Gemeinsam mit der Vereinigung Industrieller Bauunternehmungen Österreichs veranstaltete die Österreichische Bautechnik Vereinigung erstmals einen Digitalisierungs-Workshop: Von den Grundlagen der Digitalisierung über die Zusammenarbeit mit BIM bis zur Standardisierungslandschaft.
Die Ergebnisse in Kürze
Thema 1: »Wie können wir gemeinsam die Grundlagen und Standards für mehr Digitalisierung im gesamten Bauprozess schaffen?«
Wichtigste Erkenntnis: »Planen und Bauen müssen frühzeitig zusammendenken dürfen.« → zur Diskussion
Thema 2: »Prozesse in der Zusammenarbeit mit BIM«
Wichtigste Erkenntnis: »Weg vom Piloten, hin zum Standard, um daraus optimierte Prozesse festzulegen.« → zur Diskussion
Thema 3: »Big Picture Standardisierungslandschaft «
Wichtigste Erkenntnis: »Es braucht eine österreichweite Steuerungsgruppe, in der alle vertreten sind und die die verschiedenen schon existierenden und noch notwendigen Initiativen der verschiedenen Stakeholder mit klaren Zielen koordiniert.« → zur Diskussion
Drei Arbeitsgruppen mit jeweils rund zehn handverlesenen Digitalisierungsexperten bearbeiteten einen Nachmittag lang getrennt voneinander jeweils ein Thema. Die Ergebnisse wurden dann vor einem persönlich eingeladenen Fachpublikum präsentiert und sollten im Rahmen einer Podiums- und Publikumsdiskussion auch durchaus kontrovers diskutiert werden.
Unter dem Generalthema »Wie können wir gemeinsam die Grundlagen und Standards für mehr Digitalisierung im gesamten Bauprozess schaffen?« befasste sich die erste Arbeitsgruppe unter der Leitung von Stefan Graf, CEO Leyrer + Graf, mit dem Thema »Von der LV-Position zur Abrechnung«. Die einleitende These von Stefan Graf lautete: »Die Digitalisierung ist gekommen, um zu bleiben. Und wir werden sie zu unserem Vorteil nutzen können. Aber wir werden einen echten Mehrwert nur dann schaffen, wenn wir unsere Kräfte bündeln.« Sie blieb bis zum Ende der Veranstaltung unwidersprochen.
Eine weitere Arbeitsgruppe widmete sich unter dem Vorsitz von Andreas Fromm, Geschäftsführer Asfinag Baumanagement, dem Thema »Prozesse in der Zusammenarbeit mit BIM«. Die dritte Arbeitsgruppe bearbeitete das Thema »Big Picture Standardisierungslandschaft« unter der Leitung von FCP-Geschäftsführer Robert Schedler. Die Arbeitsgruppen hatten jeweils knapp drei Stunden Zeit, um ihre Themen zu bearbeiten und für die Präsentation vorzubereiten.
Vor der Ergebnispräsentation betonte Peter Krammer, CEO Swietelelsky und gemeinsamer Präsident von ÖBV und VIBÖ, in seiner Keynote die Bedeutung der Digitalisierung für die Bauwirtschaft als Querschnittsthematik sowie insbesondere als Treiber und gleichzeitig notwendiges Werkzeug für die Nachhaltigkeitsberichterstattung. »Wir sind in Österreich in der Digitalisierung in den letzten Jahren ein gutes Stück weitergekommen«, so Krammer, es gebe aber »leider noch immer keine Durchgängigkeit bei den vielen Initiativen zur Digitalisierung.«
Die erste Arbeitsgruppe hatte sich vorgenommen, die Praxisprobleme rund um die Themen Abrechnung für die Leistungen Erdbau, Straßenbau und konstruktiven Betonbau zu behandeln. Konkret sollten auf Basis eines idealen Abrechnungsprozesses die derzeitigen Herausforderungen hinsichtlich der nicht durchgängigen Standards diskutiert werden. Das Ergebnis aus der Arbeitsgruppe lässt sich in dem Satz »Planen und Bauen müssen frühzeitig zusammendenken dürfen« zusammenfassen. Daraus abgeleitet sieht die Arbeitsgruppe als in weiterer Folge unmittelbar notwendige Schritte die Organisation von speziellen Workshops zum Thema sowie die Entwicklung von praxistauglichen Standard-Anwendungsfällen in Kombination mit Haftungs- und Vertragsfragen.
Interessant war in diesem Zusammenhang auch das Abstimmungsergebnis unter den Experten im Publikum, die sich mittels Mentimeter-Umfrage einbringen konnten. Auf die Frage: »Ist die modellbasierte Abrechnung schon in der Praxis angekommen?«, antworteten etwa ein Drittel mit »Nein«, lediglich ca. fünf Prozent mit »Ja« und der große Rest von fast zwei Drittel sah die modellbasierte Abrechnung in der Praxis derzeit nur in Pilotprojekten umgesetzt.
Die zweite Arbeitsgruppe mit dem Thema »Prozesse in der Zusammenarbeit mit BIM« hinterfragte die Rolle der jeweiligen Vertragsmodelle in diesem Zusammenhang (von der Einzelvergabe bis zu Allianzmodellen). Welche Kompetenzen brauchen die Projektbeteiligten? Welche Rolle wird Vertrauen bei der Arbeit mit BIM spielen? Die »Next Steps« sind laut Arbeitsgruppe, endlich vom Piloten zum Standard zu kommen und daraus optimierte Prozesse festzulegen. Die BIM-Daten müssen – und damit schließt sich der Kreis zur Keynote – für das ESG-Reporting verwendet werden (können). Und die Anwendungsfälle müssen hinsichtlich ihrer Projekttauglichkeit bewertet werden.
Das Publikum konnte zunächst einmal abstimmen, ob BIM ein notwendiger Datenlieferant für das ESG-Reporting ist. Von 1 (»Stimme nicht zu«) bis 4 (»Stimme voll zu«) war das Ergebnis mit 3,6 sehr eindeutig. Ebenso wie die Einschätzung zur Frage »Welche Rollen spielen unsere Digitalisierungsstandards im Zusammenhang mit der Erstellung von Ökobilanzen sowie Scope-Ermittlung (Nachhaltigkeit)?«: Fast 80 Prozent der Befragten gestehen den Digitalisierungsstandards in dieser Thematik eine »große Rolle« zu, nicht ganz ein Fünftel eine »mittlere Rolle« und lediglich knapp ein Prozent sieht eine »untergeordnete Rolle« der Digitalisierungsstandards.
Die dritte Arbeitsgruppe näherte sich dem Metathema auf höchster Flughöhe an. Schon der Titel war groß: »Big Picture Standardisierungslandschaft«. Ausgehend von der Prämisse, dass die Digitalisierung eine abgestimmte Verständnisbasis von Inhalten (Attribute, Modellaufbau, Datenübergaben, digitale Prozesse …) erfordert und diese in Richtlinien und Normen abgebildet werden müssen, stellte sich die Arbeitsgruppe die Frage, wie man die umfassende Zahl an Gremien und Standardisierungsinitiativen bündeln und die verschiedenen Stakeholder in Österreich koordinieren kann, damit es nicht weiterhin zu Doppelgleisigkeiten und Effizienzverlusten kommt.
In der anschließenden Publikums- und Podiumsdiskussion kamen aber auch grundsätzlichere Fragen zur Standardisierung auf, wie es Andreas Fromm in einem Statement gut zusammenfasste: »Wir müssen uns von einer Detailverliebtheit bei Standards verabschieden und auf eine gewisse Abstraktionsebene kommen.« Da der Bedarf an Digitalisierungsstandards (auch) für den großen Themenkreis »Nachhaltigkeit & Nachhaltigkeitsberichterstattung« festgestellt wurde, stand zunächst das Beispiel »Bauen Digital Schweiz« als gelungene nationale Initiative im Raum, durch die alle nationalen Akteure der Schweiz in Abstimmung mit der internationalen Entwicklung koordiniert werden und eine schnellere Abstimmung und Umsetzung der Digitalisierung im Bauwesen erreicht wird.
Robert Schedler präsentierte als Ergebnis seiner Arbeitsgruppe die Idee einer österreichweiten Steuerungsgruppe, in der alle vertreten sind und die die verschiedenen schon existierenden und noch notwendigen Initiativen der verschiedenen Stakeholder mit klaren Zielen koordiniert. Diese Forderung war dem Vernehmen nach das Ergebnis kontroverser Diskussionen in der Arbeitsgruppe. Für Details war die Zeit zu kurz, immerhin das Publikum teilte die Sicht der Experten aus der Arbeitsgruppe weitgehend: Über 90 Prozent waren ebenfalls der Meinung, dass es für die Baubranche eine zentrale Stelle zur übergeordneten Zieldefinition und Koordination sämtlicher Digitalisierungsstandards brauche.
Publikumsdiskussion mit neuen Blickwinkeln
Die an die Energiepräsentation anschließende von Univ.-Prof. Frank Lulei moderierte Podiums- und Publikumsdiskussion hob sich von manch ähnlichen Formaten dadurch erfrischend ab, dass keiner der Teilnehmer inhaltlich vorbereitet wurde. Keynote-Speaker Peter Krammer und die drei Chairs der Arbeitsgruppen, Andreas Fromm, Stefan Graf und Robert Schedler machten den Einstieg.
Besonders spannend war, dass Erwin Größ für die Vereinigung Österreichischer Projektentwickler auf dem Podium einen zusätzlichen Blickwinkel einbringen konnte: »Wir sind als Projektentwickler sehr heterogen im Zusammenhang mit BIM-Readiness und haben zum Teil noch einen weiten Weg vor uns. Für uns steht aber die Frage im Vordergrund, was unsere Kunden im Lebenszyklus einer Immobilie brauchen. Das sind ganz andere Anforderungen an das BIM-Modell als die einer Baustelle. Hier werden vor allem Treiber wie ESG, CO2-Bilanz oder Facilitymanagement im Allgemeinen die BIM-Modelle bestimmen.«
Unter der Leitung von Frank Lulei ging das Podium direkt und spontan auf die Ergebnisse aus den Arbeitsgruppen ein, was durchaus auch in der Diskussionsphase noch neue Aspekte hervorbrachte, wie etwa eine Wortmeldung von Andreas Fromm zeigt: »Wie gelingt es uns in den einzelnen Unternehmen, den Digitalisierungsgedanken und das Know-how bis auf jede Baustelle hinunterzubringen? Das ist etwas, wo noch viel mehr Anstrengung erfolgen muss. An dieser Schraube kann jeder drehen, ohne damit Externe zu befassen.«
Ein wesentliches Ergebnis der Veranstaltung und sozusagen den zukünftigen Auftrag an die anwesenden Branchenvertreter fasste Peter Krammer in einem kurzen Schlusswort am Podium zusammen: »Es ist wichtig, dass wir gemeinsam darüber reden, wie wir die fehlenden Vorgaben durch eine koordinierte Vorgangsweise kompensieren können. Wir müssen das gemeinsame Ziel über die Grenzen der einzelnen Stakeholder hinaus verfolgen.«