Die Fassade gestaltet und schmückt, gewährt Ausblick und bewahrt gleichzeitig vor fremden Einblicken. Sie regelt Belichtung und Belüftung, trägt Windlasten ab und schützt die Bausubstanz vor Regen. Die Fassade ist multifunktional und ermöglicht auch Energiegewinnung.
Für 2050 sind Marktanteile für die Photovoltaik zu erwarten, die bis zu etwa einem Drittel des österreichischen Strombedarfs entsprechen. Aufdachanlagen bieten dann zu wenig Fläche für die Module. ertex solar bezeichnet daher die Gebäudehülle als künftiges Kraftwerk. »Die Fassade muss aktiviert werden, um die Gesamtleistung zu steigern«, informiert Projektleiter Christian Ulrich.
Rechnet sich Photovoltaik auch auf einer 90 Grad Gebäudefläche? »Auf jeden Fall«, betont Vera Immitzer, Geschäftsführerin von PV Austria. Die senkrechten Wände führen zwar über das ganze Jahr gesehen zu einem Verlust von 20 bis 30 Prozent im Vergleich zu einer optimal ausgerichteten Dachanlage, die PV-Module an der Gebäudehülle produzieren aber dann Strom, wenn die Sonne tiefer steht, wie im Winter und bei diffusem Licht, also zu Zeiten, bei denen Aufdachpaneele kaum arbeiten.
»Es ist eine ideale Ergänzung zur PV-Anlage am Dach«, hält Immitzer fest. Sind die Anfangsinvestitionen im Vergleich zu herkömmlichen Fassaden auch höher, so rechnet sich die aktive Glasfassade. Während eine verputzte oder Steinfassade das Haus nur gegen Umwelteinflüsse schützt, liefert die aktive Glasfassade kontinuierlich Energie.
Fassadenintegrierte Photovoltaik nutzt die tieferstehende Sonneneinstrahlung sowie das diffuse Licht und ergänzt damit Aufdachanlagen, die ihre Höchstleistung zu Mittag und im Sommer haben. (Auf dem Bild: die +e Kita Marburg mit 445 m² PV-Fassade - ein Projekt der Energy Meets Architecture & ertex solar)
Fehlender Sonneneintrag
Ein großes Augenmerk muss auf die Südlage sowie auf die Verschattung gelegt werden, die bei Fassadenanlagen eine noch größere Rolle spielen als bei Dachanlagen. Üblicherweise werden Leistung und Ertrag der Anlage vom schwächsten PV-Modul bestimmt, liegt dieses im Schatten gibt es deutliche Ertragseinbußen, wobei zwischen Diffus- und Kernschatten zu unterscheiden ist.
Als Kernschatten wird jener Bereich verstanden, der keinerlei Sonneneinstrahlung erfährt. Bei diffusem Schatten wird die Sonne vor dem Aufkommen durch z. B. Wolken, Nebel und Regen gebrochen. Eine Lösung bei punktuellen Verschattungen bietet das Maxim-System von Kioto Solar. Drei Optimierchips pro Modul ersetzen die herkömmlichen Bypass-Dioden.
Damit umgeht die Technologie den verschatteten String und das Modul stellt keine negative Beeinflussung der restlichen seriellen Verbindung dar. Leistungsoptimierer für einen besseren PV-Ertrag bei Verschattung und Schwachlicht sowie Überwachung auf Modulebene haben auch andere PV- und Energietechnikunternehmen entwickelt.
Es fehlt an Know-how
»Bei der Fassade haben wir das Problem, dass sie noch mehr eine Querschnittsmaterie ist als andere PV-Anwendungen«, bedauert Vera Immitzer. Es brauche Architekt*innen, die das Thema aktiv im Gebäude einplanen sowie finanzielle Unterstützung. Der Marktanteil bei Fassaden-PV liegt derzeit erst bei knapp 0,4 Prozent. Ziel müsse sein, bei jedem Neubau und jeder Renovierung die auf die Gebäudeflächen einfallende Energie zu nutzen und Photovoltaik bereits in frühen Phasen der Planung als Gebäudestandard zu berücksichtigen.
»Mich faszinieren die Gestaltungsmöglichkeiten mit PV-Modulen an der Fassade«, betont Vera Immitzer. Vielfach stehen einer breiten Umsetzung noch Vorbehalte der Architekten entgegen.
Dafür gibt es vielfältige, kreative, innovative und ästhetische Lösungswege, die mit dem Innovationsaward für integrierte Photovoltaik, der 2022 zum dritten Mal ausgeschrieben ist, ausgezeichnet und vor den Vorhang geholt werden. Bislang hat sich der Award nur auf Gebäude konzentriert, diesmal werden auch Projekte abseits der Gebäudeintegration angesprochen, wie Lärmschutzwände im Verkehrsbereich oder der Landwirtschaftsbereich (Einreichfrist 8. Februar 2022, Verleihung am PV-Kongress im März 2022). Die eingesetzten Glas-Glas-Module weisen zwar eine höhere mechanische und thermische Belastbarkeit sowie ein geringes Degradationsverhalten auf, es gibt allerdings noch keine Standards.
»Jedes Projekt ist eine individuelle Einzelanlage, die spezielle Planer benötigt und Tests u. a. zu Stabilität und Brandschutz«, informiert Bernd Lieber, Vertriebsleiter bei Kioto Solar. Das erste Unternehmen, das Fassaden-PV als wiederverwendbares System zu attraktiven Preisen liefert, wird die gebäudeintegrierte Photovoltaik revolutionieren. Noch müsse bei fassadenintegrierter PV mit einem Return-on-Invest von 20 bis 25 Jahren gerechnet werden. Vor allem die Schweiz führt derzeit als Markt.
Einzelne Projekte gibt es aber auch schon in Österreich, u. a. die AVL-List in Graz. Hier hat Kioto Solar eine Sonnenfassade mit 360 Modulen und einer installierten Leistung von 100 kWp errichtet. An einen Markt für Glas-Folien-Systeme, wie bei Aufdachanlagen eingesetzt, glaubt Lieber aufgrund der brandtechnischen Anforderungen nicht. An der Fassade eingesetzt werden Glas-Glas-Module.
Architektonisch wertvoll
»Was mich fasziniert sind die vielen Gestaltungsmöglichkeiten mit fassadenintegrierter Photovoltaik«, betont Vera Immitzer. Module ersetzen den Edelputz in vielen beliebigen Farbtönen. Das kann so weit gehen, dass die einzelnen PV-Module nicht erkennbar sind, was besonders bei denkmalgeschützten Bauten von Vorteil ist. Für Bernd Lieber zeichnen sich Glas-Module vor allem durch ihr funktionales Design und die höhere Langlebigkeit dank Verbundglastechnologie aus.
Das Energy Center in Turin, Italien, mit 190 m² PV-Vorhangfassade.
Derzeit werden die Module als zusätzliche Schicht vor der Fassade angebracht, man spricht dann von einer Kaltfassade, oder die Module sind in die Fassade integriert, d. h. einige Bauelemente werden ersetzt, was als Warmfassade gilt. Das vielfach genannte Problem der Blendung durch PV-Flächen weist die PV-Austria-Frontfrau zurück. »Die Module sind senkrecht in die Fassade eingebaut, außerdem werden blendarme Produkte eingesetzt.« Es sei ja Ziel, dass die eintreffenden Strahlen für die Stromproduktion im Modul bleiben.
Twin²Sim
Am Campus Kuchl der FH Salzburg entsteht derzeit das Forschungsgebäude Twin²Sim, ein Prüfstand, ergänzt durch ein multifunktionales Versuchsgebäude, ein Multifunktionslabor sowie eine Manipulationshalle. Projektleiter FH-Prof. Michael Grobbauer: »Mit Twin²Sim können wir neue Erkenntnisse gewinnen, wie Gebäudetechnik, Bauteile, Raum und Mensch zusammenwirken, und neue Bauteile entwickeln und erproben.«
Plädoyer für Lowtech
Gegen zu viel Technik in der Fassade spricht sich Georg Bursik, Geschäftsführer von Baumit, aus. »Immer komplexer bedeutet, immer anfälliger«, warnt er. »Wir reden über leistbares Wohnen. Je mehr Technik eingebaut wird, desto mehr Wartungsaufwand fällt an.« Für ihn ist eine WDVS-Fassade am effektivsten, auch hinsichtlich Energieeffizienz. Baumit präsentiert 2022 eine neue Klebespachtelrezeptur, die leichter verarbeitbar ist. Heuer kam der geschossene Klebeanker auf den Markt. »Unser Ziel ist die Arbeitserleichterung.«
PV-Anlagen unterstützen
Durch das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz gibt es einen Umbruch bei den PV-Förderungen. Große Anlagen werden künftig über Marktprämien unterstützt. Bei kleineren Anlagen soll es einen Innovationsbonus geben. Der Klimafonds unterstützt innovative Photovoltaikanlagen mit einer Investitionsförderung.