar senken und die überbordenden Ausgaben dauerhaft eindämmen. Die steuerliche Belastung des Verdienstes liegt in Österreich im absoluten Spitzenfeld! Würden Unternehmen zusätzlich noch mit einer wachstums- und investitionshemmenden Vermögenssteuer belastet, würde primär der Mittelstand darunter leiden. Unser zentrales Thema muss sein, sowohl die dienstleistenden (Tourismus) als auch die industriellen Arbeitsplätze in Österreich attraktiv zu erhalten, um unseren Wohlstand auch in Zukunft zu sichern."
Leistbarkeit nicht auf dem Rücken der Baufirmen
Rainer Pawlick, Wiener Landesinnungsmeister Bau
"Ich glaube, dass der Begriff Nachhaltigkeit mit seinen drei Säulen ökologische, ökonomische und sozio-kulturelle Qualität das Programm für Bauten der Zukunft zur Gänze abdeckt. Eines der wichtigsten Ziele ist der ressourcenschonende Umgang mit Baustoffen und Energie. Auf der ökonomischen Seite muss Wohnen leistbar bleiben (werden). Dies darf aber nicht auf dem Rücken der Bauausführenden durch Preisdumping und unlauteren Wettbewerb ausländischer Firmen ausgetragen werden. Die Vorschriften und Normen müssen wieder überschaubarer und wirtschaftlich realisierbar werden. Die Normenstellung im Bauwesen darf nicht eine Spielwiese der Baustoffindustrie sein, wo primär wirtschaftliche Interessen im Vordergrund stehen."
Effizient, natürlich und wertbeständig
Christian Weinhapl, Geschäftsführer der Wienerberger Ziegelindustrie GmbH
"Schon heute, zukünftig jedoch noch wesentlich stärker, werden Faktoren wie Energieeffizienz, Wohngesundheit und natürliche Produkteigenschaften bei gleichzeitiger Wertbeständigkeit ausschlaggebend bei der Wahl des Baustoffs im Wohnbau sein. Dieser Entwicklung tragen wir mit unserem Spitzenprodukt, dem Porotherm W.i Planziegel, Rechnung. Mit werkseitig integrierter ökologischer Wärmedämmung entspricht er genau diesen Anforderungen und ermöglicht zusätzlich wertvolle Nettonutzflächengewinne gegenüber anderen Baustoffen bei gleichem U-Wert."
Weitere Verdichtung der Stadt
Michael Pech, Vorstand Österreichisches Siedlungswerk ÖSW
"Wien wächst: Bis spätestens 2050 werden nach aktuellen Prognosen zwei Millionen Menschen in der Stadt leben. Dieses Bevölkerungswachstum erfordert eine weitere Verdichtung der Stadt. Die demografische Entwicklung zeigt eine rasche Zunahme von Singlehaushalten. Kostengünstiges temporäres Wohnen ist eine Antwort auf diesen Wandel und den steigenden Mobilitätsbedarf. Ein wesentlicher Einflussfaktor sind auch die geänderten Arbeitsmarktstrukturen. Waren bis in die 1980er- Jahre über zwei Drittel der Menschen in Österreich in konventionellen Arbeitsverhältnissen, wird dieser Anteil bis 2020 auf rund 50 Prozent sinken. Für diese Zielgruppe brauchen wir ein entsprechendes Wohnungsangebot. Vor diesem Hintergrund haben wir das neue Kurzzeitapartmenthaus- Konzept R4R – room 4 rent entwickelt. Schnell verfügbare Apartments, die auch kurzzeitig gemietet werden können."
Gesetzesflut eindämmen
Robert Schmid, Geschäftsführer Baumit Beteiligungen
"Die Themen Nachhaltigkeit und Energieeffizienz prägen heute unsere Branche. In Zukunft wird aber der Mensch als Mensch in den Mittelpunkt rücken. Und damit der Wunsch nach mehr Qualität. Nicht nur die Optik ist wichtig, sondern auch die Bausubstanz und die mit ihr verbundenen Baustoffe, die nachhaltig produziert werden, die lange im Bauwerk bestehen können und die Zusatzfunktionen bieten, die den Menschen ein langfristiges, sicheres, vor allem gesundes und möglichst leistbares Wohnen ermöglichen. Als eine der größten Herausforderungen sehe ich es jedoch, die wachsende Gesetzesflut im Baubereich einzuschränken und EU-weite Normen zu reduzieren."
Fairer Wettbewerb
Michael Wardian, Geschäftsführer Kirchdorfer Fertigteilholding
"Solange die Konjunktur in Osteuropa nicht anspringt, sehe ich insbesondere für die Fertigteilsparte, die den umsatzstärksten Bereich innerhalb der Kirchdorfer Gruppe darstellt, fragwürdige Wettbewerbspraktiken als massive Herausforderung in unserer Branche: Überkapazitäten in den Nachbarländern, Lohndumping im eigenen Land und die alleinige Fokussierung auf den ›Billigstbieter‹ führen zu einer gefährlichen Nivellierung nach unten, mit der wir langfristig sogar unsere hohen zivilisatorischen Standards gefährden.
Enormes Wachstumspotenzial birgt für die kommenden Jahre sicherlich die Achse Wien-Bratislava mit ihren riesigen Einzugsgebieten. Hier hat gerade die Fertigteilbranche eine große Chance, sich mit garantierter Produktqualität und effizienter Transportlogistik im herausfordernden Wettbewerbsumfeld vergleichsweise besser zu entwickeln."
Seriosität und Erfahrung gefragt
Matthias Unger, Geschäftsführer Unger Steel Group
"Auftraggeber wählen ihre Partner und Lieferanten nun gezielter aus als vor der Krise und legen bei der Projektumsetzung verstärkt Wert auf Seriosität, Erfahrung und finanzielle Situation der Geschäftspartner. Für unsere Unternehmensgruppe ist diese Entwicklung von Vorteil. Wir setzen seit jeher auf eine offene und partnerschaftliche Zusammenarbeit sowie regionale Wertschöpfung mit erfahrenen Partnerunternehmen im jeweiligen Land. So können wir durch laufende und offene Kommunikation mit dem Kunden den Wunsch nach funktionierenden und praktikablen Lösungen erfüllen und rasch auf neue Anforderungen und Bedürfnisse reagieren."
Innovation und Qualität
Monika Döll, Saint-Gobain Isover Austria GmbH
"In Zukunft werden die komplexen Ansprüche bei Sanierungen die Wichtigkeit an einem breiten Produktportfolio unterstreichen. Aus diesem Grund müssen wir innovative Produkt- und Systemlösungen zur Verfügung stellen und die Wahrnehmung der Bauschaffenden hinsichtlich Qualitätsansprüche schärfen. Diese Kombination wird positive Auswirkungen auf die gesamte Konjunktur haben."
Veranstaltungstipp:
25.9.2014, von 14.30 bis 17 Uhr Enquete »Chance Hochbau«
Informationen unter www.report.at/termine