Im Interview mit dem Bau & Immobilien Report spricht Robert Novak, Vorstandsvorsitzender der österreichischen Fachvereinigung für Polystyrol-Extruderschaum (ÖXPS), über den falschen Fokus der Sanierungsoffensive des Bundes, die Fortschritte in Richtung Kreislaufwirtschaft und die aktuelle Rohstoffknappheit. Außerdem kündigt er harte Maßnahmen im Kampf gegen Billigimporte an.
Report: Welche Auswirkungen hat die Coronakrise aktuell auf die Dämmstoffindustrie? Mit welchen mittel- und langfristigen Folgen rechnen Sie?
Robert Novak: Die Branche ist 2020 mit einem »blauen« Auge davon gekommen, denn der Umsatzeinbruch während des ersten Lockdowns konnte im Laufe des Jahres 2020 weitestgehend wettgemacht werden. Was das laufende Geschäftsjahr anbelangt, registrieren wir, abseits der exorbitanten Preisentwicklung bei den Rohstoffen, auch einen positiven Effekt. Viele Privatpersonen investieren in Ausbau, Sanierung und auch Neubau ihres Eigenheimes.
Das bewirkt aktuell einen regelrechten Nachfrageschub, der sicher noch über 2021 hinaus anhalten könnte. Das Objektgeschäft läuft nach wie vor gut. Hier ist noch von einem Corona-bedingten Nachzieh-Effekt zu sprechen. Das Virus hat in den vergangenen 16 Monaten unser aller Leben massiv beeinflusst und wir haben damit leben und arbeiten gelernt.
Report: In der Vergangenheit boomte vor allem der Neubau, die Sanierung lag darnieder. Mit der Sanierungsoffensive will die Regierung hier eine Trendwende schaffen. Werden dabei aus Ihrer Sicht die richtigen Schritte gesetzt?
Novak: Die Aufstockung von Fördermitteln ist sehr zu begrüßen. Es braucht finanzielle Anreize, um Investitionen anzustoßen. Ob mit dem starken Fokus auf »Raus aus Öl und Gas« gut entschieden wurde, kann bezweifelt werden. Denn die billigste Energie ist immer noch die, die man gar nicht erst benötigt. Dämmung hat bei der Gebäudesanierung oberste Priorität.
Report: Was bräuchte es zusätzlich, um die seit vielen Jahren angepeilte Sanierungsrate von 3 Prozent auch endlich einmal zu erreichen?
Novak: Neben finanziellen Anreizen ist eine Reform der rechtlichen Rahmenbedingungen z.B. beim Wohnungseigentumsgesetz und im Mietrecht dringend notwendig. Weiters wäre eine großzügigere Auslegung bei den Förderrichtlinien sinnvoll. Eine Betrags-Deckelung, wie sie z.B. bei der Dämmung von Flachdächern besteht, sollte flexibler gestaltet werden. Und zu guter Letzt muss die thermische Sanierung auch bei Bundes- und Länder-Immobilien massiv vorangetrieben werden, hier gibt es noch großen Nachholbedarf.
Report: Corona hat die Klimaschutzdebatte etwas in den Hintergrund gedrängt. Dennoch gingen und gehen auf der ganzen Welt vor allem junge Menschen auf die Straße, um für den Klimaschutz zu demonstrieren. XPS sieht sich genauso wie andere erdölbasierte Dämmstoffe oft dem Vorwurf ausgesetzt, umweltschädlich zu sein. Was sagen Sie diesen jungen Menschen, warum sie ihr Haus dennoch mit XPS dämmen sollten?
Novak: Der größte Nutzen bei der Dämmung mit XPS ist die Energieeinsparung. Sie liegt bei mehr als dem 100fachen der eingesetzten Energie! Wird konkret ein 100 m2 großes Flachdach mit 240 mm Extruderschaum gedämmt, so werden über die gesamte Nutzungsdauer (80 Jahre) rund 30.000 MJ eingespart. Zur Produktion dieser XPS-Dämmplatten inklusive aller Vorprozesse werden hingegen rund 300 MJ an Energie benötigt. Heute produzierte XPS Dämmplatten können zu 100 Prozent recycelt bzw. wiederverwendet werden. Aktuell bietet ein ÖXPS Mitgliedsbetrieb schon die kostenlose Rücknahme von sauberen XPS Baustellenverschnitten an.
Die europäische XPS-Industrie wird in naher Zukunft z.B. mit den Projekt Polystyren-Loop für eine funktionierende Kreislaufwirtschaft sorgen. Dies wird das Ziel der gesamten Branche sein müssen.
Report: Wo sehen Sie die größten Vorteile von XPS gegenüber anderen Dämmstoffen?
Novak: XPS verfügt vom Keller bis zum Dach über exzellente Wärmedämmeigenschaften und weist ein optimales Preis-Leistungs-Verhältnis auf. Gerade dort, wo extreme Druck- und Feuchtebeanspruchungen besonders hohe Anforderungen an das Dämmmaterial stellen, bietet das extrudierte Polystyrol dank seiner homogenen Zellstruktur die ideale Lösung für zahlreiche Anwendungsbereiche wie z.B. Perimeter- und Sockeldämmung, Flachdachdämmung, Dämmung unter der Fundamentplatte und in Feuchträumen. XPS leistet einen starken Beitrag zum Klimaschutz und ist einfach zu recyceln.
Report: Die Themen Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft gewinnen auch in der Bauwirtschaft an Bedeutung. Große Hoffnungen ruhen auf dem Projekt »Polystyrene Loop«. Welche Erwartungen haben Sie an das Projekt?
Novak: Wie schon gesagt arbeitet die europäische XPS-Industrie seit einigen Jahren daran, eine funktionierende, aktive und durchgängige Kreislaufwirtschaft zu etablieren. Polystyrene Loop steht vor der Fertigstellung und soll im Sommer 2021 in Betrieb gehen.
Konkret wird im holländischen Terneuzen eine auf dem CreaSolv® Verfahren basierende Recycling-Anlage errichtet, die eine lösemittelbasierte Aufbereitung von XPS ermöglichen wird. Dabei können nicht nur verschmutzte Baustellenabfälle verarbeitet werden, sondern auch Alt-Dämmstoffe mit dem Flammschutzmittel HBCD. Aus dem zurückgewonnenen Polystyrol können dann wieder neue Dämmstoffplatten hergestellt werden.
XPS wird bis 2050 vollständig in der Kreislaufwirtschaft produziert. Dämmstoffe sind – einmal verbaut – bis zu 100 Jahre im Einsatz, bevor sie wiederverwendet und zum Rohstoff der Zukunft werden.
Report: Hat das Projekt das Potenzial für eine echte Massenanwendung?
Novak: Ja, auf jeden Fall!
Report: Aktuell sind stark steigende Rohstoffpreise zu beobachten, die auch die Dämmstoffindustrie stark treffen. Mit welchen weiteren Entwicklungen rechnen Sie?
Novak: Die Nachfrage nach dem Basisrohstoff »Styrol« übersteigt seit Monaten das Angebot. Die entstandene Verknappung führte auf den internationalen Rohstoffmärkten zu dramatischen Preissteigerungen von über 100 Prozent in den letzten Monaten. Die XPS-Dämmstoff-Produzenten sind dieser Entwicklung leider auch völlig ausgeliefert und müssen trotz starker Preissteigerungen deutliche Margenverluste hinnehmen. Die Gründe für diese Rohstoffverknappung sind vielfältig und reichen von Corona-bedingten Produktionsstopps, Verzögerungen in der Logistik bis zu technischen Problemen bei Styrol-Herstellern und einer starken Steigerung der Nachfrage am Weltmarkt.
Volatilität ist beim Polystyrol seit jeher gegeben, eine zukünftige Entwicklung daher kaum vorhersehbar. Wir hoffen aber, dass sich die Situation im Laufe des Jahres wieder etwas entspannt.
Report: Der ÖXPS hat sich als Zusammenschluss von Qualitätsherstellern zur Aufgabe gemacht, die Qualität der am Markt befindlichen Produkte zu überprüfen. Das betrifft neben den eigenen Produkten auch Billigimporte aus dem Ausland, die nach Österreich kommen. Wie ist es um die Qualität des in Österreich verarbeiteten XPS bestellt? Wo gibt es die größten Mängel?
Novak: Unser Ziel ist es, für ein normgerechtes Angebot zu sorgen. Die vier Mitgliedsunternehmen des ÖXPS – Austrotherm, Ursa, BASF und Ravago – sind Qualitätsanbieter. Deshalb werden unsere eigenen Produkte auch laufend kontrolliert. Wir prüfen aber neben den eigenen auch eine Vielzahl der in Österreich angebotenen XPS-Produkte und stoßen dabei immer wieder auf Billigst-Importware, die starke Mängel z.B. beim Brandschutz oder auch bei der Druckfestigkeit aufweisen. In diesen Fällen behalten wir uns dann auch rechtliche Schritte vor.