Im Interview mit dem Bau & Immobilien Report spricht Matthias Ortner, Immobilienexperte bei Advicum Consulting, über die aktuelle Krise der Branche. Er erklärt, warum man die Unternehmen in die Pflicht nehmen muss, welche Auswirkungen die Signa-Pleite haben wird und welche Schritte die Politik jetzt setzen muss.
Was die Immobilienbranche anbelangt, hört man auch abseits der Mega-Insolvenz der Signa aktuell fast nur Horrormeldungen. Viele Experten rechnen mit einer Pleitewelle und einer Marktbereinigung. Interessenvertretungen versuchen zu beruhigen und attestieren den Unternehmen, gut und solide aufgestellt zu sein. Wie ist Ihre Einschätzung? Wie geht es der Branche?
Matthias Ortner: Die Immobilienbranche ist aktuell von drei Seiten geknebelt. Durch die hohe Inflation sind die Baupreise gestiegen, die Zinsen sind hoch wie nie und mit den KIM-Kriterien hat sich auch die Regulatorik verändert. Das alles ist aber kein wirklicher Black Swan, sondern war absehbar. Aber wenn man zehn, zwölf Jahre nur Aufwärtstrends kennt, man Projekte mit 0,25 oder 0,5 Prozent finanzieren kann und die Objektpreise laufend steigen, dann ist Geldverdienen keine Kunst. Diejenigen, die 2008 miterlebt haben, reiben sich die Hände und freuen sich schon über neue Opportunities. Die, die später eingestiegen sind, betreten aber völliges Neuland und sind mit der Situation überfordert. Wenn es immer nur bergauf geht, legt man irgendwann die Risikoaversion ab.
Natürlich werden Projektentwickler Insolvenz anmelden. Das hat ja schon begonnen, in Österreich ebenso wie in Deutschland. Zudem wird es zu einem umfassenden Stellenabbau kommen. Und wenn Interessenvertretungen jetzt kalmieren, dann frage ich mich schon, was sie kalmieren wollen. Die Baupreise steigen, die Zinsen steigen und die Immobilienpreise stagnieren. Natürlich wird es zu einer Bereinigung kommen.
Wie stark wird die ausfallen?
Ortner: Das ist schwer zu sagen. Aber schon jetzt werden Wiener Zinshäuser mit 30 bis 40 Prozent Abschlag verkauft. Das hat aber schon vor zwei Quartalen begonnen. Es wird im nächsten Jahr sicher zu einer Bereinigung von zehn bis 20 Prozent kommen, das mag viele nicht erschrecken, es wird aber auch noch weitergehen. Der Wohnbau tut sich jetzt schon schwer. Wenn auch noch ein Mietpreisdeckel kommt, dann sind viele Immobilien nicht mehr lukrativ und die Investoren und Entwickler gehen in andere Märkte.
Welche Schritte wären seitens der Politik nötig, um diese dreiseitige Knebelung aufzulösen, um der Immobilienbranche Luft zu verschaffen?
Ortner: Das eine ist, der Immobilienbranche Luft zu verschaffen, aber viel wichtiger ist es, den Käufern Luft zu verschaffen. Das geht schon in Richtung KIM-Kriterien. Die KIM-Verordnung ist an sich gut, weil sich viele in der Vergangenheit wirklich überschuldet haben. Aber natürlich kann man diskutieren, ob nicht etwas übers Ziel hinausgeschossen wurde. Man sollte die KIM-Kriterien nicht lockern, sondern reformieren. Wichtig wäre eine stufenweise Streckung der Kriterien und eine besondere Berücksichtigung von jungen Familien.
Zu überlegen wäre auch ein Risikoaufschlag für gewisse Branchen, weil man mit der Refinanzierung auch viele Unternehmen erwischt, die grundsätzlich gesund sind. Dafür bräuchte es eine gestützte Zwischenfinanzierung mit Fortbestandsprognose. Und es braucht viel mehr Anstrengungen in der nachhaltigen Sanierung. Da fehlt vielen Projektentwicklern auch das Know-how. Hier müsste ein völlig neuer Geschäftszweig im Bereich ESG aufgebaut werden, der weit über den Heizungstausch hinausgeht. Da geht es um alternative Entwicklungstätigkeiten, die einen gesellschaftlichen Mehrwert darstellen.
Sie haben vorhin gesagt, dass diejenigen, die 2008 nicht dabei waren, jetzt einen Nachteil haben. Es wird aber niemand daran gehindert, aus der Geschichte zu lernen, auch wenn man sie selbst nicht miterlebt hat. Muss man da die Unternehmen nicht viel mehr in die Pflicht nehmen?
Ortner: Auf jeden Fall! Keine Diskussion! Es gibt auch Unternehmen, denen es gut geht, weil sie vor drei, vier Jahren aufgehört haben, Grundstücke zu jeden Preis zu kaufen. Andererseits waren auf der Mipim aber auch Aussagen zu hören wie: »Wir wissen alle, dass wir auf einen Abgrund zulaufen, aber ich wäre doch blöd, wenn ich als erster stehenbleibe.« Die Branche war sehr profitorientiert und hat die Schwerkraft für sich abgeschafft.
Welche Auswirkungen hat die Signa-Insolvenz aus Ihrer Sicht auf die Branche? Es gab ja auch in der Vergangenheit schon kritische Stimmen, aber dennoch galt die Signa als der große Überflieger der Branche. Ist das nur die Insolvenz eines großen Unternehmens oder ist das mehr?
Ortner: Das ist schon mehr. Schon allein aufgrund der Größe der Signa gibt es Auswirkungen auf die gesamte Branche. Da werden einige mitgerissen. Außerdem ist der Imageschaden für die ganze Branche gewaltig. Die Signa hat keinen schlechten Job gemacht, hat aber sehr stark auf diese never-ending Story gesetzt. Das Schicksal der Signa mit milliardenschweren Abwertungen wird aber sicher viele ereilen.
Glauben Sie, dass die aktuelle Krise den Immobilienmarkt nachhaltig verändern wird? Oder wird nach der Delle wieder alles sein wie früher?
Ortner: Ich befürchte, aus der Geschichte haben wir noch nie viel gelernt (lacht). Es wird schnell wieder Akteure geben, die nur die Opportunities sehen. Vor einer Wellenbewegung ist man nie gefeit. An eine nachhaltige Veränderung glaube ich nicht. Ich glaube, dass sich die Produkte und Anforderungen verändern werden. Die Preise werden irgendwann wieder steigen und die Inflation sinken. Was mit den Zinsen passiert, muss man sehen. Die letzten zehn Jahre waren ja ein Paradoxon.
Ich habe kürzlich mit Stefan Graf, CEO von Leyrer + Graf, gesprochen, der meinte, vier Prozent Zinsen gab es früher auch, Geld war etwas wert und man hat damit gelebt und gearbeitet…
Ortner: Genau, eigentlich ist das, was wir jetzt erleben, eine Rückkehr zur Normalität. Wir kommen in eine Phase der Demut, und die Aussage, Geld hat wieder einen Wert, gefällt mir sehr gut. Die Preise werden wieder steigen, durch die Demografie aber natürlich auch durch Spekulation.