Sonntag, Juni 30, 2024
EU Wahl 2024: Wen die Baubranche wählen sollte!

Der Bau & Immobilien Report hat die Spitzenkandidat*innen zur EU-Wahl gefragt, wie sie die Baukonjunktur ankurbeln wollen, wie sie zum Green Deal und einer Sanierungspflicht stehen und wie sie sich im Wettstreit der Baustoffe positionieren. Eine Entscheidungshilfe für den bevorstehenden Urnengang.

Die Bau- und Immobilienwirtschaft ist einer der wichtigsten Konjunkturmotoren in Österreich. Aktuell ist er ziemlich ins Stottern geraten. Welchen Beitrag kann und soll die EU leisten, um die Branche wieder zum Laufen zu bringen?

Reinhold Lopatka, ÖVP: Die Bau- und Immobilienwirtschaft sehen wir im Sinne des Subsidiaritätsprinzips als nationale Zuständigkeit. Die EU soll sich auf die großen Fragen konzentrieren. In Österreich haben wir bereits einen großen Beitrag dazu geleistet. Mit der Wohn- und Bauoffensive der Bundesregierung kurbeln wir nicht nur die Baubranche an, sondern schaffen auch leistbaren Wohnraum für die Zukunft.

Andreas Schieder, SPÖ: Wir brauchen mehr öffentliche Investitionen, insbesondere in Projekte die uns beim Kampf gegen den Klimawandel unterstützen können. Gleichzeitig müssen wir unsere Lieferketten widerstandsfähiger zu machen, damit es nicht ständig zu Ausfällen und Verzögerungen kommt. Mit dem Gesetz für kritische Rohstoffe haben wir dafür einen guten Grundstein gelegt.

Harald Vilimsky, FPÖ: Wegen der auf EU-Ebene beschlossenen Rechtsvorschriften, die zu immer neuen Verpflichtungen für die Unternehmen führen, leiden vor allem KMU unter den bürokratischen Belastungen. Ein Negativbeispiel dafür ist der »Green Deal« mit enormen Melde- und Berichtspflichten für die Unternehmen oder das sogenannte »Lieferkettengesetz«. Auf EU-Ebene ist daher der gesamte Rechtsbestand dringend zu durchforsten und die bürokratischen Hürden und Berichtspflichten sind umgehend massiv zu reduzieren.

Lena Schilling, Die Grünen: Die EU schafft Planungssicherheit und fördert Sanierungen. Mit der Gebäuderichtlinie gibt es Planungssicherheit: Nullemissionsgebäude werden der neue Standard, Investitionen in alte Gebäudestandards zahlen sich nicht mehr aus. Zusätzlich unterstützt die EU die Mitgliedsstaaten bei den erforderlichen Sanierungen, indem sie unter anderem über den RRF Mittel bereitstellt, allein bis 2030 insgesamt mehr als 100 Milliarden Euro. Würde sich die Republik zudem für eine Wohnbauinvestitionsbank entscheiden, kommt die Union auch für diese Mittel auf.

Helmut Brandstätter, Neos: Die nächste EU-Kommission sowie das EU-Parlament müssen alles dafür tun, um mit einer ambitionierten Reformagenda für Entbürokratisierung und Schritten in eine echte Investitionsunion den Wirtschaftsstandort Europa zu stärken. Wir sehen einen wesentlichen Hebel in der Deregulierung, wobei wir uns für möglichst einheitliche Rahmenbedingungen einsetzen, während die ÖVP beispielsweise die neun österreichischen Bauordnungen in Brüssel zur roten Linie macht. 


Der European Green Deal stellt die Bauwirtschaft vor große Herausforderungen. Sehen Sie die Vorgaben als Chance oder Fessel für die Branche? Würden Sie sich für eine Lockerung stark machen?

Lopatka: Wir stehen für die Refokussierung der Union auf Wirtschaftsthemen und fordern einen konsequenten Abbau von Überregulierungen. Dazu zählen die Überprüfung des Green Deals hinsichtlich der Wettbewerbsfähigkeit sowie die Neuverhandlung sämtlicher Regulierungen, die zu stark in die Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit eingreifen. Europäische Maßnahmen für Klima- und Umweltschutz dürfen nicht auf Kosten der Unternehmen gehen.

Schieder: Wir müssen aufhören Maßnahmen gegen den Klimawandel als etwas Negatives zu betrachten, wir schaffen Investitionen in unsere Zukunft, die Arbeitsplätze kreieren und viele Chancen bieten.

Vilimsky: Die FPÖ würde die Rechtsakte des Green Deals sofort rückabwickeln. Mir ist kein Industriezweig bekannt, der bislang von dem EGD profitiert hat, ausgenommen natürlich Start-ups im Bereich von grüner Energie – zumindest solange die Fördergelder laufen. Die gerade in der EU stattfindende Deindustrialisierung geht auf den EGD zurück, und die CO2-Einsparungen in der EU und den USA werden gerade von dem stark zunehmenden CO2-Ausstoß Chinas und Indiens absorbiert.

Schilling: Der European Green Deal bedeutet vor allem eines: eine riesige Chance. Die Modernisierung des Gebäudebestands sichert Arbeitsplätze, insbesondere von KMU. Der European Green Deal stellt außerdem sicher, dass Europa was neue Technologien anbelangt, nicht von China und den USA überholt wird. Klima­freundliches Bauen ist schon jetzt in Teilbereichen ein Exportschlager: CO2-reduzierter Zement oder Holzbauten aus Vorarlberg werden auf der ganzen Welt gekauft.

Brandstätter: NEOS sehen den European Green Deal als Chance, um Innovation und Nachhaltigkeit in der Bauwirtschaft zu fördern. Wir sind für eine zielgerichtete Umsetzung der Vorgaben, die die Wettbewerbsfähigkeit der Branche stärkt und gleichzeitig den ökologischen Fußabdruck minimiert. Eine Lockerung der Vorgaben würden wir nur dann unterstützen, wenn sie die Erreichung der gesetzten Ziele nicht beeinträchtigt. Es kommt jetzt besonders darauf an, den Green Deal in guter Absprache mit allen Stakeholdern umzusetzen.


Wie stehen Sie zu einer Sanierungspflicht von Gebäuden?

Lopatka: Die Volkspartei spricht sich gegen eine Sanierungspflicht auf EU-Ebene aus. Das Vorhaben der EU, eine Richtlinie über die Energieeffizienz von Gebäuden zu erlassen, bildet aus unserer Sicht keinen Mehrwert, zumal bereits mehrere Gesetze in Bezug auf diese Thematik in Kraft sind. Weiters findet in diesem Sinne auch keine EU-weite Harmonisierung statt, da die Klassen der Energieausweise nach national festgelegten Werten eingeteilt werden und nicht mit anderen Mitgliedstaaten vergleichbar sein müssen.

Schieder: Durch eine hochwertige Sanierung von Gebäuden schaffen wir es langfristig, die Energieeffizienz von Gebäuden in Europa zu verbessern und Energiekosten zu senken. Somit leisten wir nicht nur einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel, sondern entlasten auch die Geldbeutel der Bürger*innen. Eine tatsächliche Sanierungspflicht bei Privatgebäuden wird es laut der im letzten Jahr beschlossenen Energieeffizienzrichtlinie aber nicht geben. Trotzdem sollen die Menschen die Möglichkeit haben, ihre Wohnungen und Häuser zu sanieren und dabei finanziell unterstützt werden. Dafür gibt es zum Beispiel den sozialen Klimafonds.

Vilimsky: Die sich aus der Richtlinie zur Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden ergebende Verpflichtung an die Mitgliedsstaaten, wird mittels behördlichen Zwangs aufzuholen versuchen, was mit den freiwilligen Renovierungszielen der Vorgängerrichtlinien nicht erreicht wurde. Es ist unverständlich wie Verpflichtungen rund um die Schaffung von Null­emissionsgebäuden und Verbote fossiler Heizkessel bezahlbaren Wohnraum für benachteiligte Personen schaffen sollen.

Schilling: Österreich hat sich auf einen klimaneutralen Gebäudesektor bis 2040 verständigt. Um dieses Ziel erreichen zu können, braucht es nicht nur Niedrigst­energiehäuser im Neubau, sondern eine ganze Sanierungswelle. Im Moment werden Förderinstrumente und steuerliche Anreize noch entsprechend gut angenommen.

Brandstätter: Sanierungen sind ein entscheidender Schritt bei Energiewende und Bekämpfung des Klimawandels und schaffen viele Arbeitsplätze und lokale Wertschöpfung. Verbindliche Sanierungsziele sind darum wichtig – die Mittel, um diese Ziele zu erreichen, müssen aber immer gut gewählt sein. Eine Sanierungspflicht muss jedenfalls mit ausreichender Förderung, bürokratischer Entlastung und schlauen Kriterien und Ausnahmeregelungen einhergehen. 


Holz und Massivbaustoffe wie Beton oder Ziegel befinden sich in einem harten Wettbewerb. National und international wird nachhaltiges Bauen gefördert, davon profitiert oft Holz. Soll der Baustoff Holz gefördert werden oder stehen Sie für Bau­stoffneutralität?

Lopatka: Der Baustoff Holz erfährt derzeit eine starke Förderung, insbesondere durch Initiativen wie das Wohn- und Baupaket der Bundesregierung und die Holzinitiative. Mit diesen Maßnahmen wollen wir Holzbau als nachhaltige Zukunftsbauweise stärken und gleichzeitig wirtschaftliche Impulse mit ökologischer Verantwortung verbinden. Es braucht eine ökologische Transformation im Bauwesen. Auch hier stehen wir für Innovation, welche in allen Baustoffindustrien forciert werden muss im Zuge der Erreichung unserer Klimaziele.

Schieder: Bei der Verwendung von Baustoffen ist uns grundsätzlich wichtig, dass bei der Herstellung auf Nachhaltigkeit und die Reduzierung von CO2-Emissionen geachtet wird. Dafür haben wir auch auf EU-Ebene das Lieferkettengesetz beschlossen oder die Verordnung für Entwaldungsfreie Lieferketten.
Vilimsky: Den Baustoff Holz zu fördern, ist ein guter Beitrag zur Stärkung der Regionalität und des Umweltschutzes, und angesichts der künstlich durch CO2-Bepreisung verteuerten Alternativen ein wettbewerbsfähiger Baustoff mit viel Potenzial. Dennoch kann und soll nicht auf Massivbauweisen verzichtet werden. Die Betonbauweise zum Beispiel ist langlebig, was oft nicht in die CO2-Bepreisung eingerechnet wird. Auch die Herstellung wird durch immer innovativer gewordene Herstellungsmethoden CO2-ärmer.

Schilling: Holz ist zweifelsohne ein wichtiger Baustoff im klimagerechten Bauen. Aber auch die Massivbauweise hat bauphysikalische Eigenschaften, deren Nutzung als Antwort auf die Klimaerhitzung durchaus interessant ist, siehe das Projekt 2226 von Baumschlager*Eberle in Lustenau. Für uns Grüne ist zentral, dass die Nutzungsdauern von Gebäuden deutlich erhöht werden und die dabei genutzte graue Energie auf ein Minimum reduziert wird.

Brandstätter: Nachhaltiges Bauen wird in Zukunft nur noch wichtiger werden. Die Nachhaltigkeit unterschiedlicher Baustoffe spielt darum zurecht eine Rolle, wobei es auch bei traditionellen Baustoffen Möglichkeiten gibt, die Klima­freundlichkeit zu verbessern. Hersteller von Baustoffen sind darum aufgerufen, sich mit der Nachhaltigkeit ihres Produkts auseinanderzusetzen und diese zu verbessern. Besonders die Möglichkeit, Baustoffe wiederzuverwenden – im Sinne der Kreislaufwirtschaft –, kann die Attraktivität von Baustoffen für zukunftsgerichtetes Bauen maßgeblich verstärken.

Warum sollten Vertreter*innen der Bau- und Immobilienwirtschaft dieses Mal Sie wählen?

Lopatka: Wir wollen Europa, aber besser. Das bedeutet die Aufrechterhaltung eines starken Wirtschaftsstandorts, die Förderung der Wettbewerbsfähigkeit und vor allem auch den Erhalt von Wohlstand und Sicherheit in Österreich und Europa. Durch den Abbau von überbordender Regulierung genauso wie durch die Neuverhandlung sämtlicher Regulierungen, die zu stark in die Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit eingreifen, wollen wir insbesondere auch die Bauwirtschaft unterstützen.

Schieder: Weil es zählt, wer im Europäischen Parlament sitzt. Die SPÖ steht für ein soziales Europa mit fairen Arbeitsbedingungen und einem Friedens- und Wohlstandversprechen für alle Österreicher*innen und Europäer*innen. Der Rechtsruck ist auch eine Gefahr für den Wirtschaftsstandort Europa.

Vilimsky: Die FPÖ ist die einzige österreichische Partei, die keinen einzigen der sich gerade negativ auswirkenden Rechtsakte des EGD mitgetragen hat. Die ÖVP propagiert gerade jetzt im Wahlkampf, viele Verbote abgeschwächt zu haben, doch vergisst dabei immer zu erwähnen, dass die aktuelle EU-Kommissionspräsidentin und der EGD von der Europäischen Volkspartei kommen.

Schilling: Weil unsere Sanierungspläne ein echter Motor für die Baukonjunktur der nächsten 20 Jahre sein werden!

Brandstätter: Eine Stimme für NEOS ist eine Stimme für einen starken europäischen Binnenmarkt und damit auch mehr Chancen für Österreichs Wirtschaft. Wir brauchen weniger Populismus, wie das Schengen-Veto. Stattdessen müssen wir endlich durch Entbürokratisierung entlasten und durch mutige Reformen den Binnenmarktmotor zum Laufen bringen.

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