Mittwoch, November 20, 2024
Internationale Best Practices

Klimafreundlich und zukunftsfähig bauen - eine herausfordernde Aufgabe, mit der nicht nur Österreichs Baubranche zu kämpfen hat. Wie andere Länder an das Problem herangehen, und was die heimische Wirtschaft und Politik daraus lernen können, stand bei einer internationalen Expertenrunde zur Debatte.

Titelbild: Der schwedische Forscher Lars Zettelberg erklärte, wie sein Land zur fossilfreien Gesellschaft werden will - und was die Politik dafür tut. (Fotocredit: FV Steine-Keramik/APA-Fotoservice/Juhasz)

Im Fokus der Expertendiskussionen standen aktuelle Fragen zur nachhaltigen Transformation des Bauens. Die zentrale Fragestellung: Welche Baukonzepte sind notwendig, um den ökologischen und ökonomischen Rahmenbedingungen standhalten zu können?

Für Antworten sorgten der schwedischen Forscher Lars Zetterberg, Mistra Carbon Exit, der österreichischen Bauphysiker Sebastian Nödl, 2226 GmbH, gemeinsam in der Runde mit Robert Jansche, Österreichisches Institut für Bautechnik (OIB), Filip Johnsson und Ida Karlsson, Mistra Carbon Exit und Chalmers University Göteborg, sowie Gerd Pichler, Bundesimmobiliengesellschaft (BIG), und Henriette Spyra, Bundesministerium für Klimaschutz. Zum Austauschevent geladen hatten die Forschungsplattform ReConstruct und das Bundesministerium für Klimaschutz.

»Wir wollen konkrete Beispiele aufzeigen, die als praktische Orientierung dienen. Denn wo nachhaltige und klimafreundliche Lösungen einmal realisiert sind, lassen sich Erkenntnisse für weitere Entwicklungen ableiten«, erklärte Moderator Christian Egenhofer, Centre for European Policy Studies Brüssel sowie Repräsentant von ReConstruct. Diskutiert wurden einerseits Konzepte aus Schweden, andererseits aus dem Westen Österreichs. »Sich international umzuschauen ist naheliegend, denn die Herausforderungen an die Baubranche sind in allen europäischen Industrieländern ähnlich.« Es müsse ein gewaltiger Gebäudebestand klimafit gemacht werden, während neue Gebäude selbstverständlich gleich von Beginn an den neuen Klima-Anforderungen entsprechen müssen.

Die Diskutant*innen (v.l.n.r.): Robert Jansche (OIB), Sebastian Nödl (2226 GmbH), Gerd Pichler (BIG), Christan Egenhofer (ReConstruct), Stefan Schleicher (Universität Graz), Henriette Spyra (BMK) sowie Filip Johnsson, Ida Karlsson und Lars Zetterberg (Mistra Carbon Exit). (Foto: FV Steine-Keramik/APA-Fotoservice/Juhasz)

Schweden: Entschlossen zum Ausstieg

Anhand von Mistra Carbon Exit illustrierte Forscher Lars Zetterberg, wie Schweden am Ausstieg aus fossilen Rohstoffen arbeitet. Mistra ist eine schwedische Stiftung für strategische Umweltforschung, die das Carbon Exit Forschungsprogramm finanziert. Die Forschung identifiziert dabei die Potenziale in Technik, Wirtschaft und Politik, die mit dem Klima-Ziel Schwedens (Netto-Null bis 2045), verbunden sind. Dafür werden beispielsweise Lieferketten analysiert: vom Rohstoff bis zum fertigen Produkt, inklusive Energiebedarf. »Das Programm selbst wird nicht nur durch die Forschung entwickelt, sondern in Zusammenarbeit mit Unternehmen, Behörden, Gemeinden und anderen gesellschaftlichen Playern«, erläuterte Zetterberg, so sei sichergestellt, dass die Konzepte realistisch sind und finanzierbar bleiben.

CO2-Emissionen schon heute halbierbar

Konkret wurden Zettelbergs Ausführungen in der Diskussion von seinen Kolleg*innen Ida Karlsson und Filip Johnsson formuliert: Karlsson illustrierte die Methode der Lieferkettenanalyse mit Zahlen: »Schon mit aktuell verfügbaren Technologien und Praktiken lassen sich die Treibhausgase bis zu 50 Prozent reduzieren – und diese Rate lässt sich mittelfristig noch steigern.« Im Jahr 2045 könne nahezu Netto-Null Emissionen erreicht sein, das erfordere aber Maßnahmen entlang der gesamten Lieferkette. So könne eine große Herausforderung in viele kleinere, konkrete Ansatzpunkte zerlegt werden.

»Ein wichtiger Meilenstein ist die Etablierung systematischer Arbeitsmethoden – dazu gehören Klima Aktionspläne und die Einführung eines Carbon Managers, zuständig für den CO2-Haushalt eines Gebäudes«, so Ida Karlsson. (Foto: FV Steine-Keramik/APA-Fotoservice/Juhasz)

Johnsson ging auf die Dekarbonisierung von Baumaterialien ein: »Um Emissionen entscheidend zu senken, braucht es unter anderem klimaneutralen Zement und Stahl mit CO2-Abscheidung und Elektrifizierung«, so wie es die schwedischen Projekte ‚HYBRIT‘ und ‚H2 Green Steel‘ mit der Entwicklung von fossilfreiem Stahl gerade versuchen.

Lösungen aus der Architektur

Wie Energieeffizienz funktionieren kann, zeigte der Bauphysiker Sebastian Nödl. Sein Büro bietet eine Energie-Optimierung an: durch weniger klassische Haustechnik, dafür aber mit einer intelligenten Software, die nach dem 2226 Prinzip lüftet. Jenes besagt: Ein Haus ohne Heizung und Kühlung hält eine Raumtemperatur von 22 bis 26 Grad. Erreicht wird die Temperatur allein durch Frischluft und die Wärme von Menschen und Geräten sowie einem System von Lüftungsklappen. Ein Pioniergebäude in Lustenau liefert seit zehn Jahren den praktischen Beweis, dass das Konzept funktioniert. Der jährliche Energieverbrauch ist weniger als ein Drittel dessen, was eine vergleichbare Standardimmobilie benötigt.

»2226 steht für ressourcenschonend und reduzierte Kosten – und ist geeignet für Neubau und Gebäudesanierung«, erklärt Nödl. Die angewandte Technik sei langlebig und brauche keine Updates. »Darauf basiert unser Anspruch, auch technisch für einen Zeithorizont von 100 Jahren und mehr zu planen«, so Nödl, der abschließend an die Politik appellierte: Um innovative Technologie zur Energieeffizienz voranzubringen, brauche es mehr Förderungen als auch vereinfachte Genehmigungsverfahren.

Austausch im Ideenlabor

Während der Veranstaltung konnten sich alle Anwesenden über ein digitales Tool miteinbringen. In Ideas Labs, also kleinen Arbeitsgruppen, kam es dann am Ende zu einem regen Austausch. Das Fazit: Empirische Forschung liefert die Basis für zukunftsfähiges Bauen, funktionierende reale Projekte sind als Leitbilder der Transformation unersetzlich. Energie ist ein Knackpunkt, und die Rolle als Rohstofflieferant macht die Baustoffindustrie zu einer wichtigen Gestalterin der Transformation.

Wesentliche Faktoren - neben neuen Energiekonzepten - sind etwa neue Geschäftsmodelle, kurze Wege und soziale Fragen, wie die Verbindung von Arbeit und Wohnen in einem Quartier. Wie sich am Beispiel Schweden zeigt, kann die Politik diese Prozesse durch geeignete Rahmenbedingungen stützen und vorantreiben - besonders durch Förderungen.

 

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