Peter Sattler, Principal und Head of Green Transformation & Corporate Sustainability bei der Managementberatung Horváth befasst sich seit vielen Jahren mit Nachhaltigkeitsstrategien und Nachhaltigkeitsberichterstattung, die für die meisten größeren Unternehmen ab 2025 zur Verpflichtung wird. Er plädiert für ambitioniertes Handeln, aber auch mehr Gelassenheit.
Bis wann sollten sich Unternehmen gerüstet haben, um die verpflichtende Nachhaltigkeitsberichterstattung einhalten zu können?
Peter Sattler: Die wichtigste Botschaft zuerst: CSRD und EU-Taxonomie müssen von den meisten Unternehmen zum ersten Mal mit dem Geschäftsjahr 2025 berichtet werden. Bis dahin sind alle Daten verfügbar und messbar zu machen. Dementsprechend sind davor alle Anforderungen zu klären, um die Berichtsfähigkeit überhaupt herzustellen.
Wir empfehlen unseren Kunden, die Strukturen schon jetzt zu schaffen, damit es dann nicht zu Überraschungen kommt. Der Arbeitsmarkt ist knapp an Experten. Und auch bei den verfügbaren Leuten auf dem Markt muss man genau hinsehen: Wie viel Qualifikation oder Erfahrung ist tatsächlich vorhanden? Die Teilnahme an einem Uni-Kurs macht niemanden zum Nachhaltigkeitsprofi. Es ist zu erwarten, dass der Beratermarkt kurz vor der Berichtspflicht leergekauft sein wird. Wer also zuletzt kommt, den beißen die Hunde. Wir raten also klar dazu, schon jetzt mit den Vorbereitungen zu beginnen.
Wenn es um die Definition von Nachhaltigkeit geht, ist die Verwirrung groß. Wir sehen hunderte neue Begriffe, Akronyme und Zertifikate. Worauf wird es in den nächsten Jahren ankommen? Was ist Pflicht?
Sattler: Es gibt im wesentlichen zwei Anforderungen, die für nahezu alle größeren Unternehmen relevant sind: zum einen die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD). Sie regelt die Anforderungen an die nichtfinanzielle Berichterstattung für alle ESG-Dimensionen, also Umwelt, Gesellschaft und Governance. Demgegenüber steht die zweite große Berichtsanforderung, nämlich die EU-Taxonomie. Sie richtet sich insbesondere an Kapitalgeber der Unternehmen, also Investoren und Banken. Beide Anforderungen sollten rechtzeitig angegangen werden, also lieber heute als morgen.
Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl freiwilliger Standards, Ratings und Zertifkate wie zum Beispiel GRI, TCFD, SBTi oder EcoVadis. Bei diesen freiwilligen Anforderungen raten wir, Synergien mit den verpflichtenden Anforderungen sicherzustellen, um Mehraufwand zu vermeiden. Da ist die Frage zu stellen, welche freiwilligen Berichte dem Unternehmen tatsächlich helfen.
Als Berater muss ich festhalten, dass die Regulatorik Wirkung entfaltet, auch wenn es unangenehm ist. Viele Unternehmen, die sich sonst nicht mit dem Thema beschäftigt hätten, setzen jetzt konkrete Maßnahmen um, um wirklich nachhaltiger zu werden.
An den neuen Anforderungen kommt also niemand mehr vorbei. Ist das in den Vorstandsetagen schon angekommen? Und wer ist zuständig?
Sattler: Die Sensibilität in den Vorstandsetagen wächst. Das liegt daran, dass viele Unternehmen ihre Geschäftsmodelle an eine nachhaltige Welt anpassen oder manchmal auch komplett überarbeiten müssen. Zum anderen liegt das auch daran, dass selbst Unternehmen mit einem nachhaltigen Geschäftsmodell, wie zum Beispiel der Herstellung von Windrädern, nachhaltiger werden müssen. Das heißt also, sie müssen das Thema Sustainability in ihre Strategie aufnehmen, Ziele definieren, Maßnahmen festlegen, den Umsetzungsfortschritt mit KPIs messen – und darüber ihre Stakeholder im Rahmen des ESG-Reportings informieren.
Hinsichtlich der Zuständigkeit sehen wir unterschiedliche Ausprägungen. Es gilt wie bei jeder Organisationsform: Es gibt keine perfekte Organisation, nur eine passende. Unternehmen, deren Nachhaltigkeit stark von Kundenseite eingefordert wird, verorten das Thema oft beim CEO. Unternehmen, die eine komplexe technologische Transformation benötigen, nehmen oftmals den COO in die Verantwortung. Der CFO ist insbesondere dann hauptverantwortlich, wenn die Kapitalmarktkommunikation vorrangig ist. Einen eigenen Chief Sustainability Officer sehen wir in der Praxis noch selten. Eine Art »Chief Green Transformation Officer« wird sich aber in den nächsten Jahren stärker etablieren.
Reicht der aktuelle Headcount in den Unternehmen? Oder braucht es für die viele neuen Aufgaben weitere Mitarbeiter?
Sattler: Die Anzahl der benötigten Mitarbeiter ist von der Unternehmensgröße und dem Veränderungsbedarf abhängig. Zumeist sehen wir ein Kernteam mit vier bis acht Leuten, die an CSRD und EU-Taxonomie arbeiten und Geschäftsbereiche sowie Funktionen einbinden. Hier darf man sich keine Illusionen machen: CSRD und EU-Taxonomie sind keine Themen, die man an einem Freitagnachmittag erledigen kann. Darüber hinaus ist auch das Thema der Mitarbeiterqualifikation und -motivation zu erwähnen. ESG-Reporting ist mittlerweile eine äußerst komplexe Materie, ESG-Reporting-Experten werden überall händeringend gesucht.
Ein weiterer wichtiger Faktor wird die Automation der Datenbeschaffung und Datenbearbeitung im Nachhaltigkeitsbereich werden. Nachdem Unternehmen mit einer ungeheuren Anzahl an Datenpunkten arbeiten müssen, werden jene Unternehmen klar effizienter sein, die die richtigen Prozesse und Systeme installiert haben. Zudem können aus den nichtfinanziellen Daten, die im Rahmen des ESG-Reportings erfasst werden, zahlreiche wichtige Informationen abgeleitet werden, die auch für den ökonomischen Erfolg von Unternehmen sehr relevant sind, z. B. wenn man an Energie- und Ressourceneffizienz denkt.
Wie schaut die Zusammensetzung von ESG-Teams aus? Wer muss dabei sein und wer sollte dabei sein?
Sattler: Da können wir auf Erfahrungswerte zurückgreifen. Wichtig ist eine starke zentrale Steuerung. Viele Unternehmen lassen zu Beginn dezentrale Teams alleine arbeiten, die an der Komplexität der Materie verzweifeln, Anforderungen unterschiedlich interpretieren und Auslegungsspielräume unterschiedlich nutzen. Am Ende ist das Ergebnis nicht zufriedenstellend: Lange Projektdauer, nicht harmonisierte und vor allem nicht aggregierbare Daten. Das muss nicht sein. Ein zentrales Team muss hier klare Vorgaben machen: Welche Anforderungen sind verpflichtend, wie sind Anforderungen auszulegen, klare Zeitpläne etc. Selbst wenn man im Unternehmen verschiedene Geschäftsmodelle hat, ist dieser Ansatz zu empfehlen. Am Ende wird ja auch auf Gruppenebene berichtet.
Die Einbindung der dezentralen Einheiten, aber zentral gesteuert, macht natürlich Sinn. Die Daten werden ja dezentral gemessen bzw. kreiert. Beispielsweise für die Konformitätsprüfung im Rahmen der EU-Taxonomie ist die Einbindung der technischen Experten auf einer Standortebene unerlässlich. Relevante Funktionen für CSRD und EU-Taxonomie sind jedenfalls der Sustainability-Bereich, die Finanz, das Personalwesen, die Abteilung für Health & Safety, das Umweltmanagement, die Produktion und das Supply Chain Management. Je nach Unternehmen, Geschäftsmodell und materiellen Themen sind hier unterschiedliche Zusammensetzungen erforderlich.
Die Berichtsanforderungen sind teilweise noch nicht vollständig definiert. Wie sollten Unternehmen am besten damit umgehen?
Sattler: Es ist richtig, dass hier noch Anpassungen bevorstehen, bei der CSRD in den Details zu allgemeinen Anforderungen ebenso wie bei sektorspezifischen Anforderungen. Bei der EU-Taxonomie stehen die Bewertungskriterien für vier von sechs Umweltzielen aus. Darüber hinaus werden weitere Kriterien für Gesellschaft und Governance diskutiert.
Unabhängig von diesen Änderungen sollten sich Unternehmen rasch informieren, was mit den neuen, verpflichtenden Reportinganforderungen auf sie zukommt. Dabei geht es oft um die Basics in puncto Umweltmanagement, HR oder HSE, die Unternehmen jetzt nachziehen müssen. Wenn das geklärt ist, kann man einen Plan erarbeiten, wie man die geforderte Berichtsfähigkeit herstellen kann. Es braucht neue Prozesse, Systeme und Verantwortlichkeiten. Wer zu spät beginnt, wird das erste Jahr der neuen Berichtspflichten durchgehend mit Firefighting beschäftigt sein. Das kann durch rechtzeitiges Handeln vermieden werden.
Das Thema Nachhaltigkeit muss also breiter als bloß hinsichtlich des ESG-Reportings gedacht werden. Da sich auch die Geschäftsmodelle in zahlreichen Sektoren grundlegend verändern werden, gilt es jetzt, Übersicht zu bewahren und sich strategisch entsprechend auszurichten.
(Bilder: Christian Mikes, Horváth & Partners Österreich)