Der Bedarf ist da, die Fachkräfte nicht. Mehr Frauen, mehr intelligente Maschinen und mehr digitale Lösungen braucht die Branche, um weiterhin wachsen zu können. STRABAG CEO Thomas Birtel blickt voraus und zurück.
(+) plus: Hans Peter Haselsteiner saß damals im Parlament. Der Report (+) PLUS hat mit ihm in der kritischen Phase der Übernahme der Strabag ein Interview geführt, in dem er erklärt hat: Alles kein Problem.
Aber jeder wusste natürlich, wenn ein viel kleineres Unternehmen ein viel größeres Unternehmen übernimmt, ist das ein Titanenakt und der erfordert alle Kraft. Sie haben diese Phase ja von der anderen Strabag Deutschland Seite erlebt.
Thomas Birtel: Ja. Das war ein börsennotiertes Unternehmen, das sich in einer Schieflage befand. Verschiedene große Bauvorhaben im Hochbau haben dazu geführt. Die damaligen Großaktionäre hatten die Lust am Baugeschäft verloren.
(+) plus: Strabag war ja zu der Zeit nicht allein. Auch Philipp Holzmann, später Walter Bau hatten sich übernommen.
Birtel: Das stimmt. Philipp Holzmann ist sogar zweimal in die Krise geschlittert; einmal gerettet von Bundeskanzler Schröder, später war es dann die Walter Bau. Sämtliche deutsche Bauaktiengesellschaften, mit Ausnahme Strabag, Züblin und Hochtief, sind verschwunden. Die gibt es nicht mehr.
Die Strabag hatte großes Glück mit dieser Übernahme. Sie hat einen industriellen Investor bekommen, der auch die Strukturen, mit denen er bei der Bauholding gute Erfahrungen gemacht hat, konsequent übertragen hat. Das war der wesentliche Grund für den Erfolg.
(+) plus: Die Rolle eines globalen Players wäre ja viel eher von einem deutschen Konzern zu erwarten gewesen. Dass ein österreichisches Unternehmen diesen Aufstieg schafft, haben ja wenige für möglich gehalten. Was war das Geheimnis des Erfolgs?
Birtel: Erprobte Strukturen wurden konsequent auf übernommene Gesell- schaften übertragen. Andere haben mit großen Problemen nach Übernahmen alles weiterlaufen lassen wie bisher. Wir haben wirklich Konzernstrukturen geschaffen. Heute verwenden wir von Moskau bis Antwerpen dieselbe Software. Ein Buchhalter, der sich in Moskau an den Computer setzt, muss nur die Spracheinstellungen ändern, dann hat er genau die Tools zur Verfügung wie an jedem anderen Standort auch. Das gilt auch für die technische Software. Wir zentralisieren und vereinfachen, was man sinnvoll zentralisieren und vereinfachen kann.
Das Baugeschäft ist ansonsten das de-zentralste Geschäft, das man sich vorstellen kann. Wir führen parallel immer »11.000« verschiedene Firmen, sprich Baustellen. Aber Finanzwesen, Controlling, Treasury, Gerätewirtschaft, Qualitätssicherung, zentrale technische Aufgaben werden strikt zentral gesteuert. Damit ist der Konzern wirklich gut steuerbar. Das ist das Geheimnis.
(+) plus: Die Systeme gehen ja auf die Ilbau und Bauholding zurück?
Birtel: Ja, das war etwas Gewachsenes, nicht teuer Zugekauftes, wo man Berater hätte beschäftigen müssen. Die Strukturen waren ausgereift und es waren Menschen da, die in der Lage waren die Systeme auch anderswo zu implementieren. Das ist aus eigenen Ressourcen gelungen.
(+) plus: Rein nach der Papierform hätte es eigentlich nicht funktionieren dürfen. Wenn ein viel kleineres Unternehmen ein viel größeres Unternehmen übernimmt, geht es meistens schief.
Birtel: Ja, das stimmt, die großen Übernahmen waren erfolgreich. Ich will aber nicht verhehlen, dass kleinere Übernahmen nicht so gut funktioniert haben. Dafür haben wir einfach zu viele Übernahmen seit 1997 gemacht.
(+) plus: Was waren die nicht erfolgreichen?
Birtel: Das sind Kleinere, deren Namen heute niemand mehr kennt. Die meisten Übernahmen erfolgen ja auf bilateraler Ebene, ohne Vermittler, weil man sich kennt und weil bestimmte Parameter zu passen scheinen und da hat es Fehlgriffe gegeben. Man hat sich in der Qualität dessen, was man übernommen hat, getäuscht.
Aber die hat man bei uns gar nicht wahrgenommen, weil sie in der Bilanz auch untergehen. Bau ist projektbezogen. Eine Übernahme ist ein Projekt. Wir werden nie so weit sein, dass es keine Flops gibt. Das sind Projekte, die nicht unbedingt einen Verlust bringen, die aber nicht laufen wie geplant.
(+) plus: Die Misserfolge helfen ja auch dabei, demütig zu bleiben.
Birtel: Ja, es ist nie 100:0. Das wäre vermessen. Wir kommen auf 80:20. Überwiegend sind wir mit den Übernahmen sehr zufrieden. Unser drittes Standbein – nicht im reinen Baubereich – ist die Strabag Facility Services. Die stammt aus einer einzelnen Übernahme, zu der dann weitere dazugekommen sind – ausgehend von der DeTe-immo von der Deutschen Telekom. Damit haben wir baunahe Dienstleistungen als sehr wesentliches Standbein.
(+) plus: Die Strabag hat im vergangen Vierteljahrhundert einen enormen Aufstieg gemacht, hat sich als globaler Player auf die Landkarte gesetzt. Wie schaut die Perspektive für die kommenden 25 Jahre aus?
Birtel: Rein organisch ist ein sehr nennenswertes Wachstum möglich. Mitte 2013 habe ich als CEO von Hans Peter Haselsteiner übernommen. Seither ist unser Leistungsvolumen organisch deutlich gewachsen. In den Märkten, in denen wir besonders stark sind, in Mittel- und Osteuropa, besteht immer noch ein enormer Nachholbedarf. In Deutschland ist die Situation etwas anders. Das ist ja ein reifer Markt, allerdings mit einem enormen Sanierungsbedarf. Dieses hohe Niveau werden wir bis 2030 halten. Da bin ich sehr optimistisch. Wir werden mit organischem Wachstum größer werden.
Dann haben wir eine Langfriststrategie, die reicht bis 2040. Das ist unsere Nachhaltigkeitsstrategie. Wir wollen bis 2040 ein klimaneutrales Bauunternehmen sein. Wir verfolgen dieses Ziel in Teilschritten zu je fünf Jahren. 2025 soll die Verwaltung klimaneutral sein. 2030 soll die Baustelle weitgehend klimaneutral realisiert werden. 2035 wollen wir den Gebäudebetrieb bei unseren Kunden klimaneutral führen. 2040 wollen wir schließlich bei sämtlichen Baustoffen und auch bei den Nachunternehmen eine neutrale Klimabilanz erzielen und somit in unserer gesamten Wertschöpfungskette.
(+) plus: Im Kernmarkt ist organisches Wachstum angesagt. Sind übernahmen im außereuropäischen Bereich ein Thema?
Birtel: Ja, das kann ich mir vorstellen, wenn es Sinn macht und ergänzt. Das haben wir bisher nicht getan. Wir sind in Südamerika, in Chile sind wir etwa das größte Tiefbauunternehmen mit Züblin. Im Mittleren Osten sind wir im Oman und auch in den Emiraten gut verankert.
Im Fernen Osten sind wir in Singapur gut aufgestellt. Wir schauen uns auch Australien interessiert an. Aber jede Übernahme muss gut begründet sein und wir werden sehr sorgfältig hinschauen.
(+) plus: In Chile ist die Neue Österreichische Tunnelbauweise das Exportprodukt.
Birtel: Es ist ein gutes Beispiel. Es gibt nur diese Bauweise, die einen Landesnamen trägt. Der Tunnelbau ist natürlich ein Asset, mit dem wir punkten. Wir haben im Norden Indiens den Rohtang Tunnel gebaut, wir bauen zur Zeit in Chile ein Wasserkraftwerk mit 74 km Tunnelsystemen. Wir haben die Niagarafälle untertunnelt. Mit Spezialkompetenzen kann man global erfolgreich sein, weil es nicht viele gibt, die das gut können.
Der Fachkräftemangel wird der zentrale wachstumshemmende Faktor. Wir müssen uns in Zukunft darauf einstellen, mit weniger Leuten zu arbeiten, aber mehr zu schaffen«, sagt Thomas Birtel.
(+) plus: Wo liegen die großen Herausforderungen in den kommenden Jahren?
Birtel: Gerade im Hinblick auf die demografische Entwicklung in den Kernmärkten sind Digitalisierung und Automatisierung die zentralen Themen.
Der Fachkräftemangel wird der zentrale wachstumshemmende Faktor. Wir müssen uns in Zukunft darauf einstellen, mit weniger Leuten zu arbeiten, aber mehr zu schaffen. Das gelingt mit Digitalisierung und Automatisierung. Gleichzeitig müssen wir als Bauwirtschaft für Frauen attraktiver werden. Wir sind eine männerdominierte Industrie.
Leider ist unser Frauenanteil bei Ingenieurinnen niedriger als der Output der Ausbildungsstätten. Das liegt nicht daran, dass wir zu wenig Frauen einstellen, sondern daran, dass überproportional viele wieder weggehen. 2040 wird es auch keinen frauenlosen Vorstand bei der Strabag mehr geben, 40 % Frauen sollten es dann schon sein.
(+) plus: Warum verlieren sie so viele Frauen wieder?
Birtel: Dem gehen wir genau nach. Es liegt nicht an uns oder zumindest nicht an dem, was wir ändern könnten. Es liegt daran, dass sehr viele junge, qualifizierte Frauen den klassischen Weg gehen und irgendwann vor der Entscheidung stehen: Familie oder Karriere. Unsere Industrie ist nicht ausgesprochen familienfreundlich, mit den wechselnden Baustellen, den unregelmäßigen Arbeitszeiten. Oft ist es auch so, dass Frauen, die eine bautechnische Ausbildung machen, einen familiären Hintergrund in dieser Richtung haben. Die gehen in den ersten Berufsjahren in einen Großkonzern, um eine breite Ausbildung zu erfahren, kehren dann aber in den Familienbetrieb zurück.
(+) plus: Die Pandemie hat das Thema Homeoffice absolut salonfähig gemacht. Der Flexibilität und der Anpassungsbereitschaft der Mitarbeiter ist es zu verdanken, dass Covid die Wirtschaft nicht in die Knie gezwungen hat. Homeoffice bleibt, zumindest in einer Mischform. Das macht Arbeiten familienfreundlicher. Das ist doch eine enorme Chance, mehr Frauen zu integrieren?
Birtel: Ja, aber es wird nie so ausgeprägt sein, wie in der stationären Industrie, in der die Produktion vollautomatisiert läuft und die Verwaltung vom Homeoffice aus gemacht wird. Baustellen sind ganz anders. Es wird diese Optimierung nie möglich sein, aber wir werden weiter kommen als heute.
Wir haben in der Verwaltung im vergangenen Jahr natürlich im Homeoffice gearbeitet, aber auf den Baustellen war Präsenz gefragt. Wir hatten in Österreich Mitte März bis Mitte April 2020 eine Unterbrechung, in den anderen Ländern nicht. Da wurde in voller Mannschaftsstärke auf der Baustelle gearbeitet, da gab es kein Homeoffice.
(+) plus: Für die Bauwirtschaft sind ja die schlimmen Befürchtungen nicht eingetreten. Das Wachstum der Branche betrug weltweit vier Prozent, die Auftragsbücher sind voll wie selten zuvor. Die Branche als Krisengewinner?
Birtel: Krisengewinner geht mir zu weit – begünstigt durch die Situation, die überlagert wird durch das finanzielle Umfeld. Wir sind ein Gewinner der Nullzinspolitik in Europa. Es ist Liquidität im Überfluss vorhanden. Aktien und Immobilien erleben einen Boom. Das ist weniger ein Corona-Thema als ein Euro- und Zinsumfeldthema.
(+) plus: Das Übermaß an Liquidität hat auch zu deutlichen Preissteigerungen geführt. Ist das ein vorübergehendes Phänomen oder wird uns das länger begleiten?
Birtel: Das war pandemiegetrieben. Mangelnde Nachfrage hat auch zu Produktionsrückgängen geführt. Bauholz ist knapp, aber auch Stahl. Die Materialverfügbarkeit sehen wir auf Sicht wieder gegeben; ein höheres Preisniveau wird uns angesichts der anhaltend hohen Nachfrage länger begleiten.
(+) plus: Was vermutlich auch an der Einkaufsmacht der Strabag liegt?
Birtel: Von anderen Kollegen höre ich dasselbe, auch Mittelständler sprechen nicht davon, dass sie nicht beliefert worden wären. Von den Mittelständlern hört man auch nicht, dass sie nicht beliefert worden wären. Preissteigerungen sind ein Faktum. Das hatte niemand so erwartet und das hat uns auch getroffen. Das exzellente Ergebnis von 2020 wird sich aber aus diesem Grund nicht wiederholen lassen.