Sonntag, November 24, 2024
Gallisches Dorf Bauwirtschaft

Die Bauwirtschaft zeigt sich seit Beginn der Coronakrise von ihrer besten Seite. Wie das berühmte Dorf in Gallien hört sie nicht auf, sich gegen die Krise zu wehren. Schon 2021 wurde das Vorkrisenjahr 2019 übertroffen, für 2022 ist weiteres Wachstum prognostiziert. Aber einige Risiken und Unsicherheiten bleiben.


Die österreichische Bauwirtschaft hat ein ziemlich turbulentes Jahr hinter sich. Die Unternehmen mussten sich neben der Pandemie mit Materialknappheit, langen Lieferzeiten und enormen Preissteigerungen herumschlagen, durften aber auch über eine enorme Nachfrage und Rekordauftragsbestände jubeln. Die Porr verzeichnete Ende 2021 einen Auftragsbestand von 7,8 Milliarden Euro, was einem Plus von über 14 Prozent entspricht. Die Strabag sitzt auf einem Polster von über 21 Milliarden Euro, ebenfalls ein Plus von rund 14 Prozent.

Auch abseits der großen Industriebetriebe können die Bauunternehmen laut Robert Jägersberger, Bundesinnungsmeister der Bundesinnung Bau, zufrieden sein. Laut der letzten Umfrage der KMU-Forschung Austria erwarteten 22 Prozent der Baubetriebe eine Steigerung der Aufträge für das letzte Quartal 2021, nur neun Prozent befürchteten einen Rückgang. Kopfzerbrechen bereiten allerdings die sinkenden Gewinnmargen und die volatilen Rohstoffpreise. »Das hat zu der paradoxen Situation geführt, dass Bauunternehmen trotz voller Auftragsbücher finanzielle Einbußen hinnehmen mussten«, so Jägersberger. 



Robert Jägersberger, Bundesinnung Bau: »Der enorme Preisanstieg bei Baumaterialien hat zu der paradoxen Situation geführt, dass Bauunternehmen trotz voller Auftragsbücher finanzielle Einbußen hinnehmen mussten.«

Nicht viel anders erging es den Zulieferbetrieben und Baustoffherstellern. »2021 war ein sehr gutes Jahr, vor allem in Hinblick auf die Volumina«, sagt Georg Bursik, Geschäftsführer von Baumit Österreich. Von Preissteigerungen und Problemen bei der Rohstoffversorgung blieb aber auch Baumit nicht verschont, so dass am Ende des Jahres ein deutlich höherer Umsatz als 2020 steht, das Ergebnis aber in etwa gleich geblieben ist. 

Während es bei der Versorgung mit regionalen Produkten wie etwa mineralischen Baustoffen keine Probleme gab, waren Baustahl oder auch Holz nur schwer verfügbar und deutlich teurer als in der Vergangenheit. Davon wiederum konnte ein Ziegelhersteller wie Wienerberger profitieren. »Viele Häuslbauer und Baumeister, die ursprünglich mit Holz oder mit Beton und Stahl bauen wollten, sind während der letzten Monate aufgrund der mangelnden Verfügbarkeit der Rohstoffe auf Ziegel umgestiegen«, erklärt Johann Marchner, Geschäftsführer von Wienerberger Österreich.



 Georg Bursik, Baumit: »2021 war hinsichtlich der Volumina ein sehr gutes Jahr. Auch die Rohstoffversorgung hat sich im zweiten Halbjahr normalisiert.«

2021 belieferte Wienerberger rund 30 Prozent mehr Baustellen als im Jahr davor. Durch die gestiegen Nachfrage kam es aber auch zu längeren Lieferzeiten. »Auf diese Entwicklung haben wir sehr rasch unter anderem mit einer Investition von mehr als 500.000 Euro in den Standort Hennersdorf reagiert. Damit konnten wir die dortige Produktionskapazität kurzfristig um fünf Prozent und mittelfristig um 15 Prozent steigern«, so Marchner. Außerdem konnte man auf das internationale Produktionsnetzwerk der Wienerberger Gruppe zurückzugreifen und Ziegel aus anderen Produktionsländern auf den heimischen Markt bringen.



Johann Marchner, Wienerberger »Während Holz und Stahl im Jahr 2021 Preisanstiege im hohen zweistelligen Prozentbereich verzeichneten, haben wir bei Wienerberger unsere Preise nur moderat angepasst.«

Große Verzögerungen gab es hingegen bei vielen Dämmstoffen. »Viele Kunden haben auf Vorrat gekauft. Das hat die Knappheit noch verstärkt«, erklärt Bursik. Erst im Herbst hat sich die Lage deutlich entspannt, weil die Lager voll waren und die Nachfrage zurückgegangen ist. Auch Porr-CEO Karl-Heinz Strauss führt das gute Jahresergebnis der Porr unter anderem darauf zurück, dass man sich bereits 2020 mit vielen Baumaterialien eingedeckt habe und deshalb die enormen Preisanstiege 2021 auffangen konnte. 

Um die Baufirmen bei der Bewältigung von Preissteigerungen und Lieferengpässen zu unterstützen, setzen die Interessenvertretungen mehrere Maßnahmen, darunter etwa Gutachten mit rechtlichen Anhaltspunkten, welche Risiken von welchem Vertragspartner zu tragen sind, oder ein Leitfaden mit Empfehlungen für den Umgang mit Preisveränderungen und Lieferengpässen. »Ich möchte den Firmen ans Herz legen, sich diese Ratgeber zunutze zu machen und anhand der Erfahrungen aus 2021 künftig zu kalkulieren und anzubieten«, empfiehlt Bundesinnungsmeister Jägersberger.


Ausblick 2022

Laut WIFO sind die Bauinvestitionen 2021 um 5,4 Prozent auf 48,3 Milliarden gestiegen. Damit liegt die Branche schon wieder über dem Vorkrisenjahr 2019 mit 47,5 Milliarden Euro. Für 2022 rechnet das WIFO mit einem weiteren Anstieg auf 49,5 Milliarden Euro. »Die Bauwirtschaft floriert derzeit wie selten zuvor und die Stimmung ist viel besser, als man allgemein erwartet«, ist auch Karl-Heinz Strauss überzeugt, der die Bauindustrie über die nächsten drei bis fünf Jahre als große Gewinnerin sieht, weil sie »im Vergleich zu anderen Wirtschaftssektoren stabil durch die Krise gekommen ist«.



Karl-Heinz Strauss, Porr: »Die Bauwirtschaft floriert derzeit wie selten zuvor und die Stimmung ist viel besser, als man allgemein erwartet.« (Bild: Astrid Knie)

Neben dem an sich hohen Auftragsbestand merke man bereits positive Auswirkungen durch die Förderprogramme der Regierungen und der Europäischen Union. Zudem ist Strauss überzeugt, dass sich der Rohstoffmangel und die Lieferengpässe spätestens nach dem zweiten Quartal deutlich verbessern werden.

Auch Wienerberger-Chef Marchner blickt optimistisch ins Jahr 2022: Die Produktionskapazitäten wurden erhöht und der Marktführer wird in Summe Ziegel für mehr als 15.000 Dächer (+20 %) und Wandziegel für mehr als 23.000 Einfamilienhäuser (+11,7 %) produzieren. Baumit-Geschäftsführer Bursik geht ebenfalls von einem guten Jahr 2022 aus, auch wenn Preissteigerungen weiterhin ein Thema sein werden. »Aber nicht so stark wie 2021.«

Robert Jägersberger hofft ebenfalls, dass sich die Materialpreise einpendeln werden, befürchtet aber, das werde auf hohem Niveau passieren. Aber zumindest hätten die Baufirmen dann endlich wieder Planungssicherheit. »Wir sind schließlich Kostenkalkulanten und richten uns nicht nach eventuell erzielbaren Marktpreisen aufgrund der hohen Nachfrage«, so Jägersberger.

Befragt nach den größten Wachstumshürden wird durch die Bank der Fachkräftemangel genannt. Dazu kommen die hohen Energiekosten (siehe auch das Interview mit Andreas Pfeiler, Geschäftsführer Fachverband Steine-Keramik - für Link hier klicken!). Die Gaspreise haben sich innerhalb eines Jahres versiebenfacht, der Strompreis vervierfacht.

In Deutschland werden Kohle- und Atomkraftwerke abgedreht, was das Angebot weiter verknappen wird. Nicht nur Georg Bursik stellt offen die Frage, ob der Staat nicht regulierend eingreifen müsste, um den Umstieg auf grüne Energie zu finanzieren. Auch die CO2-Bepreisung wird sich auf die Kosten und damit auch auf die Baupreise auswirken. »Die Kosten entstehen in alle Richtungen – angefangen bei Energie über Material bis zum Transport. Außerdem steigen jedes Jahr die Löhne und Gehälter. Billiger wird Bauen leider nicht«, ist Jägersberger überzeugt.


Erwartungen an 2022

Prominente Branchenvertreter*innen im O-Ton:

»Gut begründeter Optimismus mit einigen Fragezeichen«
Erich Frommwald, Geschäftsführer der Kirchdorfer Gruppe



»Ich sehe einer positiven Entwicklung der Baubranche für das Jahr 2022 entgegen. Die Überhitzung speziell im ersten Halbjahr 2021 wird sich jedoch nicht wiederholen. Mit den gefüllten Auftragsbüchern unserer Kunden ist auch unsere Auslastung im Zement-, Transportbeton-, Kies- und Betonfertigteilbereich gesichert. Getrieben wird das Wachstum weiterhin vom boom­enden Wohnungsmarkt und ehrgeizigen Infrastrukturprojekten.

Es gibt allerdings Unwägbarkeiten, die zu einem Störfeuer werden können, z. B. die explodierenden Kosten u. a. im Energiebereich und etwaige Probleme bei den Lieferketten. Letztere können neben Preissteigerungen auch zu Verzögerungen führen. Ungewiss ist auch, wie sich die aktuelle Corona-Omikron-Lage auf die ohnehin bereits angespannte Personalsituation auswirken wird.«

»2021 wird Spuren hinterlassen«
Simone Oberndorfer, Geschäftsführerin Oberndorfer



»Im Zuge der bevorstehenden Umsetzung des ›Green Deals‹ wird einiges auf die Gesamtwirtschaft sowie auf den Bausektor zukommen. Die Zielsetzungen der Baubranche werden noch mehr Richtung nachhaltigerem Bauen und Agieren streben. Hier wird es speziell in Richtung Wiederverwendung von Materialien, Ressourcenschonung, Reduktion des Flächenverbrauchs und des Energieeinsatzes gehen.

Seit Frühjahr 2021 ist eine Preisrallye im Bereich der Rohstoffpreise zu beobachten, seit Herbst 2021 zusätzlich im Bereich der Energiekosten. Diese Entwicklungen werden auch 2022 ihre Spuren hinterlassen. Eine weitere Herausforderung stellt sich am Arbeitsmarkt dar. Die Babyboomer-Generation verabschiedet sich in die Pension, die Nachbesetzungen werden zunehmend schwieriger, somit werden die Themen Nachhaltigkeit und Digitalisierung ganz hoch oben stehen.«

»Herausforderungen bleiben bestehen«
Walter Wiedenbauer, Geschäftsführer Sto



»Wir erwarten für das Jahr 2022 keine großen Änderungen – viele Herausforderungen bleiben bestehen: Die Nachfrage nach Baumaterialien ist anhaltend stark und muss bedient werden. Der Preisdruck auf Fertigprodukte wird sich noch verschärfen, weil die CO2-Bepreisung sich niederschlägt, die Rohstoffe teurer werden und die Transportkosten steigen. Bei den Rohstoffen kommt auch noch eine angespannte Versorgungssituation hinzu. Darüber hinaus führen fehlende Fachkräfte zu einer angespannten Lage im Bereich des Personalmanagements. 2022 wird also eine wirtschaftliche Herausforderung, die wir jedoch durch eine innovative Produktstrategie und nachhaltige Unternehmensführung hervorragend meistern werden.«

»Vielversprechende Auftragslage«
Hubert Wetschnig, CEO Habau Group



»Wir als Habau Group blicken optimistisch auf das kommende Jahr. Trotz Lieferengpässen und den hohen Materialpreisen, durften wir uns auch im vergangenen Jahr über eine hohe Nachfrage freuen und auch für 2022 bleibt die Auftragslage vielversprechend. In der Digitalisierung beschäftigen wir uns weiterhin stark mit BIM und digitalen Apps und Tools, die unentbehrlich für eine effiziente Arbeitsweise geworden sind. Themen wie Nachhaltigkeit und ESG gewinnen auch in der Bauwirtschaft stark an Bedeutung und sind Teil unserer Unternehmensstrategie für 2022. Auch der ›War for Talents‹ ist längst in der Baubranche angekommen – hier setzt die Habau Group einen verstärkten Fokus mit vielfältigen Angeboten.«

»Wird Zement ein Luxusgut?«
Berthold Kren, CEO Lafarge Österreich



»Laut den Prognosen des Wirtschaftsforschungsinstituts WIFO steht unsere Volkswirtschaft am Beginn einer Aufschwungphase, die durch eine hohe Investitionsdynamik und hohen privaten Konsum gekennzeichnet ist. Auch dem Bauwesen prognostiziert das WIFO überdurchschnittlich starkes Wachstum im Jahr 2022. Unsere internen Erwartungen gehen von einem guten ersten Halbjahr aus, da viele Auftragsüberhänge noch aus 2021 mitgenommen werden können.

Allerdings geben die enorm hohen Strompreise sowie die gestiegenen Kosten für CO2 mehr als Anlass zur Sorge. Hier sehen wir mittlerweile seit Monaten eine Situation mit einer Vervierfachung des Durchschnittsstrompreises und in Spitzenzeit bis zum Achtfachen der noch vor einem Jahr üblichen Preise. Die Strompreise bleiben tendenziell auch längerfristig sehr hoch.

Aufgrund der milden Wintertemperaturen, die praktisch keinen Rückgang in der Zementnachfrage erkennen lassen, sehen wir den Aufschwungsprognosen mit Spannung entgegen. Die Versorgung der Märkte wird ähnlich spannend wie im Vorjahr, eventuell auch noch verschärft durch Lieferketten- und Transportprobleme aufgrund von Covid.«

»Bau als treibender Faktor der Konjunktur«
Josef Gasser, geschäftsführender Gesellschafter der Lieb Bau Unternehmensgruppe



»Die konjunkturelle Lage in der Bauwirtschaft ist trotz der tiefen Einschnitte durch die Coronapandemie vergleichsweise gut. Die Bauwirtschaft wird auch in diesem Jahr – wie schon seit Anbeginn der Pandemie – ein treibender Faktor der Konjunktur bleiben. Nach wie vor wird in erheblichem Umfang in den Neubau und die Sanierung von Wohngebäuden investiert, was die Baukonjunktur maßgeblich stützt.

Der ›Green Deal‹ und die damit einhergehende Ökologisierung werden die Bauwirtschaft 2022 – und auch in den kommenden Jahren – maßgeblich prägen. Der dadurch angestoßene Wandel des gesamten Bauwesens wird verstärkt durch eine fortschreitende Digitalisierung, die künftig in allen Bereichen – von der Planung über die Vermessung bis hin zu den Maschinen – um sich greift. Eine gewaltige Herausforderung unserer Branche bleibt der Arbeiter- bzw. Fachkräftemangel, der bei weiterhin ausbleibenden wirtschaftspolitischen Maßnahmen zum Flaschenhals der Konjunktur avancieren wird.«

 

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