Claim- und Anticlaim-Management haben auch bei den ÖBB der einen oder anderen Projektabwicklung empfindlich geschadet. Beim Bau des Rohbaustollens Angath setzt man deshalb erstmals auf das Allianzmodell. Trotz des noch sehr frühen Projektstadiums stimmen die ersten Ansätze und Erkenntnisse positiv.
Hier: Allianzvertrag-Link (bitte klicken) finden Sie den vollständigen Artikel - inklusive eine Zusammenstellung der Rechtsexperten von Heid und Partner zu Besonderheiten, Vor- und Nachteilen von Allianzverträgen speziell im Bereich Infrastruktur.
Der neue rund 14,4 km lange Eisenbahntunnel zwischen Schaftenau und Radfeld ist Teil des zweiten Ausbauschritts der Unterinntalbahn. Dafür wird in einem ersten Schritt ab 2023 ein 2,6 km langer Begleitstollen des zukünftigen zweigleisigen Angerberg-Bahntunnels errichtet. Der Stollen dient während des Tunnelbaus der Baustellenlogistik und wird nach Fertigstellung als Rettungs- und Servicestollen zum Einsatz kommen.
Die Besonderheit des Projekts findet sich weniger auf baulicher Ebene als vielmehr in der Vertragsgestaltung. Der Rohbaustollen Angath ist das erste Projekt der ÖBB, das als Allianzvertrag-Pilotprojekt umgesetzt wird. Damit zieht die ÖBB mit der Asfinag gleich, die mit dem Projekt S31 Sieggraben aktuell ebenfalls einen Allianzvertragspiloten am Laufen hat.
Das Interesse am Allianzvertrag ist bei der ÖBB nicht neu. Die Idee eines Pilotprojekts geistert schon länger durch die Köpfe. »Große und komplexe Infrastruktur-Bauprojekte sind nur bedingt planbar. Das daraus resultierende Claim- und Anti-Claim-Management kann sich negativ auf die Projektabwicklung auswirken«, spricht Reinhold Hödl, Leiter Projektumsetzung ÖBB-Infrastruktur AG, einen gewissen Leidensdruck an, von dem praktisch alle Auftraggeber berichten, die sich für ein Allianzprojekt entscheiden.
Mit der Anwendung des Allianzmodells will die ÖBB dieser Situation entgegensteuern und weitere Erfahrungen mit alternativen Vertragsmodellen sammeln. »Ziel ist, neue Wege als Alternative zu bauvertraglichen Regelungen gemäß ÖNORM und der dabei hinterlegten Annahme einer vollständigen Planbarkeit des Projektumfeldes zu beschreiten«, erklärt Hödl.
Allianzverträge als partnerschaftliche Vertragsmodelle
Zum Einsatz kommt der klassische Allianzvertrag Infrastruktur (siehe Kasten). Begleitet wird das Projekt von Daniel Deutschmann von Heid und Partner Rechtsanwälte. »Gerade bei Tunnelbauprojekten sind der Eintritt von Risiken und damit verbundene notwendige Änderungen aufgrund unvorhersehbarer Einflüsse aus dem Umfeld des Bauwerkes bzw. der geologischen Untergrundverhältnisse die Regel und nicht die Ausnahme«, erklärt Deutschmann. Deshalb seien Tunnelbauprojekte das idealtypische Anwendungsgebiet für Allianzmodelle.
Beim Projekt »Rohbaustollen Angath« werden sämtliche das Projekt betreffenden Entscheidungen gemeinsam in einer unternehmensähnlichen hierarchischen Organisationsstruktur getroffen. Die mit dem Projekt in Zusammenhang stehenden Risiken werden in drei Sphären aufgeteilt, jene des Auftragnehmers, jene des Auftraggebers und in eine gemeinsame Risikosphäre, die den überwiegenden Teil der Risiken beinhaltet.
Die Vergütung erfolgt über ein Cost-Plus-Fee-Modell und eine Bonus-Malus-Regelung, durch welche der Auftragnehmer an der Projektperformance partizipiert. Für den Fall von Unstimmigkeiten ist ein mehrstufiger Konfliktlösungsprozess – mit dem Ziel einer partnerschaftlichen Problemlösung am Entstehungsort – vorgesehen.
Interesse der Bauwirtschaft
Derzeit befindet sich das Projekt in der Ausschreibungsphase. Der Auswahlprozess ist laut Deutschmann so aufgebaut, dass der beste Partner für die gemeinsame Umsetzung dieses Projektes gefunden wird, eine »klassische Bestbietervergabe«. Trotz des noch sehr frühen Projektstadiums hat die ÖBB schon erste Erkenntnisse gewonnen. »Schon bei der Einleitung des Vergabeverfahrens haben wir festgestellt, dass auch auf Seiten der Bauwirtschaft großes Interesse am Thema Allianzvertrag besteht«, so Hödl.
Ähnliche Erfahrungen hat auch Deutschmann gemacht. »Aktuell gibt es in Österreich sieben Großprojekte, die mit Allianzverträgen umgesetzt werden. Das zeigt das große Interesse an einer partnerschaftlichen Projektabwicklung und einen damit verbundenen Kulturwandel in der österreichischen Bauwirtschaft.«
Dennoch werde es noch eine Zeit lang dauern, bis Allianzverträge den »Pilotschuhen« entschlüpfen und zu einem standardisierten Vertragsmodell werden. »Dafür müssen die Projekterfahrungen und Ergebnisse der abgeschlossenen Projekte ausgewertet und in einem iterativen Prozess in die Verträge der Pilotprojekte eingearbeitet werden«, so Deutschmann.
Die Arbeiten für die Vorbereitung der Baustelleninfrastruktur und die Baustelleneinrichtung werden voraussichtlich noch bis Ende dieses Jahres dauern, danach soll mit dem eigentlichen Stollenbau begonnen werden.