Montag, Dezember 23, 2024
Grenzen überschreiten
(Titelbild: iStock)

Nachhaltig Bauen wird vor allem mit der Reduktion verwendeter Baustoffe in Verbindung gebracht. Es bedeutet aber mehr: Betrachtet werden muss der gesamte Lebenszyklus der Baustoffe und ihre Funktion im Gebäude.

Die Baubranche ist sich einig: Es braucht Nachhaltigkeit und Innovation. Die eine zielführende Methode gibt es dabei nicht – angesichts des allgemeinen Rückgangs verfügbarer Bau­flächen, EU-Maßnahmen, die auf mehr Nachhaltigkeit beim Bauen abzielen, steigender Energiepreise und des verstärkten Trends zur Kreislaufwirtschaft. Bauen muss in neuen Dimensionen erfolgen. »Dabei kommt es nicht auf die Bauweise alleine an, sondern auf das Zusammenspiel der einzelnen Faktoren«, betont Barbara Bauer, Vizepräsidentin von nature­plus. Es bedarf ganzheitlicher Perspektiven, Planen und Bauen müssen viel früher miteinander verknüpft werden. Lediglich bestehende Prozesse zu optimieren, ist für Matthias Moosbrugger, Geschäftsführer der Rhomberg Bau Holding, keine Lösung. Bauen müsse völlig neu gedacht werden.

Umfassend Denken

Die Baustoffmenge zu begrenzen, ist für natureplus kein Allheilmittel. »Vielmehr als auf die Menge kommt es auf die Wirkung an, und das über den ganzen Lebenszyklus«, so Bauer. Das erfordert Baustoffe, die möglichst wenig negative Auswirkungen auf Umwelt und Mensch haben, zudem z. B. ein gutes Raumklima bieten und weniger Haustechnik benötigen. Nachhaltig bauen bedeutet, innovative Produkte und Dienstleistungen anzuwenden. Christof Weissenseer, Geschäftsführer von Weissenseer Holz-System-Bau, spricht dazu das Thema Rücknahmegarantie an. »In 100 Jahren haben Ressourcen einen viel höheren Wert und es besteht noch mehr die Notwendigkeit, bestehende Bauprodukte wiederzuverwenden. Daher wollen wir unsere Gebäude am Ende ihres Lebenszyklus zurückholen.«

»Wir wollen für unsere Produkte eine Rücknahmegarantie anbieten«, sieht Christof Weissenseer eine künftige Entwicklung beim Holzbauprofi. (Foto: Weissenseer Holz-System-Bau)

Derzeit darf ein gebrauchtes Produkt nicht weiter verwendet werden, weil es z. B. nicht festigkeitsgeprüft ist. Natürlich bestehen dann rechtliche Fragen, aber man müsse für neues Bauen einfach neu denken. Laut Bauer gibt es bereits einige Bauunternehmer, die dieser Strategie folgen. »Es nimmt jetzt wahrscheinlich wieder ein bisschen ab, weil sich die problematische Rohstoffverfügbarkeit etwas abgeschwächt hat. Aber im Grunde genommen weiß jeder, dass man nicht nur abbauen kann, sondern mit Vorhandenem weiterarbeiten muss.« Die Strabag setzt auf Generative Design – durch den Einsatz von Computeralgorithmen werden Pläne im Hinblick auf Gewichtsreduzierung und strukturelle Integrität optimiert, während gleichzeitig das gewünschte ästhetische Ergebnis gewährleistet wird.

Konzept Materialeffizienz

»Wir beginnen zu lernen, Baustoffe produktiver einzusetzen«, stellt Professor Stefan Schleicher vom Wegener Center der Universität Graz fest. Betondecken seien in der Regel noch überdimensioniert. Warum? »Weil Beton scheinbar immer noch billig ist. Das wird sich aber ändern, wenn die Kosten für CO2 mitbepreist werden.« Bei Zement gebe es große Möglichkeiten der Reduktion, zu sehen an Beispielen in der Schweiz, wo der Zementeinsatz bis zu 70 Prozent ohne Verlust der statischen Eigenschaften reduziert wurde. Erfolgreiche Forschungsprojekte laufen an der ETH Zürich.

Auf dem ehemaligen Areal des NZZ-Druckzentrums in Zürich errichtet Rhomberg einen fünfgeschoßigen Gebäudekomplex zu 75 Prozent aus Sekundärrohstoffen. (Foto: Rhomberg)

Claudia Dankl von der Vereinigung der österreichischen Zementindustrie VÖZ verweist bei Materialeffizienz auf die lange bestehenden Hohldielendecken und Cobiax-Systeme sowie neueste Entwicklungen von Hohlkörperdecken mit offener Untersicht und nennt erfreut den Werkshof in Bludenz als Projektbeispiel. »Durch den Einsatz von Verdrängungskörpern im Betonflachdach, hergestellt im 3-D-Drucker, konnten über 32,5 Prozent Gewicht und damit erheblich Emissionen eingespart werden.« Als Beispiel für höchste Materialeffizienz nennt Weissenseer die Holzriegelbauweise – computergesteuerte Anlagen in den Produktionshallen ermöglichen millimetergenaues Arbeiten.

Umfassend Planen

Materialeffizienz zu optimieren, erfordert für Univ.-Prof. Dirk Schlicke von der TU Graz vor allem integrale Tragwerksplanung. »Die Schnittstellen zwischen den verschiedenen Fachbereichen sind noch auf Zeiteffizienz getrimmt, man arbeitet insbesondere in der Tragwerksplanung noch zu losgelöst voneinander. Oft fehlt es an Genauigkeit.« Integral planen heißt, dass sich die einzelnen Fachgruppen genau abstimmen, wodurch Material effizient eingesetzt wird. BIM-basierte Methoden erlauben bereits einen planungsphasenübergreifenden Prozess.

Im Hochbau rechnet Schlicke allein über die Optimierung der Fundamentplatte mit einer Ersparnis von mindestens fünf Massenprozent bezogen auf die gesamte Primärstruktur, ergänzt durch innovative Werkstoffe und Bauweisen sogar mit 15 Prozent. »Die integrale Planung zwischen Architektur, Bauphysik und Energiesystem, wie ATP sie beispielsweise betreibt, ist der erste Schritt«, betont Schlicke und verweist auf die neue Lehrveranstaltung an der TU Graz zur integralen Tragwerksplanung zwischen Geotechnik und Betonbau, die im Oktober startet, sowie auf das Reallabor zur integralen Planung zwischen Energiesystem und Tragwerk als Forschungsprojekt.

Graue Energie im Bauwesen muss verstärkt berücksichtigt werden, fordert natureplus und spricht sich für die Verwendung regionaler Baustoffe mit geringem Energieinhalt aus. Im Bild: Barbara Bauer, Vizepräsidentin von nature­plus. (Foto: Enzberg)

Eine andere Art optimierter Planbarkeit bietet das systematisierte Bauen. »Holz-Hybride werden vorgefertigt und modular, somit skalierbar eingesetzt. Dieser Systembau ermöglicht kurze Bauzeiten und große Witterungsunabhängigkeit, da die Elemente in Produktionshallen vorgefertigt werden und die serielle Fertigung der Bauteile hohe Präzision bietet«, informiert Matthias Moosbrugger. Am Ende vom Lebenszyklus eines Bauwerks werden die verwendeten Baumodule demontiert und zum nächsten Einsatzort transportiert. Aktuell entwickelt Rhomberg Bau eine Software auf einer Unity Gaming Engine, mit der im virtuellen Raum der komplette Bauablauf mit allen Beteiligten durchgespielt werden kann.


Neuer Webauftritt

Die Interessenvertretung Bau!Massiv! hat ihren Webauftritt modernisiert und der Website www.baumassiv.at ein neues Design verpasst. Das Motto der Seite lautet: »Wir liefern den Baustoff, aus dem Zukunft gemacht wird.« Thematisch stehen die inhaltlichen Schwerpunkte von Bau!Massiv! im Vordergrund. Dazu zählen Kreislaufwirtschaft, Regionalität, Biodiversität,Klimaschutz und Beständigkeit. Die Seite bietet zahlreiche Publikationen und aktuelle Studien im Zusammenhang mit mineralischen Baustoffen. Außerdem gibt es Infos zu Veranstaltungen, Videos und Tools zur Planung und Simulation von Bauwerken.


Umfassend Betrachten

»Der Fokus wird künftig noch mehr auf dem Lebenszyklus eines Bauwerks liegen und einer generell nachhaltigen Planung«, betont Hubert Wetschnig, CEO der Habau-Gruppe. »Auftraggeber*innen im öffentlichen Sektor verlangen in ihren Ausschreibungen bereits seit einigen Jahren Qualitätskriterien mit Nachhaltigkeitsschwerpunkten.« Die Themen Bauen im Bestand, Kreislaufwirtschaft und Urban Mining – also die Rohstoffrückgewinnung in Städten – werden daher in Zukunft stetig an Bedeutung gewinnen und die Bauindustrie nachhaltig positiv beeinflussen.

Neues Bauen bedeutet für Hubert Wetschnig, CEO Habau, eine ganzheitliche Betrachtung sowohl neu zu errichtender als auch bestehender Bauwerke hinsichtlich Kreislaufwirtschaft und Wiederverwendung der eingesetzten Baustoffe. (Foto: Joel Kemasenko)

Lösungen gibt es bereits: ressourcenschonende und zukunftsfähige Möglichkeiten, etwa das Bauen auf bestehenden, genutzten Gebäuden, die Umnutzung bzw. den Umbau eines Bestandsgebäudes oder die Bebauung bereits versiegelter Flächen und natürlich die Sanierung. Moosbrugger spricht Re-Use als wichtigen Teil der Kreislaufwirtschaft an, das bereits von vielen Bauunternehmen umgesetzt wird.

Das bestätigt auch Johann Marchner, Geschäftsführer von Wienerberger Österreich. »Rund um das Wiederverwenden bestehender Ressourcen laufen aktuell mehrere Forschungsprojekte mit Universitäten, in denen wir unter anderem die Nutzung von Schleifstaub aus unserer Produktion in der Landwirtschaft testen und die Nachnutzung von Wandelementen.« Der Konzern stellt Tools zur Verfügung, um Planungs- und Bauprozesse zu vereinfachen und den Einsatz der Baustoffe noch effizienter zu machen, z. B. das Tool »All4Roof« als digitaler Dachkalkulator. Außerdem wird auf Dematerialisierung gesetzt, d. h. Produkte werden unter Betrachtung des Material- und Energieaufwands in verschiedenen Prozessschritten entwickelt.

»Wer heute baut, muss für Generationen denken und planen«, betont Wienerberger Österreich-Chef Johann Marchner und fordert die Dematerialisierung eingesetzter Produkte, ohne die Gebrauchs­eigenschaften zu verschlechtern. (Foto: Daniel Hinteramskogler)

Umfassendes Denken bedeutet aber noch mehr: Hermann Huber vom Department Green Engineering and Circular Design an der FH Salzburg nennt neben Sanierung vor allem den Verzicht auf Unnötiges. »Wenn Gebäude so errichtet werden, dass Böden und Wände ohne Zusatzschicht nutzbar sind, bedeutet das bereits eine erhebliche Materialeinsparung.«


Veranstaltungstipp

ReConstruct »Bauen der Zukunft – Building the Future«
19.10.2023, 15:30 Uhr, Architektur­zentrum Wien.

Im Fokus der Veranstaltung steht die Frage, welche Baukonzepte für die Gesellschaft notwendig sind, um den ökologischen und ökonomischen Rahmenbedingungen standhalten zu können. Einerseits gibt es einen gewaltigen Gebäudebestand, der saniert und »klimafit« gemacht werden muss. Andererseits muss sichergestellt werden, dass neue Gebäude keine Hypothek für die nächsten Jahrzehnte, sondern ein Asset sind. Bei der Veranstaltung werden wegweisende Bauprojekte aus Schweden vorgestellt, in deren Planung zukunftsorientierte Konzepte bereits einfließen.

Mit Keynotes von Lars Zetterberg, Carbon Mistra Exit, Stefan Corona, 2226 GmbH, und anschließender Expert*innen-Diskussion mit Renate Hammer, Institute of Building Research & Innovation, Robert Jansche, Österreichisches Institut für Bautechnik (OIB), Filip Johnsson und Ida Karlsson, Mistra Carbon Exit, Gerd Pichler, Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) und Henriette Spyra, Bundesministerium für Klimaschutz.

Persönliche Einladung erforderlich.

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