Mittwoch, Juli 03, 2024
»Mit einer niedrigen Organisationsqualität werden Ineffizienzen laufend reproduziert«
Alfred Leitner, Quality Austria: »Eine Interessenvertretung müsste eigentlich dafür sorgen, dass ihre Mitgliedsunternehmen bestmögliche Qualitätsstandards erfüllen, und nicht jene Unternehmen schützen, die zwar brav Mitgliedsbeiträge zahlen, aber qualita­tive Mindestanforderungen nicht erfüllen«.

Im Interview mit dem Bau & Immobilien Report spricht Alfred Leitner, Branchenmanager Bau bei Quality Austria, über das Qualitätsbewusstsein der österreichischen Bauwirtschaft, die wirtschaftlichen Folgen schlechter Prozess- und Organisationsqualität und seine enttäuschten Erwartungen an die Interessenvertretungen.


Report: Wie ist es um das Qualitätsbewusstsein der österreichischen Bauwirtschaft bestellt?

Alfred Leitner: Da muss man etwas differenzieren. Die Ausführungsqualität ist in der Regel hoch, dafür ist die Prozessqualität eher das Stiefkind, speziell im Baugewerbe. In der Bauindustrie und den mittelständischen Unternehmen ist die Prozessqualität seit einigen Jahren in der Unternehmensphilosophie verankert.

Die meisten dieser Unternehmen fokussieren erfreulicherweise auch nicht mehr nur auf Qualität, sondern haben ein umfassenderes Prozessverständnis und setzen auf integrierte Managementsysteme, die auch Themen wie Arbeitssicherheit, Umweltaspekte oder Compliance umfassen. Das ist in der Bauindustrie Standard, der Mittelstand ist auf dem Weg dorthin, während es bei den kleinen Unternehmen nur einige wenige Pioniere gibt.

Report: Warum sind kleinere Unternehmen aus Ihrer Sicht zurückhaltend? Ist das nur eine Frage der Ressourcen?

Leitner: Eigentlich nicht. Es ist vielmehr eine Frage der Anforderungen. In anderen Branchen wie der Automobilindustrie oder dem Lebensmittelbereich werden die Qualitätsstandards von den Kunden gefordert. Das fehlt in der Bauwirtschaft. Manchmal sind Prozessqualitäten im Rahmen des Bestbieterprinzips Teil von öffentlichen Ausschreibungen, das ist aber sehr selten. Das kann aber durch niedrige Preise jederzeit kompensiert werden.

Report: Was wäre der große Vorteil auch für kleinere Unternehmen, in die Prozessqualität zu investieren?

Leitner: Der größte Vorteil ist wirtschaftlicher Natur. Die Investition in ein Managementsystem ist wie die Investition in eine moderne Maschine. Das wird einmal aufgebaut und dann gepflegt und gewartet. Und damit läuft das Unternehmen wesentlich wirtschaftlicher und effizienter. Die Unternehmen erhalten damit nicht nur mehr Kostentransparenz, sondern können auch Mängelbehebungen rascher abwickeln und Außenstände schneller abarbeiten.

Das sorgt für mehr Liquidität und sichert das Unternehmen ab. Viele kleine Bauunternehmen haben ja große Liquiditätsprobleme obwohl sie viel Umsatz machen und volle Auftragsbücher haben, weil sie ihre Aufträge nicht konsequent abschließen können. Viele Zahlungen werden zurückbehalten, weil es noch den einen oder anderen Mangel gibt, die Bau-Partie aber schon abgezogen wurde. Das wird von vielen Bauherrn ausgenutzt.

Report: Wenn Unternehmen das Fehlen von Managementsystemen direkt im Geldbörsel spüren, warum ist die Bereitschaft, zu investieren, nicht höher? Fehlt hier das Problembewusstsein?

Leitner:
Auf jeden Fall. Vielen Unternehmen ist es schlicht nicht bewusst, dass sie sich nicht nur um die Qualität der Ausführung sondern auch um eine bessere Organisationsqualität kümmern müssen, um den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens langfristig abzusichern.

Report: Wodurch aber zeichnet sich eine gute Prozessqualität aus?

Leitner:
Da muss man unterscheiden zwischen den Prozessen in der Bauabwicklung und den dahinterliegenden, unterstützenden Prozessen. Am wichtigsten ist es, die wesentlichen Prozesserfolgsfaktoren zu identifizieren. Die Abläufe müssen schlank formuliert sein und die Erfolgsfaktoren greifbar und idealerweise messbar sein.

Report: Damit muss man sich sehr intensiv mit sich selbst, seiner Organisation und Struktur auseinandersetzen?

Leitner: Daran führt kein Weg vorbei. Aber leider sind viele im Tagesgeschäft verfangen und nehmen sich nicht die dafür nötige Zeit. Deshalb werden Ineffizienten immer wieder reproduziert. Unser Problem ist, dass wir diese Unternehmen nur ganz schwer erreichen. Da wären vor allem auch die Interessenvertretungen gefragt, das Bewusstsein bei ihren Mitgliedsbetrieben zu schärfen, aber da passiert leider sehr wenig, was eigentlich völlig unverständlich ist.

Report: Warum?

Leitner:
Eine Interessenvertretung müsste eigentlich dafür sorgen, dass ihre Mitgliedsunternehmen bestmögliche Qualitätsstandards erfüllen. Und nicht jene Unternehmen schützen, die zwar brav Mitgliedsbeiträge zahlen, aber qualitative Mindestanforderungen nicht erfüllen.

Report: Was muss passieren, um die Prozess- und Organisationsqualitäten weiter zu erhöhen? Verbesserungspotenzial gibt es ja wahrscheinlich bei fast allen Unternehmen.

Leitner: Bei den großen und mittleren Betrieben geht es darum, den Weg fortzusetzen. Wer diesen Weg eingeschlagen hat, setzt ihn in der Regel auch fort, speziell wenn man zertifiziert ist. Da gibt es externe Audits und man ist quasi gezwungen, alles laufend zu hinterfragen, sich weiterzuentwickeln und zu verbessern.

Bei den kleineren Unternehmen müssen Bauherrn und vor allem Interessenvertretungen für ein Umdenken sorgen und die Prozess- und Organisationsqualität auch einfordern. Aber da ist in den letzten 20 Jahren nicht viel passiert und ich bin pessimistisch, dass sich daran kurz- und mittelfristig etwas ändert.


Sidestep »Qualität & BIM«

»Wir beobachten auch sehr genau, wie sich das Thema BIM entwickelt«, sagt Alfred Leitner. Aus seiner Sicht kommt es aktuell zu einer Digitalisierung einzelner Betriebe, nicht aber zu einer harmonisierten Digitalisierung von Projekten. »Es sind viele digital mehr oder weniger gut aufgestellte Unternehmen in einem Projekt versammelt, ohne dass die einzelnen Systeme effizient, funktionell und damit auch sinnvoll miteinander verbunden werden.«

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