Der Auftragnehmer (AN) hat im Bauvertrag zwar primär seine eigenen Leistungen mangelfrei zu erbringen, jedoch trifft den AN auch eine werkvertragliche Warnpflicht gegenüber dem Auftraggeber (AG). Start der neuen Serie: »Prüf- und Warnpflichten«.
Gegenstand der Warnpflicht
Der AN ist für das Misslingen des Werkes infolge offenbarer Untauglichkeit des vom AG gegebenen Stoffes oder offenbar unrichtiger Anweisungen des AG für den Schaden verantwortlich, wenn er den AG nicht gewarnt hat (§ 1168a ABGB). Der Begriff des »Stoffes« ist weit auszulegen. Es fällt darunter alles, aus dem oder mit dessen Hilfe ein Werk herzustellen ist (im Bauvertrag vor allem beigestellte Materialien und Vorleistungen sowie Bausubstanz). Eine »Anweisung« liegt vor, wenn der AG die Art der Herstellung des Werks konkret und verbindlich vorgibt (im Bauvertrag vor allem zur Verfügung gestellte Ausführungsunterlagen, wie etwa Pläne, Gutachten etc. sowie ausdrückliche Anordnungen).
Eine Warnpflicht besteht nur dann, wenn die Untauglichkeit/Unrichtigkeit »offenbar« ist. »Offenbar« ist alles, was der AN bei der vorausgesetzten Sachkenntnis erkennen muss. Dabei ist er für die Anwendung der in seinem Beruf üblichen Sorgfalt i. d. R. als Sachverständiger (§§ 1299f ABGB) anzusehen, sodass er für die Sorgfalt eines Fachmannes seiner Profession nach den Regeln der Technik einstehen muss (objektiver Sorgfaltsmaßstab); auf subjektive Fähigkeiten oder Kenntnisse des AN kommt es nicht an.
Umfang der Prüfpflicht
Bei der Beurteilung des Sorgfaltsmaßstabs stellt sich regelmäßig die Frage, ob den AN auch eine Prüfpflicht trifft. In der werkvertraglichen ÖNORM B 2110 und B 2118 sind hierzu konkretisierende Bestimmungen enthalten (Pkt. 6.2.4.3). Demnach gelten Mängel, zu deren Feststellung umfangreiche, technisch schwierige oder kostenintensive Untersuchungen oder die Beiziehung von Sonderfachleuten erforderlich sind, nicht als erkennbar. Diese Regelung entspricht im Wesentlichen der Rechtsprechung. Es besteht daher eine eingeschränkte Prüfpflicht des AN, wobei die wirtschaftlichen Aspekte des Einzelfalles zu berücksichtigen sind. Bei der Warnpflicht handelt es sich um eine vertragliche Nebenpflicht des AN, die nicht gesondert vergütet wird. Überschreitet die notwendige Prüfung den wirtschaftlichen Rahmen, ist diese gesondert zu beauftragen und zu vergüten. Der AN ist nicht verpflichtet, auf eigene Kosten einen Spezialisten beizuziehen oder ein Gutachten einzuholen. Die Prüfpflicht (nicht aber die Warnpflicht) ist auf jene Stoffe und Anweisungen beschränkt, die die Leistungsbringung des AN betreffen.
Umfang der Warnpflicht
Der Umfang der Warnpflicht ist durchaus weit gefasst. Es ist nicht nur ein sachkundiger, sondern sogar ein sachverständig beratener/vertretener AG zu warnen. Die Warnpflicht entfällt nur dann, wenn ein Dritter den AG zum selben Sachverhalt bereits gewarnt hat oder die Untauglichkeit/Unrichtigkeit sogar für einen Laien leicht erkennbar ist. Den AN trifft zwar grundsätzlich nur im Rahmen seiner eigenen Leistungspflichten eine Prüf- und Warnpflicht. Er muss den AG aber auch warnen, wenn ihm aufgrund seines Fachwissens ohne besondere weitere Untersuchungen etwa auffällt, dass nicht sein Gewerk betreffende Vorleistungen technisch unrichtig erbracht oder allgemeine anerkannte Regeln der Technik verletzt wurden.
Fazit
Der AN hat bei offenbarer Untauglichkeit von Stoffen (im Bauvertrag vor allem beigestellte Materialien und Vorleistungen sowie die Bausubstanz) und bei offenbarer Unrichtigkeit von Anweisungen (im Bauvertrag vor allem Ausführungsunterlagen und ausdrückliche Anordnungen) zu warnen. Die Offenkundigkeit bestimmt sich i. d. R. nach dem objektiven Sorgfaltsmaßstab eines Fachmanns (Sachverständigenhaftung). Es besteht eine eingeschränkte Prüfpflicht hinsichtlich der die Leistungserbringung des AN betreffenden Stoffe und Anweisungen. Die Beiziehung externer Spezialisten ist nicht erforderlich. Der AN hat auch dann zu warnen, wenn ihm nicht sein Gewerk betreffende Mängel auffallen. Eine Warnung kann nur dann entfallen, wenn der AG bereits gewarnt wurde oder der Mangel für jedermann offenkundig ist.
Die Autoren
Katharina Müller ist Partnerin bei Müller Partner Rechtsanwälte mit den Beratungsschwerpunkten Baurecht, Claimmanagement und Konfliktlösung.
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Mathias Ilg ist Juniorpartner bei Müller Partner Rechtsanwälte und spezialisiert auf Baurecht, Claimmanagement und Konfliktlösung.
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