Im Interview mit Report(+)PLUS spricht Andreas Pfeiler, Geschäftsführer Fachverband Steine-Keramik, über das richtige Augenmaß bei umweltpolitischen Vorgaben, sinnvolle Maßnahmen gegen die explodierenden Energiepreise und Strategien für eine erfolgreiche Zukunft.
(+) plus: Wie ist 2021 für die Mitglieder des Fachverbands Steine-Keramik gelaufen? Sowohl bei den Bau-als auch den Industriezulieferern?
Andreas Pfeiler: Das letzte Jahr war sehr zufriedenstellend mit Umsatzzuwächsen in fast allen Bereichen. Der Bau ist auf jeden Fall sehr gut gelaufen, aber auch die Industriezulieferer haben sich erholt. Da gab es Branchen wie die Schleif- oder die Feuerfestmittelindustrie, die großen Aufholbedarf hatten. Aber natürlich steigen Umsätze auch dann, wenn die Energie oder Produkte, die man einkaufen muss, teurer werden. Ein Umsatzplus bedeutet noch lange keinen Gewinnzuwachs.
(+) plus: Wo waren die Teuerungen am stärksten spürbar?
Pfeiler: Bei regional verfügbaren Rohstoffe wie Schotter oder Kies sind die Preise stabil geblieben. Aber die Betonbranche ist abhängig vom Baustahl, der wiederum in der Produktion auf Vorprodukte und internationale Lieferketten angewiesen ist. Diese Lieferketten haben sich durch die Pandemie verschoben. Das führt zu Engpässen. Dasselbe gilt für Aluminium, das ich für die Ständerwände von Gipskartonplatten brauche. Da haben sich die Preise im letzten Jahr verdoppelt. Das macht in Summe das Bauen teurer.
Dämmmaterialen wie XPS oder EPS wiederum sind stark vom Energieeintrag geprägt. Wird die Energie teurer, steigen auch die Produktpreise. Fakt ist auch, dass umweltpolitische Bestrebungen dafür sorgen, dass unsere Produkte im energieintensiven Bereich teurer werden. Klimaschutz und die Energiewende müssen bezahlt werden. Der Bau steht am Beginn der Wertschöpfungskette, das spüren die Leute.
(+) plus: Am Umweltthema gibt es kein Vorbeikommen mehr. Kein Thema, mit dem man die Hersteller mineralischer Baustoffe zwangsläufig in Verbindung bringt. Wie stehen Ihre Unternehmen zu diesen Themen?
Pfeiler: Da ist das Spektrum sehr breit. Es gibt jene, die von Ängsten getrieben sind, weil sie die Kosten fürchten. Das sind oft kleinere Unternehmen, denen tatsächlich die Finanzkraft für eine Umrüstung fehlt. Es gibt aber auch zahlreiche Vorreiter, die mit Leuchtturmprojekten zeigen wollen, was möglich ist. Aber das Bekenntnis zum Klimaschutz ist unstrittig. Kein Mensch in unserer Branche wird sagen, dass ihm egal ist, was in 50 Jahren auf unserem Planeten los ist. Jeder stellt sich dem Thema, eben auf seine Weise. Was wir brauchen, ist der richtige Weg, um ein Ziel wie die Klimaneutralität zu erreichen.
Unsere Aufgabe als Interessenvertretung ist es, gemeinsam mit der Politik und den Unternehmen einen Korridor zu finden, durch den möglichst viele gehen können. Vielleicht schaffen es nicht alle, aber das Ziel muss sein, so viele wie möglich ans Ziel zu bringen, um damit weiterhin das Grundbedürfnis nach einem Dach über dem Kopf stillen zu können.
(+) plus: Finden Sie mit Ihren Anliegen bei der Politik Gehör?
Pfeiler: Wenn ich ehrlich bin: Wir finden zu wenig Gehör. Wir leben in einer Welt, in der nur noch Dogmen zählen und man sich nicht mehr auf Kompromisse einigen kann und will. Man hört dem Gegenüber ja gar nicht mehr zu. Es geht nur mehr darum, wer recht behält und nicht, wer die Wahrheit spricht. Es geht darum, zu gewinnen.
(+) plus: Dabei sitzt doch Leonore Gewessler, eine ehemalige Global-2000-Geschäftsführerin, mit der der Fachverband eng zusammen gearbeitet hat, im Umweltministerium.
Pfeiler: Das Umweltministerium hat einen ganz klaren Fokus. Das ist der Klimaschutz. Und das ist auch gut so. Mein Fokus sind machbare wirtschaftliche Rahmenbedingungen. Leider kommen wir in der Diskussion bislang nicht so weit, dass wir uns auf einen Kompromiss einigen könnten.
Umweltpolitische Ziele können wir aber nur gemeinsam erreichen. Es gibt ja auch das Paradoxon, dass wir zwar weg wollen von der fossilen Energie, aber Umweltaktivisten gegen ein geplantes Biomassekraftwerk im Süden Wiens mobil machen, weil es Rauch erzeugt. Es will auch jeder Energie aus Windkraft, aber die Windräder sollen bitte woanders stehen. Das ist das alte Motto: »Not in my backyard.«
(+) plus: Da sind wir auch beim Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz EAG…
Pfeiler: Ganz genau. Ich finde es super, dass fünf zusätzliche Terrawattstunden aus der Wasserkraft kommen sollen. Das Donaukraftwerk Freudenau produziert ein Terrawatt. Das heißt, wir brauchen fünf Kraftwerke in dieser Größenordnung bis 2030. Ich bin schon gespannt auf das erste Verfahren, wenn es darum geht, mit Zement und Beton ein neues Kraftwerk zu errichten. Dazu wird es sicher eine Protestbewegung geben.
Bis 2030 ist das völlig illusorisch. Es braucht realistische Ziele. Und wenn man sich dazu bekannt hat, muss man auch die Umsetzung ermöglichen. Überbordende Ziele, die nicht erreicht werden, werden irgendwann nicht mehr ernst genommen. Und wir als Wirtschaft brauchen Planbarkeit und entsprechende Rahmenbedingungen. Es ist auch toll und richtig, wenn man in Deutschland Atom- und Kohlekraftwerke vom Netz nimmt. Aber wenn ich keine Alternativen habe, ist die Frage, wie der ständig steigende Energiebedarf gedeckt werden soll.
(+) plus: Die Energiepreise sind in den letzten Monaten enorm gestiegen. Was kann man machen, um die derzeitigen Energiepreise abzufedern?
Pfeiler: Unsere energieintensiven Unternehmen brauchen dringend Unterstützung durch die Politik. Die derzeitigen Energiepreise vor allem für Gas haben sich innerhalb des letzten Jahres versiebenfacht und treiben einige an den Rand ihrer finanziellen Möglichkeiten; trotz guter Auftragslage und erfolgreichem Wirtschaftsjahr. Wenn nicht rasch etwas unternommen wird, werden schon in Kürze mehrere Betriebe schließen müssen oder zumindest ihre Produktionen temporär stilllegen.
Abhilfe könnte ein »Einfrieren« des Gaspreises für einen begrenzten Zeitraum sein, Frankreich wählte z. B. dieses Instrument. Im Stromsektor wäre die Aufhebung der Trennung der Strompreiszone zwischen Österreich und Deutschland ein wichtiger Schritt. Derzeit kostet der Strom hierzulande bis zu 30 Prozent mehr als in Deutschland. Zusätzlich sollte national endlich vom EU-Beihilfenrecht Gebrauch gemacht werden, um die ETS-Strompreiskompensation zu ermöglichen. Derzeit bezahlen die ETS-Unternehmen nämlich für ihr prozessbedingtes CO2 und zusätzlich für jenes, das der Energieversorger weitergibt.
Das Energiethema ist auch stark geopolitisch getrieben, da wir ja bekanntlich hierzulande nicht über die ausreichenden Energievorkommen verfügen und unsere Produktionsprozesse mit Erneuerbaren – derzeit zumindest – nicht kontinuierlich bedienen können. Die in Europa eingeläutete Energiewende ist sicher ein wichtiger Schritt. Wir müssen aber step-by-step denken.
Man kann fossile Energieträger ablehnen, aber dann brauchen wir ausreichende Alternativen. Ich heiße es nicht gut, auf fossile Energieträger zu setzen, aber ohne echten Alternativen geht es nicht anders. Mit dem Finger auf energieintensive Unternehmen zu zeigen und deren Verbrauch von fossiler Energie anzuprangern, ist erst dann zulässig, wenn grüne Energie am Werkstor verfügbar ist. Das ist mittelfristig jedoch unrealistisch.
(+) plus: Mit diesen Argumenten müsste man doch auch in der Politik Gehör finden?
Pfeiler: Das sollte man meinen, aber ich befürchte, dass es für unsere Position noch wenig Verständnis gibt.
(+) plus: Müssten Sie lauter sein? In der WKO gibt es ja durchaus auch Beispiele für sehr lautes Lobbying?
Pfeiler: Vielleicht, aber es ist nicht immer hilfreich, weil wir als Wirtschaftsvertreter ohnehin ins Eck der Bewahrer und »Betonierer« gestellt werden. Es fehlt vielfach einfach das Verständnis dafür, dass Klimaschutz nur durch Innovation von Unternehmen ermöglicht wird. Nur mit Verboten und Einschränkungen werden wir den Wandel weder bewerkstelligen noch finanzieren.
(+) plus: Die Auftragsbücher vieler Unternehmen sind voll, die Nachfrage ist hoch. Aber Sie haben die hohen Energie- und Rohstoffpreise angesprochen, dazu kommen Themen wie Fachkräftemangel oder Inflation. Was sind die größten Hürden für ein nachhaltiges Branchenwachstum im Jahr 2022?
Pfeiler: Auf jeden Fall der Fachkräftemangel. Der wird sich auch noch weiter verschärfen. Und das nicht, weil wir schlechte Gehälter zahlen. Aber die Branche ist für junge Menschen anscheinend nicht attraktiv genug.
(+) plus: Auch nicht jetzt, wo man sieht, dass der Bau deutlich besser durch die Krise kommt als andere Branchen?
Pfeiler: Das schon, aber ein Touristiker wird nicht über Nacht ein Betontechnologe. Viele wollen auch nicht auf die Baustelle gehen. Am Bau und bei den Bauzulieferern lässt sich gut verdienen, aber man muss diese Jobs auch wollen. Eine weitere Hürde ist die Verfahrenslänge bei vielen Projekten, die eigentlich startklar sind. Aber auch hier gilt oft: »Not in my backyard«. Keiner will eine Baustelle in seiner Umgebung. Man weiß oft schon gar nicht mehr, wie man argumentieren soll, weil alles abgelehnt wird. Aber wenn man gegen alles ist, ist das für mich ein Zeichen, dass man eine Gesellschaft destabilisieren will. Ich bin für jede Diskussion zu haben, es braucht aber auch Kompromissbereitschaft.
Auch umweltpolitische Vorgaben machen das Bauen natürlich teurer. Der Umweltschutz muss schließlich finanziert werden. Aber auch hier gilt: Nur mit Ausgewogenheit kommen wir ans Ziel. So sehen etwa die Kriterien der nachhaltigen Beschaffung vor, dass bei Asphaltstraßen zehn Prozent Alt-Asphalt eingebaut werden muss.
Das ist grundsätzlich eine gute Idee, aber was mache ich, wenn am Ort meiner Mischanlage kein Alt-Asphalt zur Verfügung steht? Nehme ich für die Erreichung eines gut gemeinten Umweltziels zusätzlichen Verkehr in Kauf? In solchen Fällen helfen strikte Kriterien keinem weiter, schon gar nicht der Umwelt. Die Optimierung in eine Richtung hat noch selten zu dauerhaftem Erfolg geführt.
(+) plus: Mit welcher allgemeinen Entwicklung am Bau rechnen Sie für das Jahr 2022? Mit welcher Entwicklung für die Baustoffindustrie?
Pfeiler: Ich glaube schon, dass 2022 ein gutes Jahr wird. Es gibt eine enorm hohe Inflation, deshalb wird viel Geld in Immobilien oder die Verbesserung des Eigenheims fließen. Die Flucht in das Betongold wird anhalten. Es ist uns aber schon bewusst, dass das nicht ewig so laufen wird. Das Niveau wird gegenüber 2021 etwas zurückgehen, aber immer noch gut sein. 2021 war ja fast schon überhitzt.
Um für die Zeit danach gerüstet zu sein, braucht es vor allem eines: Innovation. Wenn wir weiterhin more of the same produzieren, werden wir ins Hintertreffen geraten. Wir müssen auch in Zukunft einen Schritt voraus sein – gerade die Umwelttechnik und die Energiewende bieten da enorme Chancen. Aber step-by-step.