Die Bauzulieferindustrie ist gemeinsam mit der Baubranche in die Krise geschlittert. Um im hart umkämpften Wettbewerb bestehen zu können, müssen die Lieferanten die Bedürfnisse ihrer Kunden kennen. 83 % der Zuliefer-Unternehmen geben an, dass sie genau das tun. Allerdings sehen es nur 38 % der Kunden genauso, das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie der Strategieberatung S&B Strategy.
Auf den Bau-Boom der letzten Jahre folgte die brutale Ernüchterung. Die Zeiten, als sowohl Volumen als auch Preise in allen Segmenten der Bauwirtschaft nur nach oben zeigten, sind vorüber. Zwar ist der Bedarf speziell an leistbarem neuem Wohnraum und saniertem Bestand weiterhin gegeben, die stark gestiegenen Baupreise in Kombination mit den hohen Zinsen sind aber Gift für die Branche. Im Gegensatz zur Subprime-Crisis von 2007 bis 2009 in den USA ist die Krise also nicht auf einen Nachfragerückgang zurückzuführen, sondern auf einen Preisschock auf Angebotsseite. »Wir bauen einen immer größeren Nachfrageüberhang im Gebäude- und Infrastruktursektor auf, gleichzeitig kann er aufgrund zu hoher Kosten und vor allem politischer Unsicherheit nicht bedient werden«, sagt Christoph Blepp, Partner bei S&B Strategy und Autor der Studie »Gamechanger der Bauzulieferindustrie. Wie sich die Bauwirtschaft verändert und welche Erfolgsfaktoren für Hersteller in Zukunft wichtig sind«.
In der Studie kommt S&B Strategy zu dem Schluss, dass die hohen Zinsen und Preise die schon länger bestehenden Transformationskräfte nur verstärkt haben und damit eine Entwicklung vorweggenommen wurde, die sonst vermutlich erst in ein paar Jahren auftreten wäre. Als wesentliche Transformationskräfte nennt die Studie »Nachhaltigkeit«, »Konsolidierung auf Seiten der Bauunternehmen« und »neue Technologien«.Zulieferer, die den immer strenger werdenden politischen Vorgaben in Sachen Nachhaltigkeit nicht die passenden Produkte oder Dienstleistungen entgegenstellen können, werden mittel- bis langfristig nicht überlebensfähig sein. Gewinner dieser Entwicklung waren in den letzten Jahren laut Studie vor allem diejenigen Hersteller, denen eine Effizienzsteigerung entlang der gesamten Wertschöpfungskette gelungen ist, inklusive der Erschließung neuer Wertsteigerungs- und Preishebel. Die Konsolidierung auf Kundenseite stärkt die Verhandlungsmacht der Kunden, wodurch Marktbearbeitungskompetenz und das Pricing Schlüsselfaktoren für Umsatz und Profitabilität werden.
Wunsch und Wirklichkeit
Proaktive Zulieferer, die sich den Herausforderungen stellen und die Kundenbedürfnisse kennen, werden naheliegenderweise zu den Gewinnern zählen. Laut Studie gehen 83 % der Zuliefer-Unternehmen davon aus, die Bedürfnisse ihrer Kunden zu kennen. Dummerweise sehen das aber nur 38 % der Kunden so. »Wunsch und Wirklichkeit liegen also weit auseinander«, fasst Mitautor Patrick Seidler zusammen. In Zukunft werde es zentral sein, noch näher am Kunden und im besten Fall am Kunden der Kunden zu sein, um das Leistungsportfolio segmentiert und zielgerichtet anzupassen und so echten Value-Add anbieten zu können.
Ebenso wichtig wird die Bereitschaft zur Veränderung über das Büro der Geschäftsführung hinaus sein. Oft werden mutige, innovative neue Strategien vom Unmut und Widerstand der Belegschaft torpediert. Daran Schuld ist meist eine unzureichende und schlechte Kommunikation. Die Folge, die Ideen landen als teure Dokumente in Regalen oder Schubladen.
Aktueller denn je ist für die Bauzulieferindustrie laut Studie die Management-Weisheit »You cannot manage what you cannot measure«. Denn die Veränderungen auf Markt-, Kunden- und Wettbewerbsseite müssen erst einmal erkannt werden, bevor die Geschäftsmodelle daraufhin abgestimmt werden können. Allerdings erfassen 78 % der Unternehmen nur ihre Finanzkennzahlen, nicht aber ihre Kundenzufriedenheit, die Lieferperformance oder die Margenentwicklung nach Kunden- und/oder Produktgruppe.
Unterschiede in den Produktgruppen
Die Studie unterscheidet zwischen Unternehmen in absatzschwächeren Märkten und jenen in Wachstumssegmentgen. Zu den absatzschwächeren Märkten zählt die Studie Produkte und Dienstleistungen, die sehr CO2-intensiv sind oder stark vom Einfamilienhausbau abhängig sind. Diesen Unternehmen bleibt laut Studie nur die Flucht nach vorne in Form von Internationalisierung oder die Differenzierung durch Effizienzsteigerung, um einen ruinösen Preiskampf zu verhindern. Dafür ist es nötig, seine Kunden und die Entscheider*innen zu kennen, um daraus ein Geschäftsmodell abzuleiten, das entlang der gesamten Wertschöpfungskette konsequent um- und durchgesetzt werden muss. »Eine Anpassung des Produktportfolios bringt wenig bis nichts, wenn nicht Vertrieb, Produktion, Konstruktion und Einkauf zumindest auf die Erfolgsfaktoren zur Kundendurchdringung ausgerichtet sind«, erklärt Seidler.
Akteure in Wachstumssegmenten könnten hingegen von steigenden Absätzen und auch steigenden Preisen profitieren. Dazu zählt S&B Strategy Unternehmen, die Substitute für CO2-intensive Produkte anbieten oder Lösungen im Angebot haben, die auf Anwenderseite zu einer Effizienzsteigerung führen. Unternehmen in dieser Grippe können mit ihren attraktiven Marktsegmenten mitwachsen und sind dadurch weniger preissensitivem Wettbewerb ausgesetzt. Gerade in diesem Bereich wird der Raum für neue, disruptive Player größer, diese kommen etwa aus der Modulbauindustrie, entwickeln Bausoftware oder sorgen mit One-Stop-Shop-Plattformen für echten und vor allem neuen Mehrwert.
In einer Bauwirtschaft, in der die Personalkosten wie auch die anderen Kosten immer weiter steigen, wird der Return on Invest neuer Lösungen entsprechend attraktiv. Zusätzlich kommen bei erfolgreichen Geschäftsmodellen immer stärker die Kostendegressionseffekte zum Tragen, was diesen Prozess beschleunigt.
Nicht wenige dieser Gamechanger werden anfangs belächelt und viele werden den Markt so schnell verlassen, wie sie in ihn betreten haben, weil ihnen Kapital, Know-how oder schlichtweg Unternehmergeist fehlt, so Christoph Blepp. Diejenigen, die sich durchsetzen, werden aber in Zukunft eine wichtige Rolle spielen und Marktanteile bestehender, traditioneller Lösungen abnehmen. Doch insbesondere für Geschäftsmodelle, die hohe Wachstumsraten erzielen, gelte, dass die Professionalisierung der Prozesse und der Organisation nicht vergessen werden darf.