Mittwoch, November 20, 2024

Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 21.12.2022 ist die erste Entscheidung, die sich mit der Berechtigung von Mehrkostenforderungen eines Bauunternehmens aus den Covid-Schutzmaßnahmen im Frühjahr 2020 beschäftigt. Der Bau & Immobilien Report zeigt, welche Folgen das Urteil für die Branche hat. Von: Konstantin Pochmarski & Christina Kober, KPK Rechtsanwälte.

Am 15.03.2020 hat die österreichische Regierung ein Maßnahmenpaket beschlossen (»lockdown«), das ab 16.03.2020 massive Einschnitte in das berufliche und private Leben in Österreich verfügt hat. In den ersten Tagen nach Inkrafttreten bestand auf Baustellen große Unsicherheit, ob ein Weiterarbeiten überhaupt möglich ist und wenn ja, unter welchen Bedingungen und Schutzmaßnahmen gearbeitet werden darf. Diese Unsicherheit wurde durch den Maßnahmenkatalog der Sozialpartner »Bauarbeiten und Covid 19« vom 26.03.2020 etwas relativiert. In diesem wurden die Voraussetzungen und Maßnahmen dargelegt, unter welchen die Arbeit auf Baustellen zulässig war.

Auch wenn durch diese Maßnahmen die Weiterarbeit auf den Baustellen möglich wurde, stellte sich natürlich die Frage, ob die Kosten für die einzuhaltenden Maßnahmen vom Auftraggeber (AG) oder vom Auftragnehmer (AN) zu tragen wären. Zur Beantwortung dieser Frage muss vorweg beurteilt werden, welchen Vertrag die Parteien geschlossen haben. Liegt ein Individualvertrag vor, in welchem die Parteien schon Regelungen für »Seuchen« oder »Pandemien« oder sonstige Ereignisse der »höheren Gewalt« getroffen haben? Liegt ein »ABGB-Vertrag« vor, sodass § 1168 ABGB die »Sphärenaufteilung« regelt, ob also ein bestimmtes Ereignis nun in die Sphäre des AG oder AN fällt? Liegt ein »ÖNORM-Vertrag« vor, welcher auf Basis der ÖNORM B 2110 abgeschlossen wurde, sodass hier Punkt 7.2.1 zur Anwendung kommt? Zur Erleichterung von einvernehmlichen Lösungen wurde weiters ein unverbindlicher ÖBV-Leitfaden »Der bauvertraglich-bauwirtschaftliche Umgang mit den Auswirkungen von Covid-19« herausgebracht, der Möglichkeiten für eine einvernehmliche Regelung aufzeigte.

Der Richterspruch

Nun hat erstmals der Oberste Gerichtshof (OGH) dazu Stellung genommen, wie mit Mehrkosten aus Covid-Maßnahmen bei einem ÖNORM-Vertrag umzugehen ist. Anlassfall ist eine Forderung eines Bauunternehmens für aus der Covid-19-Pandemie resultierende Mehrkosten im Zusammenhang mit der Ausführung des Bauvorhabens, konkret Kosten für das Tragen von Schutzmasken und daraus resultierende Produktivitätsverluste, Mehrkosten der Unterbringung in Einzelzimmern und Kosten für Desinfektionsmaßnahmen.

Für den hier vorliegenden ÖNORM-Vertrag hält der OGH fest, dass die weit überwiegende Literatur argumentiert, dass die Folgen der Pandemie bei Vereinbarung und Anwendung der ÖNORM B 2110 grundsätzlich der Sphäre des Auftraggebers zugewiesen sind. In der vom OGH zitierten Literatur wird dies im Wesentlichen damit begründet, dass Punkt 7.2.1 der ÖNORM B 2110 abweichend von der gesetzlichen Regelung des § 1168 ABGB dem AG das Risiko für Ereignisse zuordnet, wenn diese Ereignisse zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht vorhersehbar waren und vom AN nicht in zumutbarer Weise abwendbar sind. Nachdem beide Voraussetzungen – nicht vorhersehbar, nicht in zumutbarer Weise abwendbar – für die Covid-Pandemie gelten, habe eben der AG die Folgen der Covid-Pandemie beim ÖNORM-Vertrag zu tragen.

Der OGH schließt sich dieser Lehre an und hält fest, dass das klagende Bauunternehmen daher beim ÖNORM-Vertrag grundsätzlich berechtigt ist, den Ersatz von Covid-19-bedingten Mehrkosten von der beklagten Auftraggeberin zu fordern. 

Ableitungen aus dem OGH-Urteil

Klargestellt wurde nun, dass durch Punkt 7.2.1 der ÖNORM B2110 das Risiko von Covid-bedingten Mehrkosten dem Auftraggeber zugewiesen wird. Ob damit alle in Zusammenhang mit Covid-19 einem AN entstehenden (Mehr-)Kosten vom AG abzugelten sind, ist damit aber nicht abschließend gesagt. Hier wird vermutlich eine Trennung zwischen den »baustellenbezogenen« Mehrkosten und rein »unternehmensbezogenen« Mehrkosten vorzunehmen sein. Solche »baustellenbezogenen« Mehrkosten wären etwa Kosten für die Anschaffung von MNS oder FFP2-Masken für die Bauarbeiter auf der Baustelle; die Kosten der Anschaffung für MNS oder FFP2-Masken für Büropersonal in der Verwaltung des Bauunternehmens werden demgegenüber nicht vom AG zu tragen sein.

Der OGH hält ausdrücklich fest, dass er mangels Vorliegens eines »ABGB-Vertrages«, also eines Bauwerkvertrages, in dem nicht die Anwendung der ÖNORM B 2110 vereinbart wurde,  in der Entscheidung keine ausdrückliche Aussage zur Auslegung des § 1168 ABGB und der darin vom Gesetzgeber getroffenen Sphärenzuordnung trifft. Weiters ist zu beachten, dass die Entscheidung bloß die im Frühjahr/Sommer 2020 viel diskutierten Corona-bedingten Mehrkosten durch Maskenpflicht, Einsatz von Desinfektionsmitteln, Entflechtung von Arbeitsplätzen, Reduktion von Personal in KFZ-Unterkünften, Sozialbereichen usw. behandelt, nicht aber die vor allem ab dem Jahr 2021 auch im Zuge der Coronakrise erfolgten Lieferengpässe und Preissteigerungen.

Hier bleibt abzuwarten, wie der OGH die Sphärenzuordnung nach § 1168 ABGB und spätere aus der Covid-19-Pandemie resultierende Folgen wie Preissteigerungen und Lieferengpässe beurteilen wird. Obwohl das Höchstgericht wie oben dargelegt die Berechtigung der Corona-bedingten Mehrkostenforderung des im Anlassfall klagenden Bauunternehmens bejaht, kommt es dennoch zur Abweisung der Klage. Die Begründung dafür ist im zweiten Teil der OGH-Entscheidung zu finden: Dieser zweite Teil enthält Aussagen des OGH dazu, wie detailliert ein AN eine Mehrkostenforderung behaupten und dann im Streitfall beweisen muss.

In einem Gerichtsprozess muss ein AN, der Klage auf Zahlung einer Mehrkostenforderung erhebt, zunächst jene Tatsachen behaupten, aus denen er seine Mehrkostenforderung ableitet. Im nächsten Schritt hat dann das Gericht über diese Behauptungen ein Beweisverfahren durchzuführen. Nur wenn es dem klagenden AN gelingt, die Tatsachen zur Begründung seiner Mehrkostenforderung auch gegenüber dem Gericht zu beweisen, kommt es zum Zuspruch. Der OGH hält dazu fest, dass für die erfolgreiche Geltendmachung von Mehrkostenforderungen die Behauptung und der Beweis durch den AN notwendig ist, welche konkreten Mehrkosten entstanden sind. Der AN hat die konkrete »Verkürzung« bzw. den konkreten »Nachteil« zu behaupten.

(Titelbild: iStock)

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