Sonntag, Dezember 22, 2024
Stellenmarkt der Zukunft
(Titelbild: iStock)

Traditionell um Mitarbeiter*innen zu werben, ist in der Baubranche passé. Es braucht neue Arbeitswelten.

In den vergangenen Jahren war die Bauwirtschaft überdurchschnittlich gut ausgelastet, derzeit steht die Baubranche vor einer Auftragsflaute. Auftragseingänge bzw. Umsätze brachen im zweiten Quartal 2023 um mehr als neun Prozent ein, wobei Tischler ein überdurchschnittlich hohes Minus im Auftragsbestand verzeichneten (minus 20,4 Prozent), ebenso wie Metalltechniker (minus 20,2 Prozent), Hafner, Fliesenleger und Keramiker (minus 15,9 Prozent) und das Baugewerbe (minus 13,1 Prozent). Trotz dieses negativen Konjunkturtrends bleibt der Fachkräftemangel dominant.


Über das ganze Bundesgebiet betrachtet liegt der sogenannte Stellenandrang bei Bauberufen bei 1,2. Das heißt für eine offene Stelle gibt es 1,2 Arbeitssuchende. Bei einem Wert von unter 1,5 wird offiziell von einem Mangelberuf gesprochen.

In der Fachkräfteverordnung werden 67 Mangelberufe gelistet, darunter Dachdecker*innen, Betonbauer*innen, Bautischler*innen und Maurer*innen. Die Liste hat sich seit 2014 mehr als verzehnfacht. Laut einer Eurostat-Studie ist Österreich mit Belgien das Land, in dem es die meisten unbesetzten Stellen gibt. In den nächsten Jahren wird der Fachkräftemangel am Bau weiter steigen, da Pensionierungen nicht durch neu ausgebildete Fachkräfte zur Gänze kompensiert werden können. Welche Maßnahmen gilt es nun zu treffen, welche Potenziale im Personalwesen liegen brach?

Der Bau & Immobilien Report hat unter anderem mit Josef Muchitsch, Bundesvorsitzender der GBH, Nicole Walther, Projektleiterin bei FiT, Frauen in Handwerk und Technik, und Thomas Prigl, stellvertretender Direktor der Berufsschule für Baugewerbe, gesprochen.

Neue Arbeitswelten

»Noch nie hat ein Bauunternehmer in den Monaten Dezember bis Mai einen Fachkräftemangel beklagt«, betont Josef Muchitsch. Dieser entstehe erst in der Hochsaison. Im Sommer falle bei Temperaturen über 30 Grad die meiste Arbeit an, im nicht mehr so strengen Winter müssten die Mitarbeiter*innen beim AMS gemeldet werden. Auftraggeber müssten Bauzeitpläne daher so gestalten, dass Beschäftigung während des ganzen Jahres möglich ist. Laut Muchitsch ist die Regierung gefordert, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit der Konjunkturmotor Bau Anschub erhält.

Eine bereits, wenn auch noch selten, umgesetzte Form des Anschubs bildet die Viertagewoche wie etwa beim Bauunternehmen Leithäusl. Bereits in den ersten Monaten nach der Einführung der Viertagewoche wurde eine deutliche Steigerung der Bewerbungseingänge verzeichnet (nachzulesen im Porträt von Monika Leithäusl - Link).

84 Prozent der Betriebsrät*innen sehen die Suche nach Arbeitskräften als derzeit größtes Problem am heimischen Arbeitsmarkt. (Foto: Whirlphoto/ Leithäusl)

Karriere mit Lehre

»Handwerk ist ein Beruf der Zukunft. Das muss verdeutlicht werden«, fordert GBH-Chef Muchitsch. Die meisten Arbeiten am Bau sind weder sehr schmutzig noch gehen sie an körperliche Grenzen. Es gilt, stereotype Rollenbilder ad acta zu legen und mehr Jugendliche mit dieser Botschaft zu erreichen. Hier ist sehr viel zu tun, denn die Zahl der Lehrlinge in Gewerbe/Handwerk hat sich seit 1980 von 102.051 auf 46.913 mehr als halbiert. Nicht nur Jugendliche müssen informiert werden, auch deren Eltern – für 70 Prozent kommt eine Lehre bereits in Frage. Im ländlichen Raum ist die Zustimmung mit 72 Prozent höher als im urbanen Raum mit 68 Prozent.

»Wer sich für eine Baulehre entscheidet, hat einen sicheren, gut bezahlten und abwechslungsreichen Job, wobei für junge Menschen das Einkommen nicht on top der Ziele steht, vielmehr Freizeit und Gesundheit«, zitiert Muchitsch die GBH-Studie »Zukunft Arbeitswelt«, für die 2.500 Menschen befragt wurden: Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen ebenso wie Lehrlinge, Berufsschullehrer*innen und Eltern. Änderungen braucht es laut der Studie dringend in der Ausbildung – gefordert werden mehr praxisbezogene Tage, sowohl in der Pflichtschule wie in allgemeinbildenden höheren Schulen.

Thomas Prigl, stellvertretender Direktor an der Berufsschule, verweist in dem Zusammenhang auf die lebende Werkstätte, die bei den unter 15-Jährigen sehr gut ankommt, auf die Initiative Hammerlehre und die Biwi-Wochen in Berufsschulen, die viele Schüler*innen aus den achten und neunten Schulstufen nutzen. Als weitere Maßnahme gegen den Fachkräftemangel wird eine frühere Berufsorientierung gesehen. Die dafür nötige höhere Flexibilität bei der Gestaltung des Lehrplans ist für Josef Muchitsch in Berufsschulen und BauAkademien vorstellbar. Ein Problem in der Lehrausbildung ist die erforderliche lange Zeitspanne bei der Erlassung neuer Schwerpunkte im Lehrplan.

»Die Arbeit am Image der Lehre ist ein nie enden wollendes Thema«, ist Thomas Prigl, BS Bau, überzeugt. (Foto: BS Bau)

»Von der Schaffung erster Arbeitskreise, der Fertigstellung der Verordnung bis zum Abschluss des ersten Lehrlings liegen mindestens drei Jahre«, erklärt Thomas Prigl. Für ihn ist vor allem das Berufsbild entscheidend. »Berufe sind nicht gleichartig, sie müssen aber als gleichwertig angesehen werden. Es darf keinen Nobelberuf geben«, betont er, nennt lobend die Kampagne »Bau Deine Zukunft« der BI Bau und verweist auf umgesetzte Ini­tiativen wie Berufsmessen, Schnuppertage, Betriebsbesuche, Job-Portale und Lehrlingscastings an den BauAkademien.

Frauenanteil fördern

Jugendliche für die Lehre zu begeistern, ist ein entscheidender Schritt, um den Pool an Fachkräften aufzubauen – dabei muss auch verstärkt auf Mädchen und Frauen geachtet werden. Im September 2022 lag der Frauenanteil der unselbständig Beschäftigten in Bauunternehmen bei gerade zwölf Prozent und fällt damit geringer aus als im gesamten Jobsektor mit 46 Prozent. Die Baubranche liege Frauen aber, das ist das Ergebnis zahlreicher Gespräche mit Baumeisterinnen. Man müsse nicht fokussiert arbeiten, es sind kreative, technische und organisatorische Anforderungen zu bewältigen. Die Technik von heute verlangt keine schwere körperliche Arbeit mehr.

Technologie und Innovation sind ein Treiber für eine Verringerung des Gender-Gaps im Bausektor. (Foto: Strabag)

»Es ist wichtig, Vorurteile und alte Denkmuster abzuwerfen«, fordert Nicole Walther, Projektleiterin bei FiT, Frauen in Handwerk und Technik und verweist auf das FiT-Förderprogramm, das es Frauen ermöglicht, sich über handwerkliche, technische und nicht-traditionelle Berufe zu informieren, um im Zuge dessen eine Ausbildungsförderung in Anspruch nehmen zu können. Die Erstinformationen erhalten Frauen ab 15 Jahren beim Verein Sprungbrett über das Projekt youngFiT, ab 19 Jahren im FiT-Zentrum Wien. Das gesamte FiT-Förderprogramm wird im Auftrag des AMS durchgeführt.

Blick über die Grenzen

Neben der Mobilisierung im Inland spricht Josef Muchitsch das ausländische Arbeitskräftepotenzial an. »Je früher wir beginnen, junge Menschen am heimischen Arbeitsmarkt zu integrieren, die unserer Sprache nicht ganz mächtig sind, desto früher stehen sie als vollwertige Arbeitskraft zur Verfügung. Wenn junge Menschen zwei Jahre auf einen Bescheid warten müssen, sind das zwei verlorene.«


Was tun gegen Fachkräftemangel?
Maßnahmen im Vergleich

GBH: Die Gewerkschaft Bau-Holz listet folgende Maßnahmen in der Ausbildung, um den Fachkräftemangel aktiv zu bekämpfen:

  • Aktualisieren des Lehrplans mit mehr praxisbezogenen Tagen sowohl in Pflichtschulen wie auch in allgemeinbildenden höheren Schulen
  • Beginn der Berufsorientierung spätestens in der 8. Schulstufe
  • Vorbereitungskurse zur Lehrabschlussprüfung
  • Zielgruppengerechtere Gestaltung von Berufsinformationen
  • Fördermöglichkeiten für Betriebe aufzeigen
  • Bewerbung der guten Work-Life-Balance

Josef Muchitsch, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft Bau-Holz. (Foto: GBH)

WKO: Gegen akuten Fachkräftemangel schlägt die Wirtschaftskammer unter anderem vor:

  • Nutzung von Online-Jobbörsen (eJob-Room des AMS, Lehrstellenbörse der WKO und AMS)
  • Überregionale Rekrutierung von Fachkräften in anderen Bundesländern
  • Europaweite Rekrutierung über die Jobplattform EURES
  • Rekrutierung von Personen im Ruhestand
  • Flexible Arbeitszeiten
  • Frühzeitige Planung von Karenzzeiten und Kinderbetreuung (z. B. Plattform www.kinderbetreuung.at)

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