Stahl wird in der Öffentlichkeit immer stärker als flexibler, vielseitig einsetzbarer und für außergewöhnliche Lösungen unverzichtbarer Werkstoff bewusst wahrgenommen. Ein grundsätzliches Problem des Stahlbaus liegt im Preisniveau. Von Karin Legat.
Ein Unternehmen möchte sich ein architektonisches Denkmal setzen – die Lösung: Stahlbau. »Architektonische Objekte und Entwürfe namhafter internationaler Architekten belegen: Stahl ist die Basis für eindrucksvolle Prestigebauten, die meist auch markante Skyline-Sehenswürdigkeiten darstellen«, stellt Josef Unger, Geschäftsführer der Unger Steel Group fest. Stahl bedeutet nachhaltiges, langfristiges und optisch ansprechendes Bauen. »Vor allem sichtbare Konstruktionen werden gerne in Stahl ausgeführt«, ergänzt Hans Frey, Vertriebschef von Waagner-Biro Stahlbau. Stahl zählt zu einem der wichtigsten Werkstoffe für die Industrie der Zukunft. Europaweit gibt es rund 2.400 Stahlsorten, von Massenstahl über unlegierten Edelstahl, mikro-, niedrig- und hochlegierten, Schnellarbeits- bis zu Einsatz- und Vergütungsstahl.
Architektur muss Thema sein
»Die Architektur ist anspruchsvoll – heute mehr denn je«, betont Josef Unger. Gebäude sollen schlank wirken, großzügige Freiräume besitzen und dazu über lichtdurchflutete Passagen verfügen. All das muss sich mit traditionellen Anforderungen wie Zuverlässigkeit, hoher Tragkraft, stabiler Bauweise und langer Lebensdauer realisieren lassen. Stahl ist dafür der ideale Werkstoff. Für Hans Frey eignet sich Stahl auch für extravagante Gebäudehüllen und skulpturale Sonderkonstruktionen. Im Wohnbau sieht der Österreichische Stahlbauverband Stahlbau noch als Nischenprodukt. »Bei einem 08/15-Wohngebäude oder einem Bürohaus ohne architektonische Besonderheiten kann man die Eigenschaften von Stahl nicht ausschöpfen. Damit gibt es im Wohnbau auch nur dort Chancen, wo die Statik das erfordert«, zeigt Geschäftsführer Georg Matzner auf. Große Chancen sieht er im Bereich der Infrastruktur, d.h. im Brückenbau und bei Freiformflächen. Das ist volkswirtschaftlich aufgrund der sehr kurzen Baustellenzeiten interessant. Allerdings gilt es, den Stahlbau in der Fertigung so weit in Bezug auf die Kosten zu rationalisieren, dass er mit Beton bzw. Massivbau konkurrenzfähiger wird. Daran forschen die drei Stahlbau-Universitätsinstitute in Österreich intensiv.
Kostenfrage
In der Infrastruktur steht die Kostenfrage im Vordergrund. Hier hat Stahl oft wenig Chancen, denn er ist teurer als Massivbau. Das Billigstbieterprinzip punktet, die meisten Bauherren bewerten ausschließlich die Herstellungskosten. »Das heutige Preisniveau stammt aus einer Zeit, in der man um jeden Auftrag gerungen hat. Die Preise heute nach oben zu verhandeln, ist kaum möglich«, gibt Matzner zu bedenken. Wenn allerdings die gesamten wirtschaftlichen Kosten in Betracht gezogen werden, d.h. von der Errichtung (inklusive baubedingter Staus), Baudauer, Wartung über Instandhaltung bis zum Recyclingpotenzial – Wiederverwerten statt Sprengen und Deponieren –, dann stehen die Chancen für den Stahlbau in der Infrastruktur sehr gut.
Werkstoff der Zukunft
Ziel muss es sein, Kostenwahrheit im Bauwesen in Form der Life Cycle Costs zu erreichen. Bisher ist das nur ansatzweise der Fall, obwohl die Vorteile von Stahl rund um die Themen Nachhaltigkeit, Kosten und Entsorgung durchaus unstrittig sind. Der Bereich Nachhaltigkeit wird auch von einer aktuellen deutschen Studie belegt: Stahl behält seine Eigenschaften in jeder Recyclingstufe ohne Qualitätsverlust. »Was in Stahl gebaut ist, kann 1:1 verwertet werden«, meint Matzner. Er ist äußerst widerstandsfähig und kann ressourcenschonend eingeschmolzen sowie problemlos recycelt werden.
»Unser Brückenbaubereich legt seine Paneelbrücken von vornherein auf Wiederverwendung aus«, informiert etwa Hans Frey. »Oftmals werden sie nur temporär errichtet und können ohne Verschleiß an einem anderen Ort in anderer Konstellation problemlos wieder aufgebaut werden.« Das lässt sich mit keinem anderen Baustoff bewerkstelligen. »Im Massivbau muss man downcyclen, der Sand wird dann als Zuschlagstoff verwendet«, erklärt Georg Matzner. »Im Holzbau sind Produkte aufgrund der Anstriche oft als Sondermüll zu deponieren. Im Stahlbereich dagegen ist v.a. bei Nutzung von erneuerbarer Energie eine ausgezeichnete Ökobilanz möglich. Damit entsprechen wir der 7. Grundanforderung der EU Bauprodukteverordnung, die seit Anfang Juli gültig ist: nachhaltige Nutzung der natürlichen Ressourcen.«
Wohnen in Stahl
»Stahlbau erfüllt alles, was die OIB- Richtlinien hinsichtlich Akustik, Schallschutz und z.B. Wärmeleistung fordern«, stellt Matzner ein ausgezeichnetes Wohnzeugnis aus. »Vielfach gibt es noch die Ansicht, Stahl sei kalt. Das ist aber nicht korrekt. Es liegt an den Planern, mit gebauten Beispielen den Sinneswandel herbeizuführen«, ergänzt Frey. Trotz der geringen architektonischen Finesse im Wohnbau sieht Matzner Potenzial für Stahl, da Änderungen während der Bauarbeiten mit Stahl einfacher umzusetzen sind. »Mit einem Stahlgerüst kann auch in einer späten Bauphase z.B. auf kleinere Wohneinheiten umgeplant werden. Das ist im Massivbau nur bedingt möglich.« Für Unger spielt Stahl im Wohnbau eine immer größere Rolle. »Stahl eignet sich in Kombination mit Glas oder Beton ideal zur Realisierung von Wohn- und Gewerbebauten, die grazile, schlichte Formsprachen mit eleganter Transparenz verbinden.« Für Hans Frey von Waagner-Biro sind architektonisch anspruchsvolle Wohnbauten untrennbar mit dem Triumph von Stahl und Glas verbunden. Er nennt dabei Objekte wie Mies van der Rohes Farnsworth House und die Lake Shore Drive Apartments bei Chicago. »Das sind Ikonen der zweiten Moderne.«
Der Einsatz von Stahl im Wohnbau ist für ihn sehr landesspezifisch. Georg Matzner verweist auf eine andere Einsatzmöglichkeit von Stahl im Wohnbau. »Im modernen Stahlbau werden Stahlbau und Massivbau kombiniert. Aufgebaut wird auf einer schnell aufgestellten Stahlstruktur. Der Stahl wird in der Endphase ummauert und verschwindet damit. Die Vorteile wie die Stützenfreiheit und der beachtliche Raumgewinn sowie die Flexibilität der Wohnungsgrundrisse bleiben jedoch erhalten.« Entsprechende Projekte gibt es laut Matzner in Oberösterreich, z.B. in Gmunden. Eine weitere hervorzuhebende Eigenschaft des Stahlbaus für jedes Objekt sind seine ökonomischen Vorteile. Im Stahlbau lässt sich anders als in anderen Bauwerken stark automatisiert arbeiten. Damit können Kosten reduziert, Durchlaufzeiten verringert und die Abrechnung vereinfacht werden. Unger Stahlbau bestätigt aus der Praxis, dass deshalb Bauvorhaben deutlich vor dem geplanten Bauende realisiert und fertiggestellt werden können. Dies garantiert dem Auftraggeber Planungssicherheit und Sorgenfreiheit. »Dafür ist aber ein entsprechend großer Maschinenpark notwendig und der ist nur bei einer guten Auftragslage vorhanden«, betont Matzner und spricht damit wieder die mäßige Auftragslage im Stahlbau und das umkämpfte Preisniveau an.
Stahlbauforschung
»Der Weg zur Kompetenzführerschaft führt über Innovationen«, betont Hans Frey. Daher setzt Waagner-Biro Stahlbau auf konsequente Forschungs- und Entwicklungsarbeit, die zwei Richtungen verfolgt: die Weiterentwicklung der allgemeinen technologischen Kompetenz und projektbezogene Innovationen. Geforscht wird in Österreich, z.B. vom Institut für Stahlbau der TU Graz, v.a. im Bereich der Metallurgie, der Nachhaltigkeit und der Tragfähigkeit. »Hier gibt es noch viel Potenzial«, so Matzner.