Sonntag, Dezember 22, 2024

Im Tiefbau spielt Building Information Modeling derzeit noch eine untergeordnete Rolle. Dabei wäre der zu erzielende Mehrwert groß, doch fast ebenso groß scheinen die Hürden und Stolpersteine.

Titelbild: Bei einem Straßenbauprojekt in Tschechien arbeitet die Strabag mit »BIM2Field«. Mit Augmented Reality wird das BIM-Modell direkt über die natürliche Landschaft gelegt. Das erzeugt einen stetigen Informationsfluss, erhöht die Planungsqualität und ermöglicht den Verzicht auf unzählige komplexe 2D-Papierbaupläne. (Credit: Strabag)

Dem Vergleich mit dem Hochbau hält der Tiefbau in Sachen BIM nicht stand. »BIM spielt hier keine vergleichbare Rolle«, weiß Jens Hoffmann, Zentralbereichsleiter Innovation & Digitalisation bei der Strabag. Die Wertschöpfungskette der Bauwerke sei stark fragmentiert und nur wenige Projekte würden überhaupt modelliert, obwohl der Mehrwert laut Hoffmann auf der Hand liegt. »Durch die entstehende Transparenz einer lückenlosen BIM-Planung können die generierten Daten über alle Bauphasen bis zum Betrieb von Tiefbauprojekten genutzt werden«, sagt Hoffmann und nennt als Beispiel Autobahnen.

Wartungsintervalle können genau geplant und Produktdatenblätter eingesehen werden. Das reicht von der Fahrbahnbeschaffenheit bis zur Verkehrstechnik. Dabei müssen die Daten so standardisiert sein, dass sie von Mensch und Maschine gleichermaßen gelesen und genutzt werden können »Unter anderem von Baumaschinen, die durch BIM-Daten vor Ort gesteuert werden«, so Hoffmann.

Beim Autobahnbetreiber und -errichter Asfinag kommt BIM seit 2016 zum Einsatz. Den Anfang machte eine dreijährige Pilotphase mit vier Projekten im Hoch- und Tiefbau. Die Erfahrungen dieser Pilotphase resultierten in der Entwicklung eines umfangreichen Digitalisierungsprogramms. Es wurden Dokumente und Vorgaben erstellt, um die BIM-Methodik im gesamten Lebenszyklus anwenden zu können, und Standards zur Erstellung einer Auftraggeberinformationsanforderung sowie Leitfäden zur Modellierung erarbeitet. Seither hat die Asfinag rund 30 weitere BIM-Projekte gestartet, mit denen die bisher erstellten Standards evaluiert und weiterentwickelt werden. »Unser Ziel ist es, mit Ende 2023 einen konsolidierten Unternehmensstandard in Bezug auf BIM zu haben«, erklärt Asfinag-Vorstand Hartwig Hufnagl.

Auch bei der ÖBB findet ein Wandel der Prozesse in Richtung BIM statt. »Mittel- und langfristig soll BIM in unsere Kernprozesse integriert werden«, sagt Sprecher Daniel Pinka. Dieser Integrationsprozess findet stufenweise statt und soll voraussichtlich im Jahr 2024 durchgehend ausgerollt werden. Vorteile erhofft man sich bei der ÖBB durch mehr Transparenz im Planungs- und Bauprozess und einem früheren Erkennen von Schnittstellenproblemen zwischen den Gewerken. »Den größten Mehrwert erwarten wir aber in der Betriebsphase der Anlagen durch ein besseres Datenmanagement und durch leichteres Auffinden und in Evidenz halten von relevanten Anlageninformationen«, so Pinka.

Einen Mehrwert kann BIM auch im Bereich der Verfahren liefern. Tiefbauprojekte werden schnell UVP-relevant. Hier kann BIM durch eine bessere Visualisierung der Projektinformationen eine positive Auswirkung auf die Akzeptanz des Projekts haben. »Dabei geht es aber nicht nur um die Visualisierung der Geometrie, sondern vielmehr um durchgängige nachvollziehbare Datensätze, die als Nachweis für die Einhaltung der Rahmenbedingungen dienen«, erklärt René Holzer, BIM-Experte bei FCP.

Die größten Hürden

Der Mehrwert von BIM ist auch im Tiefbau weitgehend unbestritten, ebenso unbestritten sind aber auch zahlreiche Hürden. Da ist zum einen der unvermeidliche Kulturwandel weg vom Analogen, hin zum Digitalen. Anders als im Hochbau fehlen im Tiefbau laut Asfinag aber auch leistungsfähige und für das jeweilige Anwendungsgebiet passende Software- und Dateiformatlösungen. »Insbesondere die speziellen Anforderungen des Tiefbaus bei Linieninfrastruktur in Bezug auf achsabhängige Geometrien und große Datenmengen sind in den derzeit vorhandenen Softwarelösungen noch nicht optimal gelöst«, heißt es seitens der Asfinag. Dazu komme, dass ein standardisierter offener Datenaustausch, wie er für öffentliche Auftraggeber sehr wesentlich ist, im derzeit vorhandenen IFC-Dateiformat für den Tiefbau nicht bzw. nur unzureichend implementiert ist.

Dem stimmt auch René Holzer zu. Der Datenaustausch im Infrastrukturbereich sei mangels der IFC Spezifikation noch nicht wirklich standardisiert. »Auch das Release von IFC4.3 wird uns kurzfristig keine Erleichterung bringen, da diese erst in die Software implementiert werden muss«, so Holzer. Auch für die ÖBB stellt die Standardisierung aufgrund der Heterogenität und Komplexität von Tiefbauprojekten eine zentrale Herausforderung dar. »Im Tiefbau sind Merkmalstämme, also die für BIM relevanten Bauteileigenschaften, noch nicht zur Gänze definiert. Dies ist jedoch bereits intensiv in Arbeit«, so Pinka, der die aktuelle Verfügbarkeit von passenden Softwarewerkzeugen ebenfalls als »ausbaufähig« betrachtet.

Jens Hoffmann sieht die größten Hürden in der »fehlenden Zusammenführung der Planungs- und Bauleistung und der Vielzahl an Schnittstellen«. Beseitigen ließen sich diese Hürden durch »partnerschaftliche Kommunikation und ein Commitment zur modellbasierten Planung aller Projektbeteiligten«. Von den Auftraggebern erwartet Hoffmann die Forderung nach einer integralen Planung und die klare Definition von standardisierten Anforderungen, wie Daten, Prozesse und Qualifikationen. »Wenn bereits im Ausschreibungsprozess mehr Wert auf die modellbasierte Planung gelegt wird, hat das Vorteile für alle Projektbeteiligten«, so Hoffmann.

Dem kann auch René Holzer etwas abgewinnen und wirft einen Blick über die Grenze. In Deutschland habe der »Stufenplan Digitales Planen und Bauen« auch im Tiefbau einen großen Schub gebracht. Das zeige, dass Vorgaben durchaus auch aus der Politik kommen können. »Das hat bei uns in Österreich so noch nicht stattgefunden«, so Holzer.


Innovation: Tunneltür mit Betonkern

Kirchdorfer Group, Elkuch Group und Biprotec GmbH haben eine neuartige Tunneltür mit Betonkern entwickelt und leisten damit einen wesentlichen Beitrag zur höheren Sicherheit in Tunnels. Mit dem Betonkern wird die Verformung im Brandfall verringert und die Ermüdungsfestigkeit verbessert.

Die Tunneltür mit Betonkern hält Temperaturen von bis zu 1.050 Grad Celsius zwei Stunden lang stand. (Bild: Kirchdorfer Gruppe)

Im Brandfall spielen die Dichtungen der Tunneltüren eine zentrale Rolle. Sie können ein Durchbrennen oder -rauchen in den sicheren Rettungstunnel verhindern. Durch die geringere Verformung der neuen Lösung mit Betonkern bleiben die Dichtungen länger intakt. Bisherige Versuche belegen eine Feuerwiderstandsklassifizierung von EI2120. Dieser Wert bestätigt, dass der Raumabschluss und die Wärmedämmung bei 1.050 Grad Celsius und einer Verweildauer von 120 Minuten immer noch erfüllt sind. Gerhard Rinnhofer, F&E Kirchdorfer Concrete Solutions, geht davon aus, »dass hier bei weitem noch nicht die Grenzen erreicht sind.« Biprotec Geschäftsführer Robert Binder »sieht in der Dauerhaftigkeit hinsichtlich Korrosion einen weiteren Vorteil der gemeinsam mit Kirchdorfer Concrete Solutions entwickelten Tunneltür mit Betonkern.«

Die Türblätter mit Betonkern werden bei der Kirchdorfer Concrete Solutions, der Betonfertigteilsparte der Kirchdorfer Group, produziert und von Elkuch zu einer komplexen Tunneltür mit Zarge komplettiert. Sie kommen erstmalig beim Great Belt Tunnel zwischen Slagelse mit Nyborg zum Einsatz. Dort sollen im Sommer 2023 die ersten 60 Tunneldoppelflügeltüren verbaut werden.


BIM: Mehrwert im Tiefbau

Die Asfinag hat bislang rund 20 Tiefbauprojekte mit BIM abgewickelt. Aus den gesammelten Erfahrungen werden die folgende zentralen Vorteile abgeleitet:

  • Schnittstellen zwischen den Gewerken (z. B. Straße und Brücke) werden besser veranschaulicht und Konflikte bzw. Kollisionen können bereits in einer sehr frühen Projektphase erkannt und gelöst werden.
  • Die Planungsqualität kann aufgrund der möglichen teilautomatisierten Geometrie- und Datenprüfung über den gesamten Planungsprozess hinweg deutlich gesteigert werden.
  • Der Abrechnungsprozess wird transparenter und einfacher gestaltet.
  • In weiterer Folge wird die Durchgängigkeit des Modells im Planungsprozess sowie die Überführung in ein Bestandsmodell für die Betriebsphase erstmalig einen konsistenten, einheitlichen und aktuellen Datenbestand über den gesamten Lebenszyklus einer Anlage erlauben. 

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