Im Interview mit dem Bau & Immobilien Report spricht Natalie Harsdorf-Borsch, interimistische Generaldirektorin der Bundeswettbewerbsbehörde BWB, über die Besonderheiten des Baukartells, die Anfälligkeit der Branche für Preisabsprachen und die reinigende Wirkung aufgeflogener Kartelle.
Titelbild: »Compliance ist eine tägliche Anstrengung. Es reicht nicht, so ein Kartell als Anlass zu nehmen und dann für ein paar Monate oder Jahre das Thema zu verfolgen«, sagt Natalie Harsdorf-Borsch. (Credit: BWB)
Die BWB untersucht viele Branchen. Aber noch nie wurden so hohe Geldbußen wie im Fall des Baukartells verhängt. Wie sind diese hohen Strafen zu erklären?
Natalie Harsdorf-Borsch: Die Wettbewerbsbehörde ist bei Kartellverfahren eine Anklagebehörde und Aufgriffsbehörde. Die tatsächlichen Bußen werden vom unabhängigen Kartellgericht, dem Landesgericht Wien, verhängt. Die BWB kann mit einem Antrag die Höhe der Bußgelder determinieren. Das Kartellgericht kann dieser Empfehlung folgen oder eine niedrigere Summe festlegen, keine höhere. Oder die BWB stellt einen Antrag auf angemessene Buße, dann ist das Gericht in der Höhe nicht gebunden.
Wie war das beim Baukartell?
Harsdorf-Borsch: Beim Baukartell haben die betroffenen Unternehmen im Ermittlungsverfahren oder im kartellgerichtlichen Verfahren entschieden, den Sachverhalt, so wie wir ihn ermittelt haben, anzuerkennen. In dem Fall wird das Bußgeld von der BWB konkretisiert und das Kartellgericht hat in keinem Fall einen Minderungsgrund gesehen.
Wie ist das aktuelle Baukartell in der Geschichte der BWB bzw. der Geschichte Österreichs einzuordnen?
Harsdorf-Borsch: Die BWB hat auch in der Vergangenheit große Kartelle aufgedeckt, etwa das Spediteurskartell oder das Aufzugskartell. Auch im Lebensmittelbereich gab es Kartelle mit Bußgeldern von rund 68 Millionen Euro. Aber das Baukartell ist von der Größenordnung her schon eine andere Kategorie. Wir reden von einem Zeitraum von über 15 Jahren, es war das gesamte Bundesgebiet und eine enorme Anzahl an Ausschreibungen und Vergaben betroffen.
Wie kann es sein, dass so ein großes Kartell mit so vielen Geschädigten so lange unentdeckt blieb. Gab es nie Verdachtsmomente?
Harsdorf-Borsch: Wie bei jedem Kartell geht es den Mitgliedern darum, unentdeckt zu bleiben. Da werden enorme Vorsichtsmaßnahmen getroffen, weil die Konsequenzen doch erheblich sind. Das reicht vom kartellrechtlichen Verfahren über möglichen Schadenersatz bis hin zum Reputationsschaden gegenüber Auftraggebern. Es ist immer gefährlich, wenn sich in einer Branche ein tradiertes, historisches Verständnis entwickelt, dass eine Praxis »normal« ist, obwohl es sich um ein rechtswidriges Verhalten handelt. Ich kann an Unternehmen und ihre Führungskräfte nur appellieren, so ein Verständnis zu hinterfragen. Denn die Konsequenzen des Handelns muss jedes Unternehmen und jeder Mitarbeiter selbst tragen.
Die vom Baukartell betroffenen Bauunternehmen haben sich kooperativ gezeigt. Die Unternehmensspitzen haben sich überrascht und schockiert gezeigt. Wie wahrscheinlich ist es, dass solche Absprachen komplett ohne Wissen des damaligen Managements stattfanden?
Harsdorf-Borsch: Unsere Ermittlungen sind nicht darauf ausgerichtet, die Tatbeiträge einzelner Mitarbeiter, egal auf welcher Ebene, zu identifizieren und zu gewichten. Wir müssen nachweisen, ob ein Unternehmen beteiligt war. Es ist aus unser Sicht enorm wichtig, dass die oberste Ebene im Unternehmen klar hinter dem Compliance-Programm steht.
Ist die Baubranche aus Ihrer Sicht anfälliger für Kartellbildungen und Preisabsprachen?
Harsdorf-Borsch: Anreize für die Bildung von Kartellen gibt es immer. Es ist aber sicher so, dass in einer Branche, in der es immer wieder darum geht, Aufträge an Land zu ziehen, die Marktteilnehmer bekannt und immer wieder dieselben sind, besondere Vorsichtsmaßnahmen in Richtung Compliance getroffen werden müssen.
Gibt es in der Geschichte Beispiele dafür, dass aufgeflogen Kartelle eine reinigende Wirkung für die Branche haben?
Harsdorf-Borsch: Es ist nicht Aufgabe der BWB, nach einem Verfahren ein laufendes Monitoring der Branche zu machen. Aber wir bekommen schon das Feedback, dass die Verfahren, die wir führen, eine große Signalwirkung in die Märkte haben. Auch gegenüber Unternehmen, die selbst gar nicht betroffen sind. Dazu kommt, dass Unternehmen, die schon einmal vom Kartellgericht verurteilt wurden, als Wiederholungstäter deutlich schwerere Strafen ausfassen.
Welche Erwartungen haben Sie an das neue Hinweisgeber*innenschutzgesetz?
Harsdorf-Borsch: Die BWB hat bereits ein funktionierendes Hinweisgebersystem. Natürlich sind Hinweisgeber hilfreich, wenn es darum geht, Verstöße aufzudecken. An der Art der Eingabe merken wir aber, dass es sich meist nicht um Einzelpersonen handelt, sondern sich etwa KMU an uns wenden, weil sie sich wettbewerbswidrigem Verhalten größerer Marktteilnehmer ausgesetzt fühlen.
Haben Sie Tipps für die Branche bzw. für die vom Kartell betroffenen Unternehmen, um solche Entwicklungen in Zukunft zu verhindern?
Harsdorf-Borsch: Compliance muss in jedem Unternehmen selbstverständlich sein und auch von ganz oben gelebt werden. Compliance ist eine tägliche Anstrengung. Es reicht nicht, so ein Kartell als Anlass zu nehmen und dann für ein paar Monate oder Jahre das Thema zu verfolgen. Da muss man immer dranbleiben und die Unternehmen dürfen in ihren Anstrengungen nicht nachlassen.
Passiert das aus Ihrer Sicht?
Harsdorf-Borsch: Dazu muss man sagen, dass die Verfahren noch nicht abgeschlossen sind. Einige große Unternehmen haben sich bereit erklärt, zu kooperieren. Es gibt aber noch zahlreiche Unternehmen mit offenen Verfahren. Es ist aber davon auszugehen, dass die Verfahren und die verhängten Bußgelder eine präventive Wirkung entfalten. Ich kann aber nicht gänzlich ausschließen, dass in einzelnen Bereichen weiterhin rechtswidrige Maßnahmen gesetzt werden. Wir werden auf jeden Fall weiterhin wachsam bleiben.
Wann werden Sie die Akte Baukartell endgültig schließen können?
Harsdorf-Borsch: Unser Zeitplan ist, den Großteil der noch offenen Unternehmen dieses Jahr vor Gericht zu bringen oder zumindest mit den Vorwürfen zu konfrontieren.
Hintergrund
Im Frühjahr 2017 hat die BWB im Rahmen ihrer Ermittlungen zu möglichen Absprachen in der Bauwirtschaft gemeinsam mit der WKStA Hausdurchsuchungen durchgeführt und dabei mehr als 70.000 Papierunterlagen und 57 TB an IT-Daten sichergestellt. Der Vorwurf der BWB lautete, dass im Rahmen des Baukartells zwischen den beteiligten Unternehmen Absprachen mit dem Zweck getroffen wurden, den Wettbewerb zu minimieren oder auszuschließen. Laut BWB kam es zu Preisabsprachen, Marktaufteilungen, zum Austausch wettbewerbssensibler Informationen sowie zur Bildung kartellrechtswidriger Arbeits- und Bietergemeinschaften.