Dass die Baubranche nicht unbedingt zu den forschungsintensivsten Wirtschaftszweigen zählt, ist bekannt. Dennoch wird an Universitäten, bei Auftraggebern und Auftragnehmern immer wieder an neuen Prozessen und Produkten geforscht. Ihren Weg in die Praxis finden die erhofften Innovationen über Pilotprojekte. Der Bau & Immobilien Report hat sich umgehört und stellt elf aktuelle Pilotprojekte vor, die sich auf neues Terrain wagen.
Projektname: Village im Dritten
Projektbeteiligte: ARE Austrian Real Estate
Aufgabenstellung: Bauplatzübergreifende Energieversorgung
Beschreibung: Gemeinsam mit Wien Energie hat die ARE Austrian Real Estate ein neuartiges Energiekonzept für die insgesamt 22 Baufelder des Stadtquartiers »Village im Dritten« entwickelt. Im Fokus steht die Nutzung von lokal vorhandenen, erneuerbaren und klimafreundlichen Ressourcen. So viel Energie wie möglich soll direkt vor Ort im Village produziert und auch dort verbraucht werden. Die bauplatzübergreifende Planung der Energielösung ist so europaweit einzigartig.
Geplant ist ein Gesamtkonzept für die Wärme-, Kälte- und Stromversorgung der Gebäude. Rund 500 Tiefensonden ermöglichen die Nutzung von Erdwärme und dienen als Speicher für Abwärme. Außerdem bieten sie die Möglichkeit zur Temperierung, also der moderaten Abkühlung sämtlicher Wohnungen. Zusätzlich tragen Photovoltaikanlagen zur lokalen Stromversorgung bei. Durch die Kombination eines eigenen Anergie-Netzes, Tiefensonden, Wärmepumpen und Photovoltaikanlagen sollen dabei so viele lokale und erneuerbare Energiequellen wie möglich genutzt werden. Die optimale Nutzung und Verteilung der Energie vor Ort unterstützt das Start-up Ampeers Energy mit seiner Software zum Lastmanagement der Anlagen und für die Abrechnung.
Projektname: Strabag Bürozubau Hausleiten
Projektbeteiligte: Strabag, Peri
Aufgabenstellung: Das erste 3D-gedruckte Gebäude Österreichs
Beschreibung: Beim 3D-Druckprojekt der Strabag in Hausleiten kam ein Portaldrucker von Peri zum Einsatz. Bei dieser Technik bewegt sich der Druckkopf über drei Achsen auf einem fest installierten Metallrahmen. Der Vorteil: Der Drucker kann sich an jede Position innerhalb der Konstruktion bewegen und muss nur einmal kalibriert werden.
Der 3D-Drucker trägt das Druckmaterial schichtweise auf, wodurch Wände entstehen. Durch das Herstellen von zwei parallelen Druckbahnen entsteht eine Hohlwand, die mit Ortbeton hinterfüllt wird und statisch als tragendes System wirkt. Bei der Außenwand wird durch das Drucken einer weiteren, außen vorgesetzten Druckbahn ein weiterer Hohlraum geschaffen und mit Wärmedämmmaterial ausgefüllt.
Das Fazit: 3D-Druck bietet dort, wo er technisch und finanziell eingesetzt werden kann, mehrere Vorteile: Die maximale Druckgeschwindigkeit des in Hausleiten eingesetzten BOD2 Portaldruckers liegt bei einem Meter pro Sekunde und verkürzt die Bauzeit deutlich. Darüber hinaus ermöglicht der 3D-Druck Gestaltungsfreiräume gegenüber dem klassischen Betonbau, wie z. B. architektonisch ansprechende abgerundete Formen.
Projektname: Brückenmonitoring »IN«
Projektbeteiligte: Asfinag
Laufzeit: ab 2022 laufend
Aufgabenstellung: Verformungs- und Temperaturmessung einer Brücke
Beschreibung: Die Terfener Innbrücke auf der A12 Inntalautobahn musste aufgrund statischer Probleme nach 50 Jahren erneuert werden. Im Zuge dessen erfolgte der baubegleitende Einbau von Hüllrohren und Lichtleiterkabeln zur Verformungs- und Temperaturmessung in der neuen Brückenkonstruktion der Richtungsfahrbahn Kufstein. Alle eingebauten Lichtleiterkabel münden in einem Messgerät, dem »Interegator« in der Brücke, der die Dehnungen und zugehörigen Temperaturen entlang der Lichtwellenkabel in der Brücke misst und auf einen Asfinag-Server überträgt.
Ein digitaler Zwilling übernimmt die Messdaten und visualisiert den aktuellen inneren statischen Zustand der Brücke hinsichtlich Kräfte und Verformungen. Über das innere Monitoring können somit Veränderungen des Bauwerks über die Zeit dargestellt werden. Mit diesem Monitoringsystem erhält das Asset Management der Asfinag die gesamte statische Bauwerksgeschichte und somit ein weiteres Instrument zur Beurteilung der Brücke.
Zur Eichung des Monitoring-Systems wurden nächtliche Belastungsversuche mit 40-Tonnen-LKWs durchgeführt, die in verschiedenen Laststellungen auf der Brücke positioniert wurden.
Projektname: City Remixed
Projektbeteiligte: TU Graz; Institut für Architekturtechnologie & Institut für Materialprüfung und Baustofftechnologie
Laufzeit: November 2021 bis Oktober 2022
Aufgabenstellung: Identifizierung der Wiederverwendungs- und Verwertungspotenziale des Gebäudebestands in Graz
Beschreibung: Das Ziel von City Remixed ist es, Wiederverwendungs- und Verwertungspotenziale des Grazer Gebäudebestands zu identifizieren, um die Transformation des Bausektors der Stadt in Richtung Kreislaufwirtschaft einzuleiten. Die Stadt Graz wird als ein geschlossenes Ressourcensystem betrachtet und der bestehende Gebäudebestand in Form eines digitalen 3D-Modells aufbereitet und analysiert. Anhand von Metadaten (Bauteilart, Baustoff, Einbauzeitpunkt etc.) werden die Wiederverwendungs- und Recyclingpotenziale der Bauteile und Materialien untersucht sowie Unternehmen, Hersteller oder Labore und Prüfinstitute ermittelt, die für diese Prozesse notwendig sind.
Aus den möglichen Bauteil- und Materialströmen ergeben sich Erneuerungsszenarien sowie Modelle zur Wiederverwendung von Bauteilen- bzw. Elementen wie auch Baustoffen. Resultierende Erkenntnisse und Auswirkungen auf das Bauwesen werden hinsichtlich einer »Green Transformation« für die Akteure eines nachhaltigen Bauens (die Stadt Graz, Investoren, Planer*innen und Bewohner*innen) aufbereitet.
Projektname: Autobahnmeisterei Eisenstadt
Projektbeteiligte: Leyrer + Graf, Asfinag
Laufzeit: April 2022
Aufgabenstellung: 3D-Fräsensteuerung bei Asphaltierungen
Beschreibung: Ziel des Projekts waren der Abtrag und die Wiederherstellung der Asphaltdecken- und Tragschicht des Lagerplatzes mittels einer 3D-gesteuerten Asphaltfräse bei der Autobahnmeisterei Eisenstadt. Die Bestandsaufnahme erfolgte mit einer Drohne und Bodenpasspunkten, die mit einer Totalstation vor der Befliegung eingemessen wurden. Die Bestandsoberfläche wurde via Punktwolke analysiert und das Fräsmodell unter Betrachtung von weiteren Rahmenbedingungen wie Bestandsanschlüssen in Civil3D erstellt. Nach einer entsprechenden Setup-Phase funktionierte die 3D-Fräsensteuerung reibungslos.
Betrieben wurde die Fräse mit sogenannten Differenzfräsen, weshalb es eine detaillierte Ermittlung der Bestandsoberfläche braucht. Diese kann mit der Drohne aber relativ einfach und selbst im laufenden Betrieb erfolgen. Darüber hinaus ist eine detaillierte Planung der Soll-Oberfläche erforderlich. Nach diesen Vorbereitungsschritten kann die Fräse weitestgehend autonom arbeiten. Die 3D-Fräsensteuerung ermöglicht geringere Fräsmengen sowie den Verzicht auf die Nachbehandlung einer komplett entfernten Asphaltschicht. Sie sorgt für ein qualitativ hochwertigeres Endprodukt und eine lückenlose Dokumentation.
Projektname: Prüfanlage für Brückenseile
Projektbeteiligte: TU Wien
Aufgabenstellung: Größte Drahtseil-Prüfanlagen der Welt
Beschreibung: An der TU Wien wurde ein völlig neues Prüfverfahren für Brückenseile entwickelt: Man spannt das Seil in eine tonnenschwere Vorrichtung ein und bringt es bei seiner eigenen Resonanzfrequenz zum Schwingen. So kann es bis zu dreißigmal pro Sekunde wechselnd belastet werden – damit erhält man statt in Monaten bereits im Lauf eines einzigen Tages zuverlässige Daten über das Dauerschwingverhalten.
Bei jedem einzelnen Belastungszyklus wird das Seil fünf Millimeter gedehnt, dann wird es um zehn Millimeter kürzer, bevor es wieder seine Ausgangslage erreicht. Im Anschluss an den Dauerschwingversuch wird das Seil mit einer kaum vorstellbaren Kraft von 42 Meganewton belastet, um die Tragfähigkeit des Prüfkörpers zu bestimmen – das entspricht der Gewichtskraft von rund 50 Eisenbahnlokomotiven oder knapp tausend Elefanten.
Projektname: ECI-Projekt mit Partnering-Phase
Projektbeteiligte: BIG
Aufgabenstellung: Anwendung von Early Contractor Involvement bei einem Bestandsobjekt
Beschreibung: Die Generalsanierung eines Bestandsobjekts im dritten Wiener Gemeindebezirk wird von der BIG als ECI-Projekt mit Partnering-Phase als GU+Modell umgesetzt. Von der frühen Einbindung der Erfahrungen der Bauausführenden schon in der Entwurfsplanung erwartet sich die BIG einen konstruktiven und befruchtenden Diskurs zwischen Planung und Ausführung, insbesondere betreffend Architektur, Baukonstruktion und technischer Abwicklung. Dadurch soll eine Optimierung und erhöhte Sicherheit im Ablauf des Termin- und Kostenmanagements erreicht werden.
Dank ECI sollen schon in der Partnering-Phase gemeinsam die Risiken erhoben und optimierte Lösungen entwickelt werden. So soll gemeinsam abgestimmt werden, wo Bauteilöffnungen sinnvoll sind, um Bestandsrisiken und deren Auswirkungen auf die Statik besser abschätzen zu können. Dasselbe gilt auch für die Logistik, den Bauablauf und die Abstimmung mit dem Denkmalamt.
Projektname: Die digitale Autobahn
Projektbeteiligte: Asfinag
Laufzeit: 2024 bis 2029 (Bauzeit)
Aufgabenstellung: Komplette BIM-Planung eines Autobahnabschnitts
Beschreibung: Die zweite Etappe der Linzer Autobahn A26 ist das erste Tiefbau-Großprojekt Österreichs, das vollständig in BIM geplant wird. Schon in der frühen Phase der Ausschreibungsplanung zeigen sich laut Asfinag die großen Vorteile gegenüber einer herkömmlichen Planung. Die einzelnen beauftragten Planer*innen können interdisziplinär direkt am Modell arbeiten, besprechen und Lösungen entwickeln, wodurch der Zyklus von Planungsänderungen und deren Einarbeitung enorm verkürzt wird. Weiteren Projektbeteiligten wie Einbautenträgern, Projektbetreibern von angrenzenden Bauvorhaben etc. können Schnittstellen anschaulich präsentiert werden. Dies vereinfacht den Abstimmungsprozess über komplexe Sachverhalte und trägt entscheidend zur Problemlösung und zur wirtschaftlichen Planung der Baumaßnahmen bei.
Basierend auf der Auftraggeber-Informationsanforderung (AIA) wurde das Leistungsbild BIM auch in die Leistungsbilder der Planer eingebunden. Zusätzlich wurde auch ein sogenannter BIM-Gesamtkoordinator beschaffen, der – ähnlich einer Projektsteuerung – den digitalen Zwilling auf Seiten des Auftraggebers steuert, kontrolliert und weiterentwickelt. Der digitale Zwilling soll auch in Bau und Betrieb verwendet werden.
Projektname: CO2 max
Projektbeteiligte: Salzburg Wohnbau, Deisl Beton, Christian Ehrensberger GmbH, Bautechnische Versuchs- und Forschungsanstalt Salzburg, Neustark
Aufgabenstellung: Bindung von CO2 in Recycling Beton
Beschreibung: Beim Projekt »CO2 max« wird eine neue Technologie zur CO2-Injektion und Bindung im Herstellungsverfahren für Recyclingbeton mittels einer mobilen Demonstrationsanlage erprobt. Dabei wird CO2 der Luft entzogen und dauerhaft in recyceltem Beton gespeichert. Zunächst wird Betonabbruch zu Betongranulat zerkleinert und anschließend mit CO2 versetzt. Der Beton bindet das Kohlendioxid in den feinen Poren seiner Substanzoberfläche. Das veredelte Betongranulat wird der Produktionskette für frischen Beton zugeführt und ersetzt dort Sand und Kies. Das veredelte Granulat weist außerdem Eigenschaften auf, die bei der Betonproduktion weniger Zement und damit weniger CO2-Emissionen notwendig machen. So entsteht ein Beton, der teilweise aus Recyclingmaterial gewonnen wird, CO2 gebunden hat und zudem Emissionen reduziert.
Projektname: S31 Neubau Talübergänge Sieggraben
Projektbeteiligte: Asfinag
Laufzeit: 2023 bis 2026 (Bauzeit)
Aufgabenstellung: Prüfung der Einsatzmöglichkeiten des Allianzvertrags
Beschreibung: Mit der ÖBB und der Asfinag haben zwei der wichtigsten Auftraggeber des Landes Pilotprojekte zum erstmaligen Einsatz des Allianzvertrags laufen. Die Asfinag setzt den Neubau der Talübergänge Sieggraben an der S31 als Allianzmodell um, die ÖBB den Neubau des Rohbaustollens Angath, einem Begleitstollen des zweigleisigen Angerberg-Bahntunnels.
Grundsätzlich geht es beim Allianzvertrag darum, die Interessen der Vertragspartner auf einen gemeinsamen Projekterfolg nach dem Prinzip »best for project« zu fokussieren. Dies geschieht im Wesentlichen über eine gemeinsame Risikosphäre, in der der Großteil der Risiken gemeinsam getragen wird – und weiters über ein Vergütungsmodell, in welchem beide Vertragspartner am Projekterfolg partizipieren. Ziel dieser Modelle ist es, ausführende Unternehmen stärker miteinzubinden. Durch das »Gleichschalten« von Interessen im Rahmen der Umsetzung der Baumaßnahme – in Form von Bonus-Malus-Regelungen für Kosten, Qualität und Termine – soll eine konfliktärmere aber dennoch wirtschaftliche Abwicklung ermöglicht werden.
Pilotprojekt Asfinag
Grundsätzlich hat die Asfinag mit den ÖNORM-Verträgen in den vergangenen Jahren sehr gute Erfahrungen gesammelt. Für die überwiegende Anzahl der Projekte wird dieser »klassische« Vertrag laut Asfinag auch weiterhin das richtige »Werkzeug« darstellen. Dennoch seien Grenzen erkennbar. Bei bestimmten großen und vor allem komplexen Projekte sind Risiken oft schwer einschätzbar. Vor allem ein wechselseitiges Intensivieren von Claim- und Anticlaimmanagement kann sich kontraproduktiv für den Projekterfolg auswirken sowie beträchtliche Ressourcen binden. Deshalb wird beim Neubau von vier je 400 Meter langen Brücken an der S31 jetzt der Allianzvertrag eingesetzt.
Im Gegensatz zum klassischen Allianzvertrag Infrastruktur handelt es sich bei der Asfinag-Variante um einen Werkvertrag. Zwischen der Asfinag und dem Auftragnehmer wird keine Gesellschaft gegründet. Die Vergütung erfolgt nach dem »Open book«-Prinzip, wobei die Kosten der Herstellung getrennt von den »Zuschlägen« zu betrachten sind. Beide Vertragspartner sollen gleichermaßen am Projekterfolg oder Misserfolg partizipieren. Es entstehen echte Win-win- oder Lose-lose-Situationen. Die Grundlage dafür sind im Vergabeverfahren definierte Zielkosten bzw. Zielpreise. Sobald gesicherte Erkenntnisse aus dem Vergabeverfahren vorliegen, sollen weitere Projekte starten.
Projektname: Neubau Rohbaustollen Angath
Projektbeteiligte: ÖBB-Infrastruktur AG
Laufzeit: 2022 bis 2025
Aufgabenstellung: Prüfung der Einsatzmöglichkeiten des Allianzvertrags
Pilotprojekt ÖBB
Auch bei den ÖBB liegt die Idee eines Allianzvertrag-Pilotprojekts schon länger am Tisch. Mit dem Neubau des Rohbaustollens Angath geht man nun auch erstmals in die Umsetzung. Zum Einsatz kommt der klassische Allianzvertrag Infrastruktur. Sämtliche das Projekt betreffende Entscheidungen werden gemeinsam in einer unternehmensähnlichen, hierarchischen Organisationsstruktur getroffen.
Die mit dem Projekt in Zusammenhang stehenden Risiken werden in drei Sphären aufgeteilt: jene des Auftragnehmers, jene des Auftraggebers und in eine gemeinsame Risikosphäre, die den überwiegenden Teil der Risiken beinhaltet. Die Vergütung erfolgt über ein Cost-Plus-Fee-Modell und eine Bonus-Malus-Regelung, durch welche der Auftragnehmer an der Projektperformance partizipiert. Für den Fall von Unstimmigkeiten ist ein mehrstufiger Konfliktlösungsprozess – mit dem Ziel einer partnerschaftlichen Problemlösung am Entstehungsort – vorgesehen.
Derzeit befindet sich das Projekt in der Ausschreibungsphase. Anfang 2023 soll mit dem Bau des Stollens begonnen werden.