Bürger:innenbefragungen gehen zumeist gegen neue Projekte aus, Windkraft ist dabei die Ausnahme, zeigt eine aktuelle clavis-Studie. Ja/Nein-Fragen erschweren die sachliche Information und führen zur Emotionalisierung.
Der S-Link in Salzburg, gegen den am vergangenen Sonntag eine Mehrheit von 53,2 Prozent der rund 250.000 Wahlberechtigten in den Bezirken Salzburg, Salzburg-Land und Hallein gestimmt hat, ist nicht das erste Bauprojekt in Österreich, das von einer Volksbefragung gestoppt wird. Das zeigt eine aktuelle Erhebung der clavis Kommunikationsberatung.
Die Kommunikationsberater haben im Zeitraum zwischen 1. Jänner 2019 und 31. Oktober 2024 – also in knapp 5 Jahren – 54 direktdemokratische Entscheidungen (Volksabstimmungen, Volksbefragungen und Bürgerbefragungen) in Österreich zu Bauprojekten mit Ja/Nein-Frage identifiziert. 17 oder knapp 32 Prozent der Volksentscheidungen sind im Sinne des Projektes ausgegangen, 37 Befragungen oder 68 Prozent dagegen.
Besonders auffallend: 12 von den 17 positiven Befragungen waren zu Windkraftprojekten (insgesamt 20 Entscheidungen). Das bedeutet, dass von den übrigen 34 Volksentscheiden nur 5 im Sinne der Projektwerber ausgegangen sind – eine magere „Erfolgsquote“ von 15 Prozent.
Alle Verkehrsprojekte abgelehnt
Laut Erhebung haben es Verkehrsprojekte in der Meinung der Bevölkerung besonders schwer. Bei sämtlichen 6 Entscheidungen gab es ein mehr oder minder klares Nein von den Befragten. Im Bereich Tourismus und Freizeit hieß es bei 8 Befragungen 7 Mal Nein und nur ein Mal Ja, im Bereich Gewerbe und Industrie bei 7 Befragungen 6 Mal Nein und ein Mal Ja. Fazit: Neue Verkehrsprojekte fallen generell durch, Projekte in anderen Bereichen haben nur mehr sehr geringe Chancen auf Realisierung.
„Offensichtlich gibt es in der Bevölkerung ein ausgeprägtes Unbehagen Neuem gegenüber. So ist auch zu erklären, dass Befragungen zur Schließung von Spitälern oder Schwimmbädern zumeist für den Erhalt der Einrichtungen ausgehen, selbst wenn das die teuerste Lösung ist“, analysiert clavis-Geschäftsführer Ulrich Müller die Ergebnisse.
Schwerer Stand für Projektwerber in Salzburg, Tirol und Vorarlberg
Die meisten direktdemokratischen Entscheidungen fanden in den vergangenen 5 Jahren in Niederösterreich statt. 24 Mal wurde dort zu den Wahlurnen gerufen, 14 Mal stimmte eine Mehrheit gegen das Projekt. In Tirol fanden 8 Befragungen statt, die allesamt gegen das Projekt entschieden wurden. In Oberösterreich gingen 4 von 6 Befragungen negativ aus, in der Steiermark 3 von 5 und im Burgenland 3 von 4 Befragungen. 100% Ablehnung haben neben Tirol auch noch Vorarlberg bei 3 und Salzburg bei 2 Volksentscheiden vorzuweisen. In Kärnten gab es im Beobachtungszeitraum eine Befragung, bei der die Bevölkerung für das Projekt votierte. In Wien fand seit 2019 keine Befragung statt.
Wind hui, Photovoltaik pfui
Mit Abstand am häufigsten wurde zu Windkraftprojekten befragt. 12 der 20 Bevölkerungsentscheide gingen für das Projekt aus. Das heißt aber nicht, dass Projekte im Bereich erneuerbare Energien generell positiv gesehen werden. Zu Photovoltaik-, Biomasse- oder Wasserkraft-Projekten fanden 7 Befragungen statt, bis auf eine Zustimmung wurde in jedem Fall gegen das Projekt votiert.
„Windkraftprojekte sind die große Ausnahme von der Tendenz, dass Volksbefragungen Großprojekte verhindern. Der Grund könnte sein, dass es den Windanlagenbetreibern besser als anderen Projektwerbern gelingt, bei der Bevölkerung trotz all der Komplexität solcher Projekte und Genehmigungsverfahren einen individuellen Nutzen zu vermitteln“, meint Müller. Aus Einzelfall-Studien wisse man nämlich, dass der persönliche Vor- bzw. Nachteil eines der Hauptmotive in der Wahlzelle sei.
Ja/Nein-Entscheidung erschwert sachliche Kommunikation
Und was bedeuten die Ergebnisse der Erhebung für die Kommunikation der Projektwerber? „Klar und transparent informieren, den Nutzen des Projektes für jede und jeden einzelnen darstellen und möglichst viele Menschen zu Beteiligten machen“, sagt Müller. Klar sei, dass die Zuspitzung der Entscheidung auf Ja oder Nein zu Polarisierung und Emotionalisierung führe. „In einer solcherart aufgeheizten Stimmung ist es schwierig, mit sachlicher Information bei der Bevölkerung anzukommen“, so Müller.
Es verwundere daher nicht, dass Bürgerbefragungen meist von Projektgegner:innen lanciert würden, um das Projekt zu Fall zu bringen. Wolle man Projekte inhaltlich verbessern, seien andere Beteiligungsformate wie etwa Bürger:innenforen viel besser geeignet, betont der Experte.