Donnerstag, November 21, 2024

Mit ÖBB und Asfinag haben kürzlich zwei große Auftraggeber die zweistufigen Verhandlungsverfahren ihrer Allianzvertrag-Pilotprojekte erfolgreich beendet. Der Prozess war deutlich aufwändiger als bei klassischen Projekten und dauerte länger. Dennoch versprechen sich sowohl Auftraggeber als auch Auftragnehmer viele Vorteile. 

Titelbild: Beim Allianzvertrag-Pilotprojekt »Talübergänge Sieggraben« haben sich die zukünftigen Vertragspartner bereits in der Vergabephase gemeinsam intensiv mit der Optimierung, aber auch mit Chancen und Risiken des Projekts beschäftigt. Daraus erwartet sich die Asfinag Vorteile für die Umsetzungsphase. (Credit: Asfinag)

Tipp: Eine praktische Übersicht zu den Unterschieden im Vergabeverfahren finden Sie im vollständigen Artikel: Vergabeverfahren bei Allianzprojekten (PDF)

Rund ein Jahr lang dauerten die Vergabeverfahren bei den Allianzvertrag-Pilotprojekten »Talübergänge Sieggraben« der Asfinag und »Rohbaustollen Angath« der ÖBB. Das ist etwa dreimal so lange wie bei »klassischen« Projekten. Dennoch spricht keiner der Beteiligten von verlorener Zeit. Im Gegenteil: »Das ist ein gewonnenes Jahr«, ist Andreas Fromm, Geschäftsführer Asfinag Bau Management, überzeugt. »Die Zeit wurde genutzt, um das Projekt intensiv zu diskutieren und zu optimieren und die richtige Arbeitsgemeinschaft zu finden.« Auch bei der ÖBB sieht man die längere Verfahrensdauer positiv. »Das Vergabeverfahren dauert zwar länger, beinhaltet aber bereits Elemente der Qualitätssicherung der späteren Zusammenarbeit«, erklärt Sprecher Daniel Pinka. Bei der ÖBB kamen BeMo und das Habau Group Konzernunternehmen Östu-Stettin zum Zug, beim Asfinag-Projekt eine Bietergemeinschaft aus Habau und der federführenden Swietelsky.

Nicht euphorisch aber durchaus zufrieden, zeigt sich die Auftragnehmerseite. »Vergabeverfahren bei Allianzverfahren sind arbeitsintensiver und für den Auftraggeber sicher auch teurer. Im Hinblick auf das Gesamtprojekt erweist sich diese Vorgehensweise aber auf jeden Fall als sinnvolle Investition in eine erfolgreiche partnerschaftliche Projektumsetzung«, sagt August Weichselbaumer, designierter Österreich-Vorstand der Swietelsky AG, die beim Asfinag-Projekt bereits zum dritten Mal mit dem Partnerschaftsmodell arbeitet. ARGE-Partner Hubert Wetschnig, CEO Habau Group, lobt zwar das Verfolgen gemeinsamer Ziele und Interessen sowie die Transparenz bei der Vergütung, gibt aber auch zu bedenken, dass das »umfangreiche Ausschreibungs- und Vertragskonvolut in der Angebotsphase viele Ressourcen bindet und zusätzliche externe Kosten verursacht, deren Erstattung  vertraglich nicht vorgesehen ist«.

Ablauf und Besonderheit

Im Gegensatz zum offenen Vergabeverfahren bei klassischen Projekten wird bei Allianzprojekten ein zweistufiges Verhandlungsverfahren durchgeführt. Bei offenen Verfahren können unbegrenzt Bieter teilnehmen und Angebote abgeben. Den Zuschlag erhält – trotz herrschendem Bestbieterprinzip – in der Regel der Bieter mit dem billigsten Preis. Die Folgen sind häufig niedrigePreise und aggressives Claim-Management. Vergabeverfahren von Allianzverträgen haben ein anderes Ziel.

»Der Fokus liegt auf der Findung des besten Partners für ein gemeinsames Projekt. Nicht das billigste Angebot erhält den Zuschlag, sondern der Bieter, mit dem die besten Projektergebnisse erzielt werden können«, erklärt Daniel Deutschmann, Partner bei Heid und Partner Rechtsanwälte. Um diesen zu finden, kommt das zweistufige Verhandlungsverfahren mit vorheriger Bekanntmachung zum Einsatz. In Stufe 1 können sich wie beim offenen Verfahren alle Bieter beteiligen. »Aus den geeigneten Bietern, die einen Teilnahmeantrag abgegeben haben, werden auf Basis von vorher festgelegten Auswahlkriterien die besten drei bis fünf Bieter für die zweite Stufe ausgewählt«, so Deutschmann.

»Das Vergabeverfahren bei einem Allianzvertrag ist vergleichbar mit der Besetzung einer Managementposition in einem Unternehmen. Da werden die Personen ja auch auf Herz und Nieren geprüft und durchleuchtet und der Job nicht einfach an den Bewerber vergeben, der das günstigste Bruttojahresgehalt anbietet«, sagt Daniel Deutschmann, Heid und Partner Rechtsanwälte. (Bild: Heid und Partner Rechtsanwälte)

In Stufe 2 wird neben einigen Preisbestandteilen die Qualität des Bieters unter die Lupe genommen. Dies erfolgte durch Ausarbeitungen zu bestimmten im Projekt wesentlichen Themen, wie etwa Chancen- und Risiko-Budget und durch Workshops, in denen die technischen und sozialen Fähigkeiten der wichtigsten Personen des Bewerberteams geprüft werden (siehe Interview nächste Seite). Weiters werden auch Verhandlungen mit den Bietern durchgeführt, in denen zentrale Inhalte der Angebote und des Vertrages sowie der Ausarbeitungen besprochen werden. 

Tipp: Wie wichtig die psychologische Komponente bei Allianzprojekten ist, erklärt Josef Wegenberger von der Gesellschaft für Wirtschaftspsychologie und Organisationsdynamik – Unternehmensberatung im Interview. Er hat das Vergabeverfahren beim Projekt Sieggraben begleitet. Hier geht's zum Artikel: »Elf Superstars sind noch keine gute Mannschaft«

Das Vergabeverfahren »Talübergänge Sieggraben«

Bei Allianzprojekten findet schon in der Vergabephase ein intensiver projektspezifischer Austausch und eine intensive gemeinsame Bearbeitung des Projekts statt. »Das hat zu einem wechselseitigen besseren Projektverständnis, einer stabileren Ausschreibung und hoffentlich stabileren Umsetzungsphase geführt«, erzählt Fromm, der von einer konstruktiven Zusammenarbeit mit den Bietern und einer offenen, wertschätzenden Diskussionen und dem Bemühen, sich auf das neue Vertragsmodell einzulassen, berichtet. Der entwickelte Asfinag-Allianzvertrag stellte aber nicht nur die Auftragnehmer vor Herausforderungen.

»Trotz der im Vorfeld abgehaltenen Informationsveranstaltung und der durchgeführten Informationsrunden im Zuge des Verhandlungsverfahrens, mussten sich die Bieter aber auch wir als vergebende Stelle erst im praktischen Tun an den Vergabeprozess herantasten«, so Fromm. Die zweite große Herausforderung waren laut Fromm die preislichen Unsicherheiten der letzten Monate. Deshalb habe man sich auf Basis der konstruktiven Zusammenarbeit mit den Bietern entschieden, in diesem Pilotprojekt die »Preisgleitung« für die Umsetzungsphase aus der gemeinsamen Risikosphäre herauszunehmen, da sie für beide Seiten in der momentanen Situation ein schwer einzuschätzendes Risiko dargestellt hätte.

»Etwaige Unklarheiten werden gemeinsam im Zuge der Verhandlungsphase gelöst, Risiken werden zugeteilt und geregelt und sind somit keine traditionellen Störfaktoren in der Ausführungsphase«, sagt Hubert Wetschnig, Habau Group. (Credit: Joel Kernasenko/Habau Group)

Auch die Abkehr von gewohnten Denkmustern und Handlungsweisen ist für alle Projektbeteiligten ungewohntes Neuland. »Sich in Hearings und Rollenspielen dem Auftraggeber zu präsentieren, eine für beide Seiten akzeptable Risikobewertung zu finden oder das Prinzip ›best for project‹ durchgängig zu leben. Da müssen wir, aber auch der Bauherr, erst eine Routine entwickeln«, sagt Swietelsky-Vorstand Weichselbaumer.

Gar nicht einfach sei es laut Rechtsanwalt Deutschmann gewesen, ein System zu finden, die verlangten »Soft Facts« vergaberechtskonform zu beurteilen. »Workshops mussten vorbereitet und aufgesetzt werden. So etwas hat es ja davor noch nicht wirklich gegeben. Der Ablauf, die Aufgabenstellungen oder die Bewertungssystematik, das alles musste erst mit dem Auftraggeber erarbeitet werden.« Sowohl im Vergabeverfahren der Asfinag als auch der ÖBB hätte die Zusammenarbeit aber sehr gut funktioniert. »Das bedeutet aber nicht, dass es nicht auch harte Diskussionen gegeben hat. Aber das war sehr gut, da dadurch auch die Bedenken der Bieter geklärt werden konnten«, so Deutschmann.

Habau-Chef Wetschnig ist optimistisch, dass sich die Mühen und der zusätzliche Aufwand lohnen werden. »Durch die intensivere Auswahl- und Kennenlernphase der handelnden Personenkreise im Rahmen des Vergabeverfahrens ist im weiteren Projektverlauf von einem partnerschaftlicheren Umgang auszugehen. Deshalb sind aus meiner Sicht raschere und zielgerichtete Entscheidungsfindungs- und Streitbeilegungsprozesse aufgrund gleich gelagerter Interessen von Auftraggeber und Auftragnehmer zu erwarten«, so Wetschnig.

Tipp: Eine praktische Übersicht zu den Unterschieden im Vergabeverfahren finden Sie im vollständigen Artikel: Vergabeverfahren bei Allianzprojekten (PDF)

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